Unser Star für Baku: Kein bisschen Frieden
Der Eurovision Song Contest bringt in diesem Jahr viele junge Musiker nach Aserbaidschan. Freiheit steht dort nicht auf dem Programm.
In Aserbaidschan herrsche „ein Klima der Angst und Repression“, rügte Reporter ohne Grenzen (ROG), eine internationale nichtstaatliche Organisation, die sich um Pressefreiheit und Verfolgung von Journalisten kümmert. Das, so Michael Rediske, der Vorstandssprecher der deutschen Sektion, dürfe auch der Eurovision Song Contest nicht ausblenden. Die Endrunde des Sängerwettstreits, bei dem 2011 Aserbaidschan das Rennen machte und deshalb die nächste Runde ausrichten darf, findet am 26. Mai in der Hauptstadt Baku statt.
Ihre Warnung ließen die Watchdogs los, kurz bevor in der ARD „Unser Star für Baku“ auf Sendung ging, der deutsche Vorentscheid. Aus gutem Grund: Europa interessiert sich vor allem für Menschenrechtsverletzungen in Russland. Moskaus Ex-Vasallen dagegen sind auch 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion für den Westen noch immer mehr oder minder Terra incognita, auch wenn der deutsche Ex-Nationaltrainer Berti Vogts derzeit der aserbaidschanische Fußballnationalmannschaft vorsteht.
Aserbaidschan möchte den Sängerwettstreit auch für Eigenwerbung nutzen. Das genaue Programm ist derzeit noch Staatsgeheimnis, die offizielle Website wurde indes schon tausendfach angeklickt und sorgt für eine positive Selbstdarstellung. Die kleine Republik im Südostkaukasus, bisher vor allem als Öl- und Gaslieferant bekannt, ist seit Jahren bemüht, auch westliche Touristen ins Land zu locken, und wirbt dazu mit der nächtlichen Skyline der Hauptstadt Baku, faszinierenden Landschaften und historischen Sehenswürdigkeiten.
Wer dagegen nach Fakten zur jüngsten Geschichte des Landes mit seinen rund neun Millionen Einwohnern sucht, wird mit einem Satz abgespeist: Nach 70 Jahren Sowjetherrschaft erlangte Aserbaidschan am 18. Oktober 1991 die Unabhängigkeit, nach harten Jahren geht es langsam voran, so dass die Weltbank Aserbaidschan 2008 unter den zehn Top-Reformern weltweit listete – kein Wort zu den Verfolgungen von Andersdenkenden.
Seit Haydar Alijew 1993 den liberalen Präsidenten Abulfaz Elçibey stürzte und ein autoritäres Regime etablierte, werden kritische Journalisten systematisch bedroht, unter Druck gesetzt, verhaftet, gefoltert, entführt und sogar ermordet. Für weltweites Aufsehen sorgte erst im letzten November die Messerattacke gegen Rafiq Tagi. Der 61-Jährige war auf dem Heimweg überfallen und angegriffen worden, vier Tage später starb er im Krankenhaus. Ermittler vermuten als Motiv für den Mord Rache. Tagi hatte für die kritische Zeitung „Sanat“ gearbeitet und sich schon dort mit Polemiken gegen den autoritären Präsidenten Ilham Alijew – den Sohn Haydars, der 2003 starb – und mit Kritik am Islam und dem Propheten Mohammed unbeliebt gemacht.
Das brachte ihm zunächst ein Fatwa – ein religiöses Rechtsgutachten – eines iranischen Großajatollahs ein, das die Tötung Tagis zu einer Gott wohlgefälligen Tat erklärte. Ganz Aserbaidschan gehörte bis ins 19. Jahrhundert zum Iran, in beiden Staaten bekennt sich die Mehrheit der Bevölkerung zum schiitischen Islam. Iranische Geistliche missionieren eifrig in der Republik Aserbaidschan, deren Regierung sieht trotz gespannter Beziehungen zu Teheran keinen Handlungsbedarf, was Tagi ebenfalls anprangerte. Wegen Anstiftung zu religiösem Hass wurde er im 2006 zu drei Jahren Haft verurteilt, nach internationalem Druck begnadigte Alijew ihn 2007 jedoch.
Aserbaidschan rangiert beim internationalen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen mittlerweile auf Platz 152: hinter dem Irak oder Afghanistan. Auch der Donnerstag vorgestellte Jahresbericht von Freedom House kritisiert, die Ex-Sowjetrepubliken Kasachstan und Aserbaidschan hätten politische Grundrechte und Freiheiten 2011 weiter eingeschränkt. Zu Recht.
Die wichtigsten Medien, allen voran das Fernsehen, werden vom Staat kontrolliert. Westliche Rundfunksender wie BBC und Radio Free Europe, können seit 2009 nur noch über das Internet empfangen werden. Die Hörer fragen sich, wie lange noch. Denn die Regierung plant Gesetze, um auch Internetmedien stärker zu kontrollieren. Ein Dorn im Auge sind den Machthabern nicht nur kritische Blogs, sondern auch soziale Netzwerke, über die sich die Menschen, ähnlich wie in Russland, zu Protesten verabreden. Die Regierung geht nicht nur gegen die Teilnehmer brutal vor.
Bei Massendemonstrationen wie zuletzt im Frühjahr 2011 verhindert die Polizei Kontakte zwischen Journalisten und Protestlern, beschlagnahmt und zerstört Ausrüstung und Material. Reporter werden festgenommen und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Wer in Baku „laut ,Freiheit‘ ruft, riskiert bis zu zehn Tage Gefängnis“, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Für Aufsehen sorgte der Fall Enullah Fatullajew. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das gegen ihn ergangene Urteil von vier Jahren Haft schon im April 2010 für rechtswidrig erklärt. Das Regime in Baku setzte sich über den Spruch jedoch einfach hinweg. Fatullajew wurde nach massivem internationalem Druck wenige Tage nach dem Sieg Aserbaidschans beim Eurovision Song Contest von Alijew lediglich begnadigt.
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