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Der Autor Sascha Lobo.
© picture alliance / dpa

Sascha Lobo auf der re:publica: „Jedes Land hat die Digitaldebatte, die es verdient“

Was bedeutet Cargo-Kult? Sascha Lobo und Gunter Dueck: Zwei Vorträge auf der re:publica, die für Diskussionen sorgten.

„Letztes Jahr war ich nicht auf der re:publica, weil ich ich dachte, ich habe nun jahrelang in leichten Abwandlungen immer das Gleiche gesagt“, sagt Sascha Lobo am Montagabend in den knallvollen Hauptsaal der re:publica hinein. Titel seines Vortrags: „The age of trotzdem“. Das Programm: Weitermachen statt weiter nörgeln.

Dieses Mal werde ich die Leute hier nicht beschimpfen, hatte er vorher in den Medien gesagt, und macht nun eine wegwerfende Handbewegung, „aber never change a running system“. Der nächste Lacher. Aber er meint natürlich nicht „die anderen“, stellt er klar, sondern „uns alle“.

„Ich richte mich an diejenigen, die sich, wie ich, für die Avantgarde halten, weil sie genauso wie ich noch viel früher als alle anderen Snapchat nicht verstanden haben.“ Denn eine Selbstdefinition der digitalen Avantgarde anhand geteilter Technologien sei schließlich nicht mehr möglich in Zeiten, wo sogar die CSU Snapchats auf Twitter einsetzt. Vor allem aber sei sein Anfangsoptimismus stark relativiert worden, seitdem mit dem Erstarken des Terrorismus klar wurde, dass das Internet nicht einfach zu einer besseren Welt beitragen würde. Und nachdem sich mithilfe der Sozialen Medien ein neuer Rechtspopulismus a la AfD verbreitet habe. Mit 237 000 Facebookfans hat diese so viele Facebookfans, wie SPD, CDU und FDP zusammen.

Und die Überwachung? Naja, er habe 82 Artikel gegen die Vorratsdatenspeicherung geschrieben – und sie ist trotzdem gekommen. „Ihr merkt schon, da ist so ein ganz bisschen Selbstmitleid dabei, aber ich glaube, das trifft euch ganz gut“, sagt Lobo. Genug davon! Ein neuer, digitaler Gesellschaftsoptimismus müsse her. Er schlägt dann auch eine einfache „Ein-Schritt-Lösung“ vor. Das Anti-Sein überwinden und „trotzdem“ weitermachen. Dabei sollen alle mitmachen. Nach drei Versuchen grölen dann auch genug Teilnehmer der re:publica „Trotzdem!“, wenn Lobo sie dazu auffordert.

Weniger reden, produzieren statt konsumieren

Was also tun gegen politische Inkompetenz, Überwachung und Rechtsradikale im Netz? Lobos Lösungsvorschlag: „Überführt euren Aktivismus endlich in die ökonomischen Ebene. Macht aus eurem Aktivismus ein Unternehmen, mit dem ihr eure Miete bezahlen könnt und noch drei Mitarbeiter.“ Wie genau dann diese Unternehmen den neuen Kampf der Gerechten gegen Rechts führen sollen, beantwortet er leider nicht. Aber TROTZDEM, es müsse endlich etwas passieren, mehr machen, weniger reden, produzieren statt konsumieren.

Warum es damit dann doch etwas schwieriger werden könnte, zeigt der ehemalige Chief Technology Officer von IBM Gunter Dueck in seinem inzwischen genauso traditionellen alljährlichen Vortrag am Dienstagmorgen auf der Messe auf.

Der Buchautor des Bestsellers „Schwarmdumm“ geht auf einen Begriff genauer ein, den Lobo schon genannt hatte: Cargo-Kulte. Das bezeichnet Kulte von indigenen Gesellschaften, die bestimmte westliche Verhaltensweisen als heilsbringende göttliche Ereignisse uminterpretieren. Beispielsweise melanesische Gruppen, die während des Zweiten Weltkriegs die amerikanische Militärversorgung aus der Luft etwas falsch verstanden. Nachdem Sie sahen, dass dort, wo Landebahnen und Tower aufgestellt wurden schon bald jede Menge Essen ankam, taten sie es später ebenso. Sie bauten Holztürme und planierten Pisten – in der Hoffnung auf Versorgungsgüter aus der Luft. Die kamen nur nie.

„Tja, da lacht ihr“, sagt Gunter Dueck. Aber ganz so anders sei das mit der Digitalisierung in Deutschland eigentlich auch nicht: Eine völlige Verwechslung von Ursache und Wirkung, der Glauben an leere Begriffe wie „Industrie 4.0“ und Allheilmittel wie „Design Thinking“ ohne eigentliche Lösungsvorschläge. Viel weniger naiv sei das auch nicht. Das Publikum johlt.

Die Frage bleibt: Ob es vielleicht mit dem unbeirrten „Trotzdem“ von Lobo nicht so ähnlich sein könnte. Ob blindes Weitermachen, Produzieren und Gründen von ja doch meistens floppenden Startups so viele Probleme löst. Oder ob nicht vielleicht genau jenes orientierungslose Weitermachen großen Anteil an den Problemen hat, die Lobo so bemängelt.

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