Literarisches Quartett 2.0: Kluger Überschwang
Prinzip Risiko-Minimierung: Das neue „Literarische Quartett“ mit Volker Weidermann, Maxim Biller und Christine Westermann - da weiß der Sender, was er hat.
Jetzt wird der Vorhang also wirklich wieder geöffnet für das „Literarische Quartett“. Am 3. Oktober kommt die Premierensendung der Neuauflage, aufgenommen im Berliner Ensemble, und am Ende dürften zwar abermals alle Fragen offen bleiben, aber bestenfalls hat man sich schön über Bücher und Literatur unterhalten und gestritten. Ob es aber noch einmal so wunderbar wird wie seinerzeit in den dreizehn Jahren mit Marcel Reich-Ranicki? Mit Volker Weidermann als Leiter und gewissermaßen Gastgeber (in der Reich-Ranicki-Rolle), mit Christine Westermann und Maxim Biller als ständige, ihm zur Seite sitzende Mitstreiter (also in den Rollen von Sigrid Löffler und Hellmuth Karasek) und mit einem jeweils wechselnden Gast (so wie das in der Erstauflage ebenfalls gehandhabt wurde)?
Die Runde wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich, seltsam zusammengewürfelt, mit gerade mal einem ausgewiesenen Literaturkritiker. (Der Gast soll dann immerhin stets von der Literaturkritik kommen). Weidermann und Biller sind dem Fernsehpublikum weitestgehend unbekannt, was nur von Vorteil sein kann: Der 1969 geborene Literaturkritiker Weidermann war 14 Jahre Feuilletonchef bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, ist seit Anfang Mai beim „Spiegel“ und hatte zuletzt mit einem Buch über die Freundschaft von Stefan Zweig und Joseph Roth, „Ostende 1936. Sommer der Freundschaft“, einen veritablen Bestseller. Maxim Biller wurde zwar einst mit seiner für die Zeitschrift „Tempo“ geschriebenen 100-Zeilen-Hass-Kolumne bekannt, ist jedoch hauptberuflich Schriftsteller: ein begnadeter Geschichtenerzähler („Bernsteintage“), ein nicht ganz so begnadeter Romancier („Esra“). Christine Westermann wiederum kennt man vom Bildschirm, von der WDR-Sendung „Zimmer frei“ mit Götz Alsmann, und aus dem Radio: Auf WDR 2 moderiert sie den „Buchtipp“.
Biller ist der viel streitbarere Kopf
Westermann und Biller seien seine Wunschkandidaten gewesen, hat Weidermann in einem ganzseitigen Interview mit der „Zeit“ gesagt. Was beim ZDF im Fall von Westermann sicher auf viel Zustimmung stieß, von wegen Risikominimierung, da weiß der Sender, was er hat. Zumal Westermann vor allem Buchempfehlerin ist, Fachfrau für die gehobene Unterhaltungsliteratur, allerdings ohne das Temperament einer Elke Heidenreich.
Biller ist interessanter, der viel streitbarere Kopf, der kein Problem damit haben dürfte, Krach zu schlagen. Und nicht damit, seine Schriftstellerkollegen auseinanderzunehmen: „Ich will mit all den Leuten nichts zu tun haben“, hat er gerade in einem „Spiegel“-Text von Weidermann über die deutschsprachige Literatur von Autoren nicht deutscher Herkunft gesagt, „Kein Schriftsteller ist mein Freund.“
Und Weidermann? Ist auf dem Papier sicher die richtige Besetzung, um die MRR-Rolle zu übernehmen. Daraus, dass Reich-Ranicki eines seiner großen Vorbilder ist, hat er nie einen Hehl gemacht, „vieles von ihm ist in mir drin“. Weidermanns Literaturkritiken zeichnen sich durch klugen Überschwang und einen gewissen Furor aus, einen manchmal schön erzählerischen, manchmal etwas melodramatischen. Trotzdem weiß Weidermann natürlich, dass der Schatten groß ist, dass Literaturkritik, Literaturliebe und Literaturbegeisterung sich im Fernsehen noch einmal anders darstellen als in der Zeitung. Die Erwartungen, das zeigt allein das riesige „Zeit“-Interview, sind groß: nicht in der Fernsehwelt, in der die Literatur nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Aber doch im Literaturbetrieb, wo man die Kluft zwischen der gefühlten und der momentan real existierenden Bedeutung von Literatur gern wieder schmaler werden ließe. Vielleicht geht da ja was mit dem „Literarischen Quartett“ 2.0.
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