„Borgia“ reloaded: Jeremy, übernehmen Sie!
Nach dem ZDF packt nun Pro 7 die Geschichte um den machthungrigen Mittelalter-Clan an - mit Hollywood-Besetzung.
Eine Woche lang war „Borgia“-Pause, heute geht es weiter, auf Pro 7. Wir sehen noch einmal diese ganz normale Familie. Liebe, Hass, Gift, Mord und Totschlag, nun gut, etwas mehr Liebe, Hass, Gift, Mord und Totschlag. Ungewöhnlich ist wiederum nur der Hauptwohnsitz der Familie: der Vatikan. Das Motto unserer Zeit lautet „Mehr Abwechslung!“, schon zur Beförderung unserer Gedächtnislosigkeit. Da kann es nicht ohne Risiko sein, das Gleiche gleich noch einmal zu erzählen. Und wieder so lang, und wieder zur Hauptsendezeit.
Das Fernsehen ist die zeitgenössische Form des römischen Amphitheaters. Sehen wir das bei dieser Gelegenheit einmal positiv und nehmen gelassen auf den Rängen Platz: Zum römischen Wagenrennen, die EU-„Borgia“ gegen US-„Borgias“, Oliver Hirschbiegel („Der Untergang“) gegen Neil Jordan („The Crying Game“), ZDF gegen Pro 7, 25 Millionen Produktionskosten gegen garantiert nicht viel weniger, John Doman gegen Jeremy Irons als Papst.
Ein Wettrennen der Giganten: Die EU-Koproduktion wurde in mehr als 40 Länder verkauft. Jordans Vielteiler lief im Frühjahr erfolgreich in Amerika und wurde mehrmals für den „Emmy“ prämiert. „Die Borgias“ werden „Borgia“ an Wirkmächtigkeit nicht nachstehen, so dass nun bald die halbe Welt um die höchst fehlbaren Vorgänger des Unfehlbaren weiß. Früher wusste es nur halb Rom.
Regisseur Oliver Hirschbiegel sagte für seine ZDF-Produktion: Der „Wahrheitsgehalt“ seiner „Borgias“ sei höher, und außerdem halte er die Darsteller für „authentischer“. Wahrscheinlich schlussfolgert Hirschbiegel das eine aus dem Gerücht, dass sein Produzent und Autor Fontana dreihundert Bücher zum Thema gelesen hat, und das andere aus der Tatsache, dass Rodrigo Borgia alias Papst Alexander VI. über alle Maßen wohlbeleibt war, während Jeremy Irons offensichtlich jeden Fakir spielen könnte oder Jesus nach 30 Tagen in der Wüste.
Jeremy Irons kann wie kaum ein anderer sowohl Zartheit als auch Kälte bis in ihre äußersten Nuancen ausschwingen lassen, wenn es sein muss, beides zugleich. Wahrscheinlich kam es Jordan genau darauf an. Dieser Machtmensch ist viel mehr als nur ein Machtmensch, er ist, selbst nach dem Zeugnis seiner Feinde, ein hochbegabter Machtmensch. Begabt auch zum Genuss. Und wozu Papst werden – es handelt sich dabei um das direkte Nachfolgeamt der römischen Kaiser –, wenn der Pontifex Maximus nicht mehr genießen dürfte? Papst Irons wird es einmal so ausdrücken: „Mein Papsttum sei ein vielfarbiger Rock!“
Wir haben hier ein neues, bislang noch unbenanntes Genre vor uns: das Renaissance-Epos. Und was da wiedergeboren wurde, ist die antike, die griechisch-römische Kultur. Bis eben hatte man zu Boden oder gen Himmel geschaut, jetzt sahen alle wie einst die Griechen und Römer geradeaus und erblickten etwas höchst Ungewöhnliches – sich selbst. Genauer, sie erblickten den Menschen als gottgleiches Wesen, fähig zu fast allem, das zeigen beide „Borgias“-Verfilmungen. Fähig aber auch – und das zeigen sie eher nicht – zu Kunst und Wissenschaft.
Beide „Borgias“, opulent, nuanciert, gut besetzt, holen einander immer wieder ein. So faszinierend Jeremy Irons’ Papst Alexander VI. in seiner menschlichen Unmenschlichkeit ist – war es John Domans Papst auf seine so andere Weise nicht auch? Die Lehre: Väter, lasst euch nicht von euren Söhnen beherrschen. Auch Hirschbiegel ist Jordan gewachsen, aber irgendwann kippte das EU-Gemeinschaftswerk auf betrüblichste Weise in die Vorabendserienoptik. Ein Regisseur statt vier ist doch besser. Der Papst ist schließlich auch allein.Kerstin Decker
„Die Borgias – Sex. Macht. Mord. Amen“, Pro 7, 20 Uhr 15
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