zum Hauptinhalt
Keine Tempora-Berichte, bitte. Premier Cameron fordert von den Medien „gesellschaftliche Verantwortung“. Foto: Reuters
© REUTERS

Cameron droht britischer Presse: Maulkorb für „Guardian“?

Englands Premier Cameron fordert von Zeitungen "gesellschaftliche Verantwortung" bei Snowden-Enthüllungen. Sonst müsse auch zu härteren Mitteln gegriffen werden. Derweil profitieren deutsche Medien vom internationalen Interesse an NSA-Berichten.

Für den britischen „Guardian“ ist es ein Bericht in eigener Sache: „David Cameron droht Medien wegen NSA- und GCHQ-Enthüllungen“, schreibt die Zeitung und berichtet darüber, wie der Premierminister die britische Presse davor warnt, weitere Dokumente des Ex-NSA-Mitarbeiters Edward Snowden zu veröffentlichen. „David Cameron hat den ,Guardian‘ und andere Zeitungen zu ,gesellschaftlicher Verantwortung‘ aufgerufen, wenn sie gerichtliche Schritte oder die Anwendung der Defense-Verfügungen vermeiden wollen’“, schreibt die Zeitung. Mit anderen Worten: Hören die britischen Medien nicht auf, „mit ihren Berichten die nationale Sicherheit zu gefährden“, droht ihnen ein staatlich verordneter Maulkorb.

Auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche hatte Cameron bereits vor den Gefahren einer „Lah-di-dah, airy-fairy view“ also einer versponnenen Sicht auf die Gefahren der Enthüllungen gewarnt. In Großbritannien überwacht der Geheimdienst Government Communications Headquarters (GCHQ) im Rahmen des Tempora-Programms den weltweiten Kommunikations- und Internetverkehr. Im Juni war unter anderem der BBC mit einer Defence-Notice, der so genannten D-Verfügung, die Berichterstattung über Tempora untersagt worden.

Cameron hob mehrfach hervor, wie wichtig eine freie Presse in Großbritannien sei, die ohne das Gefühl einer Vorzensur schreiben kann. Er habe kein Interesse an Unterlassungserklärungen, D-Verfügungen oder noch härteren Mitteln. Aber wenn die Presse nicht eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung beweise, falle es der Regierung schwer, sich zurückzuhalten und nicht tätig zu werden.

Im Juli hatte der „Guardian“ auf Ersuchen der Regierung Festplatten mit Informationen von Snowden gelöscht. Alan Rusbridger, der Chefredakteur der Zeitung, gestattete es dem britischen Geheimdienst, die Zerstörung der Festplatten zu überwachen. Auf die Auswertung der von Edward Snowden gemachten Enthüllungen will die Zeitung dennoch nicht verzichten – allerdings nicht von Großbritannien aus, sondern von ihrem US-Büro in New York.

Der „Guardian“ weist zudem darauf hin, dass es sich bei den Defense-Notices um einen freiwilligen Verhaltenskodex handelt. Er gilt zwischen den Medien und den Ministerien, die mit der nationalen Sicherheit befasst sind. Diese Ministerien können an die Medien Hinweise ausgeben, wenn die versehentliche Veröffentlichung von Informationen militärische oder geheimdienstliche Operationen oder Verfahren gefährdet.

In Deutschland sind solche Einschränkungen nicht vorgesehen.

Für Deutschland sind solche Einschränkungen in der Berichterstattung „so nicht denkbar“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Presserates, Lutz Tillmanns, dem Tagesspiegel. Das sei nicht zuletzt eine Konsequenz aus der „Spiegel“-Affäre von 1962. Dem Magazin war wegen des Titels „Bedingt abwehrbereit“ Landesverrat unterstellt worden – erfolglos. „Das Bundesverfassungsgericht hat sich später klar positioniert. Bei jedem Verbot müsse abgewogen werden, wie weit das Recht der Öffentlichkeit auf Information reicht“, sagte Tillmanns weiter.

In den USA und Großbritannien haben die Einschüchterungsversuche der Politik Wirkung gezeigt. Davon profitieren inzwischen deutsche Medien, berichtet der Medienblog Netzwertig unter Berufung auf Zahlen des Analysedienstes compete.com. Vor allem Spiegel Online profitiert demnach davon, dass täglich mehrere Beiträge in einer englischen Übersetzung angeboten werden. Seit dem Beginn der Snowden-Enthüllungen greifen doppelt so viele US-Nutzer auf Spiegel Online zu. Berichte über das ausgespähte Handy von Kanzlerin Merkel und andere Facetten des NSA-Abhörskandals nehmen im „English“-Ressort von Spiegel Online einen großen Raum ein. Laut compete.com kommt diese Sektion inzwischen monatlich auf 500 000 Leser. Kurt Sagatz

Zur Startseite