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„Ätzend“ heißt der zweite Berliner „Tatort“ mit Meret Becker, 46, und Mark Waschke, 43. Als Kommissare Nina Rubin und Robert Karow müssen sie darin einen Säuremord aufklären – und sich als Team noch finden. In der ARD am Sonntag um 20 Uhr 30.
© rbb/Volker Roloff

Interview mit Berliner "Tatort"-Kommissaren: „Kreuzberg ist im Arsch“

Interview mit Meret Becker und Mark Waschke über ihren zweiten „Tatort“, Berlin und Flüchtlinge im Fernsehen.

Frau Becker, Herr Waschke, Ihr zweiter „Tatort“ nach dem Auftakt "Das Muli" ist politisch hochaktuell: Eine Familie aus dem Iran lebt illegal in Berlin und gerät ins Visier der Ermittler. „Ist doch absurd, der eine Mensch ist legal und der andere nicht“, sagt Kommissarin Nina Rubin. Kann der „Tatort“ mit solchen Sätzen die Zuschauer mehr zum Nachdenken bringen als eine Runde „Günther Jauch“ zum Thema Flüchtlinge?

WASCHKE: Ich finde es ganz fatal zu denken, man könne mit sympathischen oder unsympathischen Dialogen der Kommissare das Publikum zu irgendeiner Haltung erziehen. Das wäre auch vermessen, ja fast schon wie Staatsfernsehen. Der „Tatort“ kann als letztes Fernsehlagerfeuer aber sicher Themen in den Fokus rücken, die sonst nirgends auftauchen.

BECKER: Ich beschäftige mich nicht damit, wer „Günther Jauch“ guckt oder was der bewegt. Aber der „Tatort“ ist eine Sendung, die viele Menschen schauen und darunter sind vielleicht auch solche, die sich mit einem bestimmten Thema noch nie beschäftigt haben – und plötzlich gucken sie sich das an, weil es der „Tatort“ ist. Das ist ein leiser, schöner Nebengedanke. Wobei ich jetzt nicht glaube, das ich irgendwen mit dem „Tatort“ bekehren kann.

Würden Sie das denn wollen?
BECKER: Na klar, sofort. Reißt die Mauern ein, geht durch Grenzen. Hört auf, Kriege zu führen. Liebt euch.

WASCHKE: Es wäre fürs Erste schon toll, wenn Filme oder Serien von Menschen wie Flüchtlingen handeln, ohne dass sie gleich in einem kriminellen Zusammenhang auftauchen. Das ist nun mal beim „Tatort“ nicht möglich, weil es da um einen Mord geht, der nach 90 Minuten aufgeklärt sein muss. Aber ich wünsche mir darüber hinaus Formate, die über Menschen erzählen, die illegal in dieser Stadt leben.

In der „Tatort“-Folge „Ätzend“ geht es um ein weiteres aktuelles Berlin-Thema: Eine Laubenkolonie wird platt gemacht zugunsten von Luxusbauten. Hat sich das Stadtbild tatsächlich zum Negativen verändert?
BECKER: Ich bin Kreuzbergerin seit wer weiß wie lange schon. Und ich muss leider sagen: Es ist im Arsch. Es ist kaputt. Ein Frozen-Joghurt-Laden wird gejagt vom nächsten, sogar die Galerie Endart hat dichtgemacht. Aber das Irre an Berlin ist ja, dass es die Leute dann irgendwie doch noch schaffen, kleine Sachen zu basteln, die spannend bleiben.

Herr Waschke, Sie wohnen in Tiergarten/Mitte. Ist das auch im Arsch?
WASCHKE: Am fatalsten finde ich die Mietpreisentwicklung und das absolute Versagen der Politik, ganze Stadtbezirke vor ihrer kompletten Umstrukturierung zu bewahren. Die Wohnung von Robert Karow liegt an der Ecke Hallesches Ufer und hat in den vergangenen Jahren eine Mietpreissteigerung von 30 Prozent erfahren. Das ist legal – und komplett absurd. Menschen, die hier leben wollen, werden irgendwann an den Rand gedrängt, weil sich nur noch sehr reiche Menschen das Leben in der Innenstadt leisten können.

Was ist dagegen zu tun?
WASCHKE: Das ist eine Frage an die Politik. Aber ich finde es toll, dass es diese sperrige Energie in Berlin gibt, die sich auch beim „Nein“ gegen die Bebauung des früheren Flughafens Tempelhof gezeigt hat. Ich glaube, dass in Zukunft viele Fragen auf die Stadt zukommen, wo diese Chuzpe gefordert ist.

Ist es denn schon so weit gekommen, Frau Becker, dass Sie aus Kreuzberg wegziehen würden?
BECKER: Es ist tatsächlich so, dass ich demnächst wegziehe, aber das hat andere Gründe. Sonst würde ich schon versuchen, die Fahne hochzuhalten.

Und wo halten Sie künftig die Fahne hoch?
BECKER: Das soll privat bleiben.

Vom Privatleben Ihrer beiden Kommissare Nina Rubin und Robert Karow erfährt der Zuschauer auch in der zweiten Folge nur wenig, nur häppchenweise wird die Geschichte aus der ersten Folge aufgegriffen und weitergedreht. Mögen Sie diese horizontale Erzählweise?
WASCHKE: Ja, denn selbst wenn der Zuschauer nicht mehr genau weiß, was vorher passiert ist, spürt er, dass es da noch etwas über den Fall hinaus gibt, das die Figur beschäftigt. Und das ist sehr nah dran am echten Leben. Das läuft auch nicht so, dass mal ein Mord passiert, der der nach 90 Minuten aufgeklärt wird und dann kommt irgendwann der nächste.

"Tatort" muss keine Lebensaufgabe sein

Zuletzt haben sich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen entschieden, für den ARD-Sonntagskrimi keine Morde mehr aufklären zu wollen: Sylvester Groth hat sich aus dem „Polizeiruf“ verabschiedet, das Erfurter Trio gab den „Tatort“ bereits nach zwei Folgen wieder auf, gerade erst hat Petra Schmidt-Schaller ihren Dienst an der Seite von Wotan Wilke Möhring quittiert. Ist der „Tatort“ nicht mehr der Sehnsuchtsort, der er für deutsche Schauspieler einmal war?
WASCHKE: Das weiß ich nicht, ich kann ja nicht für die anderen sprechen, aber die Frage ist: Muss das eine Lebensaufgabe sein für 20 Jahre? Oder reicht es nicht auch, wenn man fünf „Tatorte“ gedreht hat und dann ist gut? Wenn eine Geschichte nicht inspirierend ist, dann hat man da auch als Schauspieler irgendwann keine Lust mehr drauf.

Wie inspirierend empfinden Sie denn bisher Ihre „Tatort“-Geschichten?
WASCHKE: Ich mag es, wenn Serien etwas mit mir machen, wie „Homeland“ und „Sopranos“. Wenn ich im besten Sinn kathartisch erschüttert werde, also gefühls- und gedankenmäßig anders auf die Welt schaue. Und ich finde, dass das bei unserem ersten Fall möglich war und ich finde, dass es auch bei der zweiten Geschichte um so etwas geht. Den Krimi könnte man vielleicht auch in zehn Minuten aufklären, aber man erzählt etwas von Menschen, die gemeinsam in dieser Stadt leben. Und das hat eine Wucht.

Ihr Vertrag mit dem RBB läuft über vier Folgen. Wollen Sie mit dem „Tatort“ weitermachen?
BECKER: Man muss sich ja erst mal aneinander gewöhnen, aber bisher läuft alles gut. Und wenn beide Seiten das so sehen, kann man sicher weitermachen. Und dann immer wieder neu entscheiden. Denn was weiß ich, wo ich in fünf Jahren bin. Vielleicht in Australien, um Kängurus zu züchten. Vielleicht gibt es den „Tatort“ dann ja auch nicht mehr.

WASCHKE: Ja, vielleicht wird er verboten. Weil er zu politisch geworden ist und zur Revolution aufruft – wenn wir das schaffen, haben wir unser Ziel erreicht.

Das Interview führte Sonja Álvarez.

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