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Make news great again. Die „New York Times“-Journalisten Michael Shear und Lara Jakes erfahren von James Comeys Kündigung.
© The New York Times

Arte-Doku über die "Mission Wahrheit": Journalismus auf Speed

„Mission Wahrheit“: Eine Doku über das Duell der „New York Times“ mit US-Präsident Trump zeigt, was es in diesen aufgeregten Zeiten besonders braucht.

Wenn Donald Trump seine Anhänger mit Angriffen auf die Medien mobilisiert, gehört die „New York Times“ (NYT) zu seinen Lieblingsfeinden. Das Verhältnis ist speziell, auf beiden Seiten. Trump sei von der „Times“ besessen, behauptet Maggie Haberman. Die Journalistin schreibt seit 20 Jahren über ihn, zuerst für New Yorker Boulevardblätter und seit 2015 für die NYT. „Er war immer für Klatschgeschichten gut“, sagt sie.

Seit Anfang 2017 ist der von der New Yorker Elite verspottete Milliardär mit TV-Show Präsident der USA, und Maggie Haberman ist Korrespondentin im Weißen Haus. Irgendwie passen sie gut zusammen, beide twittern, was die Tasten hergeben. Und Trump ist zur größtmöglichen Story aufgestiegen, die alle auf Trab hält. Chefredakteur Dean Baquet spricht von einer „schwierigen, aber auch aufregenden Zeit“. Die NYT werde von so vielen Menschen gelesen wie nie zuvor. „Ich bin sehr müde“, sagt Maggie Haberman einmal am Ende eines langen Tages. „Aber gleichzeitig weiß ich auch nicht, wie ich jetzt aufhören soll.“

Journalismus unter Druck und auf Speed – davon erzählt die US-Amerikanerin Liz Garbus in ihrer packenden Dokumentar-Serie „The Fourth Estate“, die am Dienstag unter dem deutschen Titel „Mission Wahrheit“ komplett bei Arte zu sehen ist (und am 8. November in einer etwas gekürzten Fassung beim WDR).

Im ersten Jahr von Trumps Präsidentschaft durfte die vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin Garbus die Arbeit der NYT-Redaktionen mit der Kamera begleiten – was ein besonderer Glücksfall ist. Denn die „New York Times“ ist ja nicht irgendeine Zeitung, sondern eine ruhmreiche Legende, eine traditionsreiche und selbstbewusste Institution mit internationaler Strahlkraft. Und „aufregenden“ Stoff lieferten Donald Trump und seine Regierung in dieser Zeit zuhauf. Der stets gelassene Chefredakteur Baquet spricht am Ende des Vierteilers von einem „konstanten Trommelfeuer an Falschnachrichten“.

"Die umkämpfteste Story des Jahres"

Die Recherchen zu den Verbindungen Trumps nach Russland sind gewissermaßen der rote Faden oder „die umkämpfteste Story des Jahres“, wie Mark Mazzetti sagt, der Leiter des Investigationsteams, das die NYT in Washington aufgestellt hat. Im Februar ist die „Washington Post“ schneller und bringt die Kontakte von Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn mit russischen Diplomaten als Erste ans Tageslicht. Was zu langen Gesichtern bei der NYT führt.

Der Redaktionsalltag – die Konferenzen, das Telefonieren, das Grübeln am Computerbildschirm – ist eigentlich kein besonders attraktiver Filmstoff. Doch mit dem Gespür für den besonderen Augenblick, mit vielen Schnitten, Tempowechseln und dramatischer Musik wird daraus in „Mission Wahrheit“ ein wahrer Krimi. Die gemütlichen Zeiten im Journalismus sind ja ohnehin vorbei.

Die NYT hat, während die Auflage der Print-Ausgabe permanent gesunken ist, mittlerweile über drei Millionen digitale Abonnenten. Reporterinnen und Reporter produzieren rund um die Uhr online, geben Interviews bei CNN, für den NYT-Podcast „The Daily“ oder stehen für Live-Übertragungen bei Facebook vor der Videokamera.

Jede Geschichte bedeutet einen permanenten Wettlauf mit der Zeit, den Garbus wirkungsvoll auskostet: Immer wieder schwenkt die Kamera zur Uhr, treiben sich Redakteure gegenseitig an oder werden getrieben von den permanent laufenden Nachrichtenkanälen. Es mag fraglich sein, ob jede Einstellung, jeder überraschte Blick, jeder Telefon-Dialog immer die jeweilige Situation realitätsgetreu abbildet. Aber die Anstrengung und auch die Faszination aktueller journalistischer Arbeit werden hier jedenfalls enorm spannend verdichtet.

Sicher ist „Mission Wahrheit“ keine repräsentative Dokumentation zur Lage der US-Medien; denn welcher Verlag leistet sich noch über tausend Redakteure und Reporter. Aber auch bei der NYT macht sich die Krise bemerkbar. In der ersten Folge muss die Redaktion buchstäblich eng zusammenrücken, nicht nur wegen der Angriffe Trumps, sondern wegen des Erfolgs von Facebook und Google, wie Reporter und Medienkolumnist Jim Rutenberg bemerkt: „Deswegen schrumpfen wir hier mal eben um sieben Stockwerke“, sagt er während der Räumarbeiten mit Farbe am Jackett. „Das ist demütigend.“

Am Ende der zweiten Folge leeren sich die Etagen infolge eines Streiks, denn die Geschäftsführung hat beschlossen, Redakteure zu entlassen, um Geld für die Einstellung investigativer Reporter lockerzumachen. Auch interne Konflikte bleiben nicht aus: Nach einer über Twitter ausgetragenen Kontroverse mit der Waffenlobby wird einem Redakteur das Twittern untersagt. Und von der #MeToo-Welle wird die NYT am Ende des Jahres selbst eingeholt.

Aber Trumps Prophezeiung, die den „Verlierern“ von der NYT das baldige Ableben voraussagt, ist wohl nicht einmal Wunschdenken. Vielmehr bestätigt der Film die Annahme, dass Trump selbst es ganz gerne hat, von der NYT beachtet und interviewt zu werden. Die „Times“ wirkt alles andere als ein Todeskandidat, sondern quicklebendig. Und dass es diesen kritischen, unermüdlichen Journalismus mehr denn je braucht, dokumentiert Liz Garbus so eindringlich wie selten zuvor.

„Mission Wahrheit“, Arte, Dienstag, 20.15 Uhr

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