Start von "Babylon Berlin": „Man war froh, das Pensum des Drehs überlebt zu haben“
„Babylon Berlin“ ist die bislang teuerste deutsche TV-Serie. Wie die Hauptdarsteller Volker Bruch und Liv Lisa Fries mit diesem Druck umgegangen sind.
So freizügig mit Informationen wie in den ersten drei Minuten von „Babylon Berlin“ sind Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries, die Autoren und Regisseure von Deutschlands bislang teuerster TV-Serie, in den nächsten Folgen nicht mehr. Eine Flut aus Bildern und Eindrücken ergießt sich über die Zuschauer, während sonst die Kunst der sparsamen Enthüllungen bis zum Äußersten getrieben wird.
Die erste Doppelfolge von „Babylon Berlin“, die der Pay-TV-Sender Sky an diesem Freitag zeigt, sie beginnt und endet in einem Temporausch, der im oft beschriebenen Tanz auf dem Vulkan gipfelt, für den die wilden zwanziger Jahre stehen. Eine Zeit außer Rand und Band, und mittendrin Gereon Rath und Charlotte Ritter, die beiden Protagonisten der Volker-Kutscher-Romane.
Die Eröffnungsszene ist geradezu genial. Ein Psychiater versetzt Gereon Rath in Hypnose, führt in zurück in die Vergangenheit, zurück auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs. In einer anderen Erinnerung sieht man ihn auf einem Bett, vor ihm eine fast nackte Frau, danach ein Mann, offenbar durch Kopfschuss getötet, der an den Beinen weggeschleift wird. Demonstranten ziehen durch Berlin, halten rote Fahnen. Man erfährt in kürzester Zeit erstaunlich viel über Gereon Rath, aber nicht von ihm selbst. Er wird der Unnahbare bleiben, der Geheimniskrämer, der seine Gedanken, seine Gefühle für sich behält.
Das größte Serienereignis des Jahres
„Babylon Berlin“, das ist das große deutsche Serienereignis dieses Jahres und es beginnt mit einem Besuch der Sittenpolizei bei einem Pornodreh. Gereon Rath, der Sonderermittler aus Köln, schluckt noch kurz den Inhalt einer braunen Ampulle heimlich in der Toilette herunter, um sein Zittern in den Griff zu bekommen.
Es ist nicht nur ein dienstlicher Auftrag, der den Kommissar nach Berlin verschlägt. Er soll zugleich eine unappetitliche Erpressung beenden. Raths Vater, der designierte künftige Polizeipräsident von Köln, will Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer schützen.
Wie die meisten Figuren im Kosmos dieser Geschichte hat auch der junge Kommissar eine dunkle, geheime Seite. Das gilt ebenso für Charlotte Ritter, die selbstbewusste, emanzipierte Aushilfsstenotypistin der Polizei, die sich abends auf dem Tanzparkett des Moka Efti austobt. Sie lebt in armseligen Verhältnissen, viele Kinder auf kleinem Raum, der Großvater gebrechlich, ein Zille-Milljöh. Lotte lässt sich davon nicht unterkriegen, sie hat ein gewinnendes Lächeln, unverwechselbar auf den ersten Blick. Ohne sie wüsste die Familie nicht, wie sie die Miete zahlen sollte. Dafür ist sie sogar bereit, im Unterhaltungstempel die Domina zu geben. Tag und Nacht, Licht und Schatten, nichts ist in „Babylon Berlin“ so, wie es auf den ersten Blick erscheint.
40 Millionen Euro haben der Pay-TV-Sender Sky, die öffentlich-rechtliche ARD sowie die Partner X-Filme und Beta Film mit großzügiger Hilfe öffentlicher Fördertöpfe aufgebracht, um das Mammutprojekt zu stemmen. 400 Mitarbeiter waren beteiligt, der Abspann hat Hollywood-Format. Es waren 180 Drehtage angesetzt, 50 Hauptschauplätze und 240 Nebenmotive. Die Erwartungshaltung ist entsprechend gigantisch, „Babylon Berlin“ kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Serie nicht nur bei Sky und ein Jahr später in der ARD vom Publikum angenommen wird, sondern auch in der internationalen Vermarktung funktioniert, was offenbar der Fall ist: Bereits jetzt übernehmen 60 Länder die Serie. Ein nicht unerheblicher Teil der Verantwortung für das Gelingen dieses Projektes lastete auf den Schultern der beiden Hauptdarsteller. Wie sind sie damit umgegangen?
Für Volker Bruch, der im Kinofilm „Der Rote Baron“ an der Seite von Matthias Schweighöfer und Til Schweiger vor der Kamera stand und als Wehrmachtsoffizier Wilhelm im TV-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ überzeugte, war „die Fahrt auf diesem großartigen Dampfer, der ,Babylon Berlin‘ ist, ehrlich-einnehmend und professionell-herausfordernd“. „Zugleich war man froh, das Pensum des Drehs überlebt zu haben. Da war nicht mehr so viel Platz für Druck. Man hatte nur immer wieder Momente, in denen man überwältigt war von dieser geballten Unglaublichkeit!“
Keine Interviews während der Dreharbeiten
„Von diesem Druck, diesen enorm hohen Erwartungshaltungen haben wir am Set überhaupt nichts mitbekommen“, erzählt Liv Lisa Fries, die Charlotte Ritter verkörpert, dem Tagesspiegel. „Es wurde auch vonseiten der Produktion so vereinbart, dass wir während der Dreharbeiten für keine Interviews zur Verfügung stehen. Denn wir wollten hauptsächlich unserer Arbeit nachgehen, uns voll und ganz auf die Sache konzentrieren. So konnten wir in Ruhe dieses wunderschöne Sittengemälde fertigstellen“, sagt sie weiter.
Ein überwältigendes Ensemble
Zwei Staffeln, insgesamt 16 Episoden, das ist physisch wie mental eine große Herausforderung für die Darsteller. Die 26-jährige Berlinerin Liv Lisa Fries, die für „Sie hat es verdient“ eine Goldene Kamera als beste Nachwuchsschauspielerin erhalten hat, achtet prinzipiell darauf, zwischen Projekten immer Pausen zu machen und nicht von einem Projekt ins nächste zu gehen. Der 37-jährige Volker Bruch geht anders mit dem Stress um: „Ich esse gerne Dinge, die mich beflügeln und ziehe mich regelmäßig irgendwo hoch oder drücke irgendwas weg, um die nötige Haltung und Energie aufrechtzuerhalten.“ Und wie Fries weiter sagt, „ich war ja auch nicht alleine. Die drei Regisseure und auch die anderen Schauspieler waren alle inspirierend und kraftspendend.“ Das Ensemble ist tatsächlich eine überwältigende Ansammlung namhafter Schauspieler. Darunter Matthias Brandt, Fritzi Haberlandt, Misel Maticevic, Hannah Herzsprung, Benno Fürmann, Ernst Stötzner, Günter Lamprecht, um nur einige zu nennen, perfekt besetzt wie Peter Kurth, der als Raths Vorgesetzter Oberkommissar Bruno Wolter in jeder Hinsicht zur Vorstellung des Piefke-Berliners jener Jahre passt.
Berlin als weiterer Hauptdarsteller
Ein weiterer, zentraler Hauptdarsteller ist das Berlin jener Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, der Europa und die Menschen in ihren Grundfesten erschüttert hat. Ja, es gibt den Charleston und ausgelassene Feiern. Ja, es gibt Emanzipation und Freizügigkeit. Aber genauso gibt es in „Babylon Berlin“ viele ruhige, nachdenkliche Momente jenseits der Glitzerwelt. Der Krieg, obwohl seit über zehn Jahre beendet, ist noch immer präsent, durch kriminelle Ringvereine ehemaliger Wehrmachtskämpfer sowie durch Kriegsversehrte und Kriegerwitwen, die sich durchs Leben schlagen müssen. All das gibt es ebenso wie die Radikalisierung der Straße und immer wieder das wilde, ausschweifende Berlin.
So, als ob es keinen nächsten Tag gäbe. In jedem Fall nimmt die thematische Tiefe der Serie mit jeder neuen Episode zu. Aus den Porno-Ermittlungen und der Erpressung entwickelt sich eine Gemengelage aus Korruption, Drogengeschäften und Waffenhandel von internationalem Ausmaß, die bis nach Moskau und dem Streit zwischen Trotzkisten und Stalinisten reicht.
Und was, wenn „Babylon Berlin“ so erfolgreich wird, dass auch die übrigen Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher zu TV-Serien werden? Liv Lisa Fries ängstigt die Vorstellung nicht. „ ,Babylon Berlin‘ und Charlotte Ritter sind für mich keine Einschränkung. Was mich an ihr fasziniert, ist ihre Komplexität. Sie ist sehr neugierig, sehr ehrlich und authentisch. Sie ist auf der Suche nach der Wahrheit. Um diese herauszufinden, geht sie sehr geradlinig und hin und wieder nicht immer ganz korrekt zur Sache. Sie ist aber nicht nur eine starke Frau, sondern hat auch Ängste, dunkle Seiten und Abgründe.“
„Sind wir mal ehrlich: ,Babylon Berlin‘ ist ein Geschenk für alle Schaffenden und Schauenden“, meint Volker Bruch. „Ich bin einfach nur sehr, sehr glücklich und dankbar, dass mich dieses Projekt mit an Bord genommen hat. Und es fühlt sich so an, als wäre ich irgendwie, irgendwo angekommen, von wo es jetzt erst so richtig losgeht!“
Maßstab für kommende Produktionen
„Babylon Berlin“, an dieser TV-Serie müssen sich kommende Produktionen messen lassen. Doch die ungewöhnliche Koproduktion von Pay-TV-Anbieter und gebührenfinanziertem Free-TV-Sender hat viele Fragen aufgeworfen, deren Antworten möglicherweise anders ausfallen, als von den Partnern erhofft. Reichen die Vorschusslorbeeren aus, um Sky neue Abonnenten zuzuführen? Und was hält das Publikum davon, dass die ARD doppelt so viel in diesen Versuch investiert, um die gefeierte Serie erst ein Jahr später zeigen zu können?
„Babylon Berlin“, 16 Episoden, ab Freitag um 20 Uhr 15 mit wöchentlichen Doppelfolgen bei Sky 1 sowie unter anderem über Sky Ticket. Ab 24. November sind alle Folgen komplett verfügbar. Die ARD zeigt die Serie ab Herbst 2018