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Lachgeschichten. Bei Pro 7 läuft die US-Sitcom „Two and a Half Men“ noch in der Besetzung Charlie Harper (Charlie Sheen, links), Jake (Angus T. Jones, Mitte) und Alan (Jon Cryer). Jetzt ist Sheen rausgeflogen, dafür kommt Ashton Kutcher.
© Pro 7

Show about nothing: Kasperletheater für Erwachsene

Sehr komisch, die amerikanischen Sitcoms. Auch das deutsche Publikum amüsiert sich. Wo bleiben aber die Lach-Produkte made in Germany?

In „Two and a Half Men“ sitzen Charlie, sein Bruder Alan und die „halbe“, aber sehr wohl genährte Portion Jake am Tisch; die Männer erzählen sich schmutzige Witze. Plötzlich lacht Jake hellauf und kräht: „Guter Witz!“ Charlie und Alan schauen einander, dann den Jungen konsterniert an. „Hast du das etwa verstanden?“ „Nein“, sagt Jake, „und deshalb dachte ich: Der Witz muss gut sein.“

Was hier passiert, ist Sitcom. Und die funktioniert nach diesen vier Regeln: 1. Man redet sehr schnell. 2. Man äußert seine Gedanken niemals gemäß den Erwartungen der Partner oder des Publikums, sondern gegenläufig. 3. Man sucht keinen Sinn und keine Entwicklung außer der Pointe. 4. Die Pointe selbst fällt nach Möglichkeit beiläufig.

Dass Männer sich am Tisch Witze erzählen und ein Halbwüchsiger mit gekrauster Stirn dabei sitzt, ist noch eine konventionelle Komödienkonstellation. Zur Sitcom wird die Szene, wenn der Junge die Erwartung: Jaja, die Jugend von heute ist mit allen Wassern gewaschen, ihr kann man nichts vormachen, durchkreuzt, zugibt, dass er nichts versteht und daraus den Schluss zieht, der Witz, der an ihm vorbeigegangen ist, sei gut. In dieser Volte steckt nicht nur Raffinesse, sondern sogar eine Prise Poesie. Regel Nr. 2 ist jedenfalls in Reinkultur erfüllt.

Der Boden, auf dem diese subtile Art der Dialogkunst gewachsen ist, heißt Amerika, und die Geister, die den Boden schon zur Zeit der Dominanz des Hörfunks bestellt haben, sind die wunderbar trockenen, unglaublich witzigen und manchmal zynischen, immer aber irgendwie wegwerfenden, oft unbekannten Drehbuchschreiber vorwiegend jüdischer Herkunft. Der Export amerikanischer Sitcoms war und ist erfolgreich – die Welt liebt diese Art verbalen Slapsticks. Der Import des Musters scheint nicht so gut zu gelingen. Versuche unserer Privatsender, eine deutsche Sitcom zu kreieren, überzeugten nicht durchweg. Sicher, es gab und gibt „Das Amt“, „Stromberg“, „Alles Atze“ und „Hausmeister Krause“, aber diese Werke werden korrekt als Comedyserien geführt – der Sitcom zwar verwandt, aber doch was anderes. Die vier Regeln gelten hier nicht unbedingt, die Handlung hat eine gewisse Folgerichtigkeit, und es kommt vor, dass Figuren sich entwickeln. Außerdem tritt das parodistische Element („Stromberg“) gern mal in den Vordergrund.

Die amerikanische Sitcom weist dagegen eine kreisförmige Dramaturgie auf, die Personen bleiben sich gleich, die Stimmung wechselt nur, um wieder zurückzuschwappen, und die Pointen knattern wie die Schüsse bei einem Showdown, es geht um nichts. Die entlastende Sinnfreiheit gibt der Komik viel Raum, sie bildet das Vakuum, in das die Witze wie Luftblasen reinzischen. Die Sitcom „Seinfeld“ nannte man in Amerika „Show about nothing“.

In „Scrubs“ (aktuell bei Pro 7, keine Sitcom im strengen Sinne, sondern eine Comedyserie, aber die Dialoge folgen der Sitcom-Machart) beschließt das Paar Doc Turk und Schwester Carla, zwei Workaholics im Krankenhaus, die nie Zeit haben, sich pro Tag mindestens einmal zu küssen. Ein befreundetes Paar, auch im Krankenhaus tätig und meist überarbeitet, schaut neidisch zu. „Das müssen wir auch schaffen“, findet er, „wir sollten zwei Küsse pro Tag hinkriegen.“ Missbilligend bemerkt sie: „Liebe ist kein Wettbewerb.“ Er (zerknirscht): „Du hast recht“. Sie: „Drei Küsse?“ Und sie fangen gleich an.

Was ist hier passiert? Die Frau fügt sich zunächst den guten Sitten, denen zufolge Liebe nicht mit Leistungsnormen vermischt werden sollte, und kaum hat ihr Partner zugestimmt, ist sie es, die auf die guten Sitten pfeift. Diese Gelenkigkeit des Geistes, sein Dreh- und Springvermögen ist es, das die amerikanischen Autoren den deutschen voraus haben. Hier seien ein paar Namen genannt: Jerry Seinfeld und Larry David für „Seinfeld“ (bei ZDF neo), Chuck Lorre und Lee Aronsohn für „Two and a Half Men“ (Pro 7 und Kabel eins), Ron Leavitt für „Eine schrecklich nette Familie“ (Kabel eins).

Es ist wahrscheinlich besser, gar nicht erst zu versuchen, es den Amerikanern gleichzutun. Deutsche Fernsehschaffende kopieren ohnehin viel zu viel. Es gibt Felder, die man denen überlassen soll, die sie ursprünglich abgesteckt haben. Gescheites Einkaufen ist auch was wert. So kann man den Scouts der Kommerzsender, die einst für den deutschen Markt die „Schrecklich nette Familie“, die „Golden Girls“ (Super RTL), „Seinfeld“, „Two and a Half Men“ adaptiert haben, gar nicht dankbar genug sein. Irgendjemand hat diese unsterblichen Sitcoms ja sogar synchronisiert – meistens war das akzeptable Arbeit. Was will man mehr?

Man möchte es schon auch hinkriegen. Es kann doch nicht sooo schwer sein. Die Grundausstattung ist einfach: eine Guckkastenszenerie (oft eine Art Wohnküche), hinter deren „vierter Wand“ man ein Publikum wähnt, das den Spaß mit munterem Gelächter quittiert, aber das kommt vom Band, vom „laugh track“. Das Ganze ist eine Studioproduktion, selbst Quasi-Außendrehs, wie zum Beispiel eine Kneipe, werden als Kulisse nachgebaut. Das Personal ist überschaubar, meist genügen drei bis fünf Hauptfiguren. Ein paar Nebentypen müssen sein, und die kriegen oft schon Lachapplaus, wenn sie nur reinkommen – so die adipöse Haushälterin Berta in „Two and a Half Men“. Eine Folge dauert netto (ohne Werbung) 22 Minuten. Das hört sich nicht nach großem Aufwand an. Aber nun kommt’s: pro Minute müssen da – na, sagen wir: zwanzig Knaller losgelassen werden, wenn nicht mehr. Und die vier Regeln müssen eingehalten werden. Das wiederum ist allerhöchste Anforderung.

In „How I Met Your Mother“ (Pro 7) sitzt das Hauptpersonal, ein Freundeskreis um Fiesling Barney, gut gelaunt beieinander und hechelt die Party vom vergangenen Samstag durch; es war ein ungebetener Gast dabei, irgendjemand hatte ihn eingeschleppt, aber eigentlich kannte ihn keiner. „Mich hat er an den Po gefasst“, tönt eine der Frauen. „Mich auch“, fällt die zweite ein. „Und mich auch“, ruft Barney, „wie viele Hände hat dieser Mensch?“ „Deshalb spielt er so gut Gitarre“, bemerkt ein Freund Barneys. Er setzt diese Pointe sehr locker, ganz leise und absolut beiläufig unter den vorherigen erregten Dialog – das war ein prima Beispiel für Regel vier.

Es gibt wahrscheinlich in Amerika Schulen, wo man als Autor den Mechanismus dieser Pointenkonstruktion lernt; häufig wirkt das Feuer der Gags eher mechanisch als inspiriert. Aber abgesehen von der möglichen Lernbarkeit des Sitcom-Humors steht er für eine bestimmte Mentalität, für eine Haltung zum Leben, für eine Art, die Dinge zu sehen. Der jüdische Einfluss wurde schon genannt. Er ist sozusagen die wiedererkennbare Marke: das Wegwerfende, das Scharfe, das Schwarze, die Neigung zur Bizarrerie. Aber in den Sitcom-Humor mischt sich auch der Überdruss an der Political Correctness, die Lust an der Provokation durch die Verweigerung der neuesten Wohlverhaltensvokabeln, durch den Rückgriff auf abgelebte Klischees, die so, aus der Mottenkiste auferstanden, aus sich selbst heraus komisch sind.

Die Deutschen haben wahrscheinlich durch ihre jüngere Geschichte eine Vorsicht im Selbstausdruck gelernt, die sie immer bremst, bevor es wirklich komisch werden könnte. Und dass das lebhafte, belebende und gerne mal bösartige Element des jüdischen Witzes in ihrem Humor-Bukett fehlt, das haben sie sich schließlich selbst zuzuschreiben. Sie wissen das und büßen, zum Beispiel dadurch, dass die Welt ihnen – ein wenig ungerecht ist das schon – den Humor gleich gänzlich abspricht.

Es ist immer besser, wenn ein Schriftsteller oder Drehbuchautor die Figuren achtet, die er erschafft, wenn er es vermeidet, sich über sie zu erheben. In der Sitcom stellt sich dieses Problem nicht, weil deren Figuren dazu auf die Welt gekommen sind, sich selbst zu destruieren. Sie tun das mit wachsender Begeisterung, was jeder Sitcom trotz ihrer Alltagsnähe eine ausgesprochene Künstlichkeit verleiht. Und so plötzlich die Personen zusammenbrechen, so rapide rappeln sie sich wieder auf. Es ist ein unablässiges Hin und Her zwischen Niedergang und Aufstieg, Blamage und Stolz, Ohrfeigeneinstecken und Ohrfeigenausteilen. Wenn irgendeine Kunstform das alte Kasperletheater beerbt hat, dann die Sitcom.

Es steckt nun in der zirkulären Dramaturgie der Sitcom eine herrlich entlastende Botschaft. Sie lautet: Wir Menschen bleiben, wie wir sind. Während die Heldenreise in Literatur und Film vom Drama der Entwicklung und der Selbstfindung erzählt, tut die Sitcom das Gegenteil. Sie winkt ab, sie verweist darauf, dass wir uns nicht ändern. Und dass wir alle, zuguterletzt, viel Lärm um gar nichts machen. Wahrscheinlich liegt in dieser Erkenntnis der letzte Grund für Komik.

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