Game of Thrones: Lecker Fleisch
„Game of Thrones“ ist eine Fernsehserie, die erfolgreich ist, weil sie erfolgreich von der Norm abweicht. Jetzt startet die vierte Staffel - und der Hype dürfte sogar noch größer werden.
Am heutigen Montag startet in den USA und beim deutschen Pay-TV-Sender Sky die vierte Staffel der Serie „Game of Thrones“. Man braucht nicht mit Melisande, der hellsehenden Priesterin der Serie, ins Feuer zu schauen, um voraussagen zu können, dass sich der Hype eher noch steigern wird. Im Gefolge der HBO-Serie erklimmt auch deren Vorlage, George R.R. Martins „Lied von Eis und Feuer“ unaufhaltsam die Bestsellerlisten.
Bis vor kurzem noch hatte die literarische Fantastik samt ihrer Unterabteilung Fantasy einen denkbar schlechten Ruf. Unvergessen der Kommentar, als mir vor langen Jahren der Buchhändler meines Vertrauens mit spitzen Finger den ersten Band Harry Potter über den Ladentisch reichte: „Bin ich froh, dass ich so was nicht lesen muss!“ Offenbar dachte er, ich sei als Literaturwissenschaftlerin irgendwie beruflich gezwungen, solche Machwerke zu lesen. Gründlicher kann man nicht irren. Denn gibt man sich in Fachkreisen als Kennerin solch inkriminierter Werke wie „Die Tribute von Panem“ oder eben Martins „Song of Ice and Fire“ zu erkennen, riskiert man schmallippige Erwiderungen: Nein, man sei froh, die eigene Lebenszeit nicht mit so was zu verschwenden. Und nein, man lese grundsätzlich keine Fantasy. Peinliche Pause, Gespräch verendet.
Doch nun wird alles anders! „Game of Thrones“ erscheint wie das Flaggschiff des Eroberungsfeldzugs, den die Fantasy massenmedial antritt. Doch was macht eigentlich den Erfolg dieses vom Mittelalter, Rosenkriegen und Kreuzzügen inspirierten blutigen Epos über die Machtkämpfe, Kriege und Intrigen einiger Adelshäuser in Westeros aus?
Indizien liefert vielleicht das kulturelle Umfeld – in diesem Fall Sky, das die Serie hierzulande ausstrahlt. Der Pay-TV-Sender warb mit dem Slogan „Wenn Du wirklich Hunger hast, isst Du keinen Salat.“ Die Bilder dazu zeigten Fleisch, zu saftigen Burgern gebratenes Fleisch.
Offenkundig stillt „Game of Thrones“ den Hunger auf etwas, das nicht vernünftig, nicht gesund, nicht Salat ist. Alles ist roher, größer, edler, gemeiner, blutiger als im echten Leben. Vor allem aber ist die Serie ebenso wenig politically correct wie der offen ausgestellte Fleischgenuss. Verkörpert wird dies im Wortsinn von der Figur Tyrion Lannister. Der kleinwüchsige, von Peter Dinklage gespielte Adelige wird selten mit seinem Namen angesprochen, dafür häufig als „Zwerg“, „Gnom“ oder „Halbmann“ tituliert. Zumeist sind diese Bezeichnungen herabsetzend und kränkend gemeint. Hier benennen sie aber einen Tatbestand, der von der Norm abweicht, und einen Bruch mit der heute normativ geregelten Sprachform, der zufolge es keine Zwerge gibt.
Nun ist es gerade dieser „Halbmann“, der zum Zentralgestirn und Publikumsliebling avanciert. Das liegt nicht allein an Dinklages eindringlicher und ironischer Darstellung. Als er auf den jungen Bran Stark trifft, der nach einem Sturz von den Burgmauern gelähmt ist, nennt er ihn einen „Krüppel“. Bran jault auf: „Ich bin kein Krüppel!“ Tyrion trocken: „Dann bin ich kein Zwerg“. Schau der Wahrheit ins Gesicht, rät Tyrion abschließend, dann kann sie keiner gegen dich verwenden. Dabei entsteht einer dieser raren Momente, in denen Fiktion und „Realität“ sich zu verbinden scheinen, kommt hier doch ein Jenseits der Rolle ins Spiel: Dinklage – der einmal erzählte, dass seine Eltern ihm nie geholfen hätten, an höher stehende Gegenstände heranzukommen – beglaubigt diese Erkenntnis mit seinem Körper. Die Wahrheit, das stellt diese Serie in ihren Sex-, Gewalt- und Folterszenen geradezu exzessiv aus, liegt nicht in der Sprache, sie liegt im Körper. Inszeniert werden Leiber, die als begehrende, gefolterte, versehrte, von der Norm abweichende eine Kreatürlichkeit zeigen, die das Gegenteil des durch Rohkost, Dauerdiät und Fitness durchoptimierten Gegenwartskörpers ist.
Und welcher Geist passt zu diesem Körper? Kaum der rationale, vernünftige, tagsichtige. Zwar werden weiterhin jeden Abend rund ein Dutzend Krimis im Fernsehen gesendet, aber nicht nur für den Fernsehzuschauer gilt: Die Anderen kommen! Was diese Horrorwesen uns sagen wollen, müssen wir noch herausfinden. Überhaupt erscheinen Krimis im Vergleich zunehmend als literarische Beruhigungspillen der Zeit. Das Genre hat die höheren Weihen erhalten, respektive ist es im Zeitalter seiner eigenen Verstaubtness angekommen. Ein weiteres, gravierendes Symptom ist der Boom der Regionalkrimis: Krimis sind unsere zweite Heimat geworden. So heimelig, so warm und vernünftig, mit Dialekt, mit gutem, vor allem logischem Ende.
Dieses herz- und bauchwärmende und zugleich beruhigend rationale Ende ist bei „Game of Thrones“ nicht in Sicht. Stattdessen drohen Willkür, Irrationalität und übersinnliche Phänomene. Wenn’s allzu vernünftig und heimelig zugeht, soll es uns wieder unheimlich werden. Salat ist nur eine Beilage.