"Entweder Broder": „Juden und Moslems werden dringend gebraucht“
Ein Gespräch mit den Beute-Deutschen Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über alle, die dieses Land ausmachen. Fürs Erste treten beide eine "Deutschland-Safari" in fünf Folgen an.
Henryk M. Broder,
geboren 1946, ist Deutscher mit Migrationshintergrund. Er war zwölf, als er mit seinen Eltern aus Polen über Wien nach Köln kam. Broder wurde Journalist, heute arbeitet er als Reporter für „Spiegel“ und „Spiegel Online“. Broder betreibt vieles, unter anderem auch den Blog „Achse des Guten“ (www.achgut.com).
Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Gizeh in Ägypten als Sohn eines Imams, ging mit 23 Jahren nach Deutschland. Er ist mittlerweile deutscher Staatsbürger und Mitglied der Zweiten Islam-Konferenz. Abdel-Samad forscht und lehrt am Institut für Jüdische Geschichte der Münchner Universität. Zuletzt erschien sein Buch „Der Untergang der islamischen Welt“.
Herr Broder, Herr Abdel-Samad, Sie sind zusammen auf „Deutschlandsafari“ gegangen. Was ist eine „Deutschlandsafari“?
ABDEL-SAMAD: Ganz einfach: eine Fahrt durch Deutschland, auf der ein Jude, Herr Broder, einem Moslem, also mir, Deutschland erklärt.
BRODER: Wir sind zwar beide BeuteDeutsche, aber Hameds Blick auf dieses Land ist noch etwas frischer als meiner, er ist ja erst seit fünfzehn Jahren hier.
Beute-Deutscher, was ist das denn?
BRODER: Der Begriff stammt aus dem Schlesischen und bedeutet eingemeindete Deutsche, meint also alle, die ohne Schäferhunde, Kohlrouladen und Lodenmäntel aufgewachsen sind, es aber später zu ihrem Integrationsprogramm erhoben haben. Das heißt nicht, Deutscher zweiter Klasse zu sein. Ganz im Gegenteil. Wir Beute-Deutsche sind die neuen Deutschen.
ABDEL-SAMAD: Weil wir uns dafür entschieden haben, Deutsche zu sein. Aber ich muss zugeben: Mir sagt der Begriff auch wenig. Ich bin einfach nur Deutscher.
BRODER: Das, was man Deutschtum nennen könnte, hat sich unglaublich diversifiziert. Es gibt die Mozzarella-Deutschen, die Toskana-Deutschen, die Mallorca-Deutschen und so weiter. Als ich 1958 nach Deutschland kam, eröffnete in Köln die erste Pizzeria. Heute bin ich froh, wenn ich irgendwo das Schild „Deutsche Küche“ entdecke. Ich bin inzwischen für jede Portion Königsberger Klopse dankbar. Deutschland ist ein völlig anderes Land geworden. Und ich finde: ein besseres.
Herr Broder, Sie werden uns von Sekunde zu Sekunde unheimlicher.
BRODER: Die meisten autochthonen Deutschen haben ein schreckliches Problem damit, Deutsche zu sein. Und sie missgönnen den Beute-Deutschen ihre Fröhlichkeit darüber, Deutsche zu sein. Für die autochthonen Deutschen ist das Deutschsein mit Leiden und Schwermut verbunden, mit diesem ganzen schweren Gepäck im Rücken. Ich habe das alles nicht. Ich reise mit leichtem Gepäck.
ABDEL-SAMAD: Und deshalb fällt es ihm auch nicht schwer, sich über Muslime lustig zu machen. Und mir nicht, mich über Juden lustig zu machen.
BRODER: Als Jude oder Moslem gehört man automatisch komischen Kollektiven an.
Sie finden die Deutschen nicht besonders komisch?
BRODER: Man kann den Deutschen vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie komisch sind. Und wenn sie komisch sind, dann unfreiwillig. Ich sage nur: Christian Wulff.
Sie haben auf ihrer Safari aber so viel Spaß gehabt, dass für uns nur ein Schluss übrig bleibt: Deutschland muss das lustigste Land der Welt sein.
BRODER: Wenn man es mit lustigen Augen sieht, dann ja. Ich habe dieser Tage Claudia Roth von den Grünen mit Kopftuch gesehen, als sie aus dem Iran zurückkam und sagte, man müsse die Beziehungen mit dem Iran verstärken. Die Frau wäre noch aus Theresienstadt zurückgekommen und hätte gesagt, wir müssen das Theater dort subventionieren. Ich finde das absolut komisch.
ABDEL-SAMAD: Ich finde die Deutschen extrem humorvoll. Vor allem die Bayern, wo ich herkomme.
Können Sie über Herrn Broder lachen, der ja, wie man sehen kann, zu jeder Dummheit bereit zu sein scheint?
ABDEL-SAMAD: Ja, kann ich. Auch wenn er es mir nicht immer leicht macht.
BRODER: Ich bin nicht nur zu jeder Dummheit, ich bin auch zu jeder Geschmacklosigkeit bereit.
ABDEL-SAMAD: Herr Broder scheint mir dazu geboren, Torheiten in der Welt zu verbreiten.
Ist Herr Broder ein Tor?
ABDEL-SAMAD: Ich würde sagen: ja.
Herr Broder, Wenn Sie der Tor sind, was ist dann Herr Abdel-Samad?
BRODER: Wir sind Antipoden. Hamed ist solide und seriös. Er glaubt, er könne mich nachträglich reparieren. Er glaubt, wenn er mich geschafft hat, dann könne er alle Juden schaffen. Er will ja Bundespräsident werden. Und da braucht er nun mal alle Stimmen, die er kriegen kann.
Herr Broder, wie sind Sie zu Herrn Abdel-Samad gekommen?
BRODER: Das war ganz einfach. Wir haben einen gemeinsamen Freund und der schrieb mir eines Tages, er kenne da jemanden, mit dem ich mich unbedingt mal treffen sollte.
ABDEL-SAMAD: Wir trafen uns das erste Mal in einem Münchner Café, aber das war nicht sehr lustig. Beim zweiten Mal, in Kopenhagen, wurden wir Freunde. Wir besuchten den alternativen Freistaat Christiania und Herr Broder fotografierte, obwohl er dort nicht fotografieren durfte, was er wusste, aber natürlich trotzdem tat. Er wurde verprügelt, wir haben geholfen.
BRODER: Es war ganz lustig. Die dänische Polizei erklärte uns, da könne man leider nichts machen. Unter 40 Mann würden sie nicht nach Christiania gehen. Und so wurden Hamed und ich Freunde.
Herr Broder, ist Ihnen in Deutschland auch nur Ähnliches widerfahren?
BRODER: Nein, und ich werde auch nicht bedroht.
Dann muss Deutschland für Sie das beste Land der Welt sein.
BRODER: Das zweitbeste. Das Beste ist Island. Ich finde Island großartig, ich weiß auch nicht warum. Ein winziges Land, eigentlich eine Absurdität. Zwar außenhandelsinsolvent, aber die Leute im Land leben ganz gut. Und das Schönste: Meine drei Problemvölker sind nicht vertreten. Es gibt dort keine Deutschen, keine Juden und keine Araber. Ein friedliches Land.
Herr Abdel-Samad, wie finden Sie Deutschland?
ABDEL-SAMAD: Deutschland ist für mich ein begabtes Kind, das zu wenig aus seinem Potenzial macht. Deutschland kann noch viel bunter und vielfältiger werden, ohne seinen Kern zu verlieren: die Tradition der Aufklärung. Und dabei, und bei der Entwicklung dieser Tradition, könnte es Juden und Moslems sehr gut gebrauchen.
BRODER: Juden und Moslems sind ein ideales Fermentmaterial. Sonst würde doch alles im Einverständnis ersticken. Wir haben die Safari aber nicht unternommen, um Deutschland vor sich selber zu retten. Wir sind ja keine Samariter. Aber wenn ich höre, dass Christian Wulff in die Türkei fährt und dort von Christen, Juden und Moslems spricht, dann finde ich das unglaublich komisch. Das christlich-jüdische Erbe wird zufällig genau in dem Moment entdeckt, in dem ein dritter Player die Bühne betritt: die Moslems. Und plötzlich wird die jüdisch-christliche Einheitsfront, die es nie gegeben hat, beschworen. Wenn ich gut gelaunt bin, finde ich das komisch, wenn ich schlecht gelaunt bin, unanständig. Die sogenannte christlich-jüdische Zusammenarbeit bestand schließlich darin, dass die einen die anderen gejagt haben.
ABDEL-SAMAD: Und wir Ägypter haben mit der Vertreibung angefangen.
BRODER: Aber wir haben euch die Vertreibung vor 4000 Jahren verziehen. Und ihr habt uns eure Niederlage im Sechs-Tage-Krieg verziehen.
ABDEL-SAMAD: Meinst du?
Herr Broder, was ist das: das Deutsche?
BRODER: Keine Ahnung, ich würde das auch nie definieren. Ich würde auch nie definieren, was ein Jude oder ein Moslem ist. Ich habe mal gesagt, Jude sein, das bedeute gutes Essen und schlechte Manieren. Aber ich kenne so viele verjudete Deutsche und verdeutschte Juden, dass ich nicht glaube, dass so eine Definition überhaupt möglich wäre. Das ist ja das Schöne.
ABDEL-SAMAD: Ich habe die Deutschen durch ihre Sprache kennengelernt. Begriffe wie Beziehungsarbeit , Trauerarbeit oder Selbstüberwindung haben mich gelehrt: Die Deutschen machen sich das Leben gerne schwer.
BRODER: Eine deutsche Passion. Uns Deutschen fehlt immer noch eine gewisse Leichtfüßigkeit.
Wir haben ein aktuelles Gegenbeispiel: Roland Koch.
BRODER: Sie haben recht. Der Mann macht bald 1,6 Millionen im Jahr. Und schwebt und schwebt.
ABDEL-SAMAD: Es gibt zwei Deutsche, die ich vergöttere: Harald Schmidt und Loriot. Weil sie sich über Deutschland lustig gemacht haben. Mit den beiden habe ich Deutsch gelernt. Ich werde ihnen immer dankbar sein.
Herr Broder, auf Kosten anderer verreisen und dabei auch noch Spaß haben, auf so eine Idee konnten doch nur Sie kommen?
BRODER: So ist es.
ABDEL-SAMAD: Ich habe mir gesagt, ich bin jünger, klüger und schlanker als Herr Broder. Ich kann also nur gewinnen.
Herr Broder, wir haben in der „Deutschlandsafari“ Witze über Frauen vermisst.
BRODER: Wir haben uns darauf verständigt, hauptsächlich Witze über Juden und Moslems zu machen. Die liegen uns am nächsten. Und sie haben es sich verdient.
Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.
„Entweder Broder – Eine Deutschland-Safari“, 23 Uhr 35, ARD
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