Website "Stopfake.org" deckt auf: Manipulierte Nachrichten im Ukrainekonflikt
Im Zuge der Ukrainekrise kursieren immer mehr gefälschte Fotos und Videos. Das Projekt Stopfake.org will aufklären.
Eigentlich ist Margo Gontar Journalistin, gerade aber fühlt sie sich eher wie eine Forensikerin. Fast täglich durchforstet die Ukrainerin soziale Netzwerke wie Vkontakte (VK), eine Art russisches Facebook, und andere Webseiten nach gefälschten Nachrichten und manipulierten Fotos über die Krise zwischen Russland und der Ukraine. Vielfach werden die Falschmeldungen im Netz gepostet und weitergeleitet – wirksame Propaganda, um die Stimmung anzuheizen. Gontar will das verhindern. Zusammen mit ihren Kommilitonen von der Mohyla-Akademie an der Nationalen Universität Kiew hat sie deshalb im März das Portal Stopfake.org gegründet. Fast täglich veröffentlichen sie hier neue Falschmeldungen.
Wie ein Lauffeuer verbreiten sich die Falschmeldungen
Erst vergangene Woche wieder: Die Seite „Novini Rosii“ ( „News of Russia“) zeigte einen Mann, dessen Oberkörper mit zahlreichen Hakenkreuzen tätowiert war. Angeblich ein Beweis dafür, dass ein ukrainisches Freiwilligen-Bataillon Rechte anheure. Veröffentlicht wurde das Bild jedoch bereits 2005 in einer Bilderkollektion über Nazi-Tätowierungen. Stopfake.org berichtete auch über die Falschmeldungen zur ukrainischen Biathletin Olena Pidhrushna, die in Sochi Gold gewann. Als Kämpferin in Sloviansk töte sie nun gezielt Kinder, hieß es. Als Beweis habe das Bild einer bewaffneten Frau in Armeekleidung gedient, deren Porträt neben das von Pidhrushna gestellt wurde. Wie ein Lauffeuer habe sich die Nachricht in den sozialen Netzwerken verbreitet – dabei sahen sich die beiden Frauen nicht einmal ähnlich.
„Aber viele Leute schauen gar nicht mehr genau hin“, beklagt Margo Gontar. „Sie fühlen sich durch die Falschmeldungen in ihrer Meinung nur noch bestätigt und verbreiten die Nachrichten schnell per Mausklick weiter. Das ist natürlich viel bequemer, als solche Nachrichten kritisch zu hinterfragen.“
Westliche Medien ziehen ihre Korrespondenten ab
Groß ist die Gefahr, dass solche Falschmeldungen dann zur Wahrheit erklärt werden – insbesondere dann, wenn in den Medien die kritische Berichterstattung fehlt. Und das nicht nur in Russland und der Ukraine. So sind viele westliche Journalisten inzwischen von ihren Redaktionen aus der schwer umkämpften Ostukraine abgezogen worden, auch ARD und ZDF haben ihre Korrespondentinnen Ende Mai aus Donezk abberufen.
Zielgruppe von Gontar und ihren Kommilitonen sind deshalb nicht nur die russisch sprechenden Menschen in der Ostukraine, sondern ebenso westliche Journalisten, weshalb sie die Texte auch auf Englisch veröffentlichen. Die Resonanz auf die Arbeit der rund 20-köpfigen Redaktion ist groß: 1,5 Millionen Besucher zählt Stopfake.org pro Monat. Einmal pro Woche präsentiert Gontar dazu in einer Videoshow die „ Aufdeckungen der Woche“, manche Clips erreichen mehr als 100 000 Zuschauer. Auch die Leser selbst können mögliche Manipulationen melden. Finanziert wird die Arbeit von Stopfake.org per Crowdfunding, mehr als 8000 US-Dollar seien bereits gespendet worden. Allerdings: Das Projekt konzentriert sich vor allem auf gefälschte Fotos und Nachrichten, die von russischsprachigen Medien und Websites verbreitet werden und ist deshalb nicht objektiv, wie Gontar selbst sagt.
ARD Aktuell prüft ein Video, das angeblich eine Exekution zeigt
Doch mit dem Material, das sie aus der Ostukraine bekommen, sind Medien in Deutschland ohnehin vorsichtig. Täglich gehen beispielsweise in der Redaktion von ARD aktuell – für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ verantwortlich – neue Videos aus der Region ein, immer wieder finden sich darunter manipulierte Fotos und Clips, berichtet Christian Nitsche, Zweiter Chefredakteur von ARD aktuell. „Im Ukrainekonflikt ist dem Material, das seitens östlicher Fernsehsender verbreitet wird, deshalb mit ebenso großer Sorgfalt zu begegnen wie Videofiles aus dem Internet.“ Erst am Donnerstag habe die Redaktion ein Video erhalten, das angeblich eine Exekution in der Ostukraine zeigen sollte. Weil an der Authentizität jedoch Zweifel bestanden hätten, sei das Material nicht verwendet worden.
"Leider gibt es keine Wundermaschine"
Dass in Krisen wie aktuell in der Ukraine, in Kriegen oder Diktaturen Bilder, Videos und Nachrichten gefälscht werden, ist zwar nicht neu. Doch dank der digitalen Technik werden Manipulationen immer einfacher, die Fälle häufen sich, bestätigt auch Monika Plhal, stellvertretende Chefredakteurin der Europäischen Pressefoto Agentur (epa). Gleichzeitig sind die Agenturen jedoch auf fremdes Material, auch aus sozialen Netzwerken, angewiesen, wenn es wie in Syrien für Journalisten keine Möglichkeit gibt, sich frei zu bewegen. „Leider gibt es keine Wundermaschine, durch die wir das Material zur Überprüfung jagen könnten“, sagt Plhal. Den besten Schutz biete deshalb die Zusammenarbeit mit einem festen, zuverlässigen Fotografenteam und das kritische Auge erfahrener Fotoredakteure, das Auffälligkeiten wie nachbearbeitete Linien oder Diskrepanzen bei Licht und Farben, wie Schatten fallen und im Verlauf von Schärfe und Unschärfe erkenne. Ein Überprüfen der Pixel-Struktur über Photoshop könne Befürchtungen schnell bestätigen. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es leider nicht. Im Zweifel entscheiden wir uns deshalb gegen die Verbreitung des Materials, denn Glaubwürdigkeit ist unser wichtigstes Gut“, sagt Plhal.
Ist das Material ungeschnitten oder nachbearbeitet?
Das gilt ebenso für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“. Wie aber wird in der Hamburger Redaktion echtes von gefälschtem Material unterschieden? Beim Plausibilitätscheck würden folgende Fragen eine gewichtige Rolle spielen, erklärt Nitsche. „Wann wurde das Video aufgenommen? Lässt sich der Urheber identifizieren? Gibt es weitere Berichte über das Ereignis in den Agenturen, auf Nachrichtenseiten, in den sozialen Netzwerken, von eigenen Korrespondenten und anderen Quellen vor Ort? Ist das Material ungeschnitten oder nachbearbeitet?“
Konfliktparteien verbreiten immer mehr Videos übers Netz
In einem zweiten Schritt beurteile dann das sogenannte Content Center den Bildinhalt: Kann es stimmen, was auf dem Video zu sehen ist? Stimmen etwa Wetterverhältnisse, Landschaften, Uniformen, Bewaffnung, sichtbare Schriftzüge mit dem überein, was dargestellt sein soll? „ Hierfür ist es oft notwendig, externen Rat einzuholen – entweder bei unseren Korrespondentenbüros oder von Sachverständigen, etwa Medizinern, Bundeswehrangehörigen oder Übersetzern“, erläutert Nitsche. Ganz wichtig sei der direkte Kontakt zu Quellen vor Ort. Eines hätten zahlreiche Konfliktparteien jedoch erkannt, meint Nitsche: „Das Internet wird als Verbreitungsmedium von Nachrichten immer wichtiger.“
Dass Stopfake.org deshalb irgendwann sein Angebot ausbaut und auch andere Falschmeldungen im Netz aufdeckt, schließt Margo Gontar nicht aus. „Das wäre eigentlich schön, denn das würde vielleicht bedeuten, dass wir hier nicht mehr so viel zu tun hätten.“ Sonja Álvarez
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