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Auf Hand und Fuß überprüfen Boerne (Jan Josef Liefers, r. ), seine Assistentin „Alberich“ (Christine Urspruch) und Thiel (Axel Prahl) ihre Fälle im „Tatort“ aus Münster. In der neuen Folge ,„Das Wunder von Wolbeck“ (ARD, 20 Uhr 15) geht es um einen Heilpraktiker, der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch hilft und ermordet wird.
© WDR

Zehn Jahre Münster-"Tatort": „Jan Josef Liefers sollte gar nicht Boerne spielen“

Zehn Jahre „Tatort“ aus Münster. Stefan Cantz und Jan Hinter, die Väter des Formats, sprechen im Interview über glückliche Fügungen, Hassliebe und Klamauk.

Herr Cantz, Herr Hinter, vor zehn Jahren haben Sie den Münsteraner „Tatort“ mit Kommissar Thiel und Rechtsmediziner Boerne entwickelt. Mit elf Millionen Zuschauern im Durchschnitt ist dieser „Tatort“ zugleich der erfolgreichste. Werden die Autoren eigentlich am Erfolg beteiligt?

CANTZ: So sind die Verträge der Sender leider nicht beschaffen.

HINTER: Damit muss man sich als Autor einfach abfinden. Grundsätzlich wird der Anteil der Arbeit, den Autoren am Erfolg eines Films haben, hierzulande nicht als übermäßig wichtig eingeschätzt. Dass ein Senderverantwortlicher nach einem Quotenrekord anruft und sagt „Hey, super!“, das kommt so gut wie nicht vor.

Immerhin gab es bereits für den ersten Münster-„Tatort“ eine Nominierung für den Grimme-Preis und 2011 eine „Goldene Kamera“ für das Duo Liefers-Prahl. Kommt das nicht einer ideellen Entschädigung gleich.

HINTER: Für die beiden Darsteller freut uns das natürlich riesig. Aber wir als Autoren waren ja nicht nominiert.

CANTZ: Die ideelle Entschädigung liegt eher darin, wenn Leute auf einen zukommen, die offensichtlich großen Spaß an unseren Geschichten haben. Das macht schon Freude. Aber der Glaube, die Schauspieler machen ihre Texte allesamt selber, ist weiter verbreitet, als man annehmen sollte.

Welche drei Begriffe fallen Ihnen zu Münster ein?

HINTER: Münster-„Tatort“, Liefers und Prahl.

Sie beide leben in München. Was verbindet sie mit der westfälischen Provinz?

CANTZ: Meine Ex-Frau hatte dort studiert. Ansonsten hatten wir mit Münster vorher nicht viel zu tun. Im Film ist leider von der Stadt oftmals nicht viel zu sehen.

HINTER: Die Münsteraner wünschen sich da natürlich weit mehr Lokalkolorit. So weit wie möglich versuchen wir aber immer etwas spezifisch Münsteranisches einzubauen.

Mit welcher Vorgabe hatten sie den Münsteraner „Tatort“ entwickelt?

CANTZ: Dass es überhaupt einen Münster-„Tatort“ geben sollte, war wohl auch eine politische Entscheidung. Die Region Münster sollte in NRW offenbar medial gestärkt werden. Und weil in Münster ein höchst renommierter Rechtsmediziner arbeitet, kam man auf die Idee der Figur des Professor Boerne, der gleichberechtigt dem klassischen Kommissar zur Seite gestellt werden sollte. Zudem stand sehr früh fest, dass die Rolle des Kommissars mit Axel Prahl besetzt werden sollte.

Hatten Sie ebenfalls Wunschkandidaten?

HINTER: Ursprünglich war Jan Josef Liefers gar nicht im Spiel. Für Boernes Rolle war Ulrich Noethen vorgesehen. Aber nachdem er die ersten Konzepte gesehen hatte, hat er abgesagt. Ich hatte gerade zuvor noch eine Serie für die Bavaria produziert, mit Ulrich Noethen und Jan Josef Liefers. So kam ganz schnell die Idee mit Jan Josef Liefers auf. Entschieden hat sich das erst kurz vor dem Produktionsbeginn.

Eine glückliche Fügung.

CANTZ: Axel Prahl war anfangs für uns eine unbekannte Größe, aber es hat sich ja dann sehr schnell bewiesen, dass er die Idealbesetzung für Thiel war und ist.

Hatten Sie bei der Entwicklung des Duos ein Vorbild?.

CANTZ: Das „Cat & Dog“-Prinzip ist immer ein Garant für Komik. Frotzeleien zwischen den Hauptfiguren gibt es ja auch in anderen „Tatorten“, zum Beispiel im Münchener oder im Kölner.

HINTER: Allerdings mögen sich Ballauf und Schenk. Boerne und Thiel hingegen verbindet eine herzliche Hassliebe.

Axel Prahl und Jan Josef Liefers sind beim TV-Publikum äußerst beliebt. Doch es gibt auch Kritik an zu viel Klamauk. Wann gibt’s mal wieder einen Krimi aus Münster, heißt es dann.

CANTZ: Mit derartiger Kritik hatten wir immer wieder zu tun. Und es gab auch immer wieder Versuche, dem „Tatort“ den Humor auszutreiben. Aber eine erfolgreiche Marke umkrempeln? Dann verliert sie ihre Einzigartigkeit. Sicherlich bleibt bei zu viel Humor gelegentlich die Spannung etwas auf der Strecke. Aber um die Figuren so zu bedienen, wie sie sind, muss der Fall nach unserer Meinung eine gewisse Schrägheit besitzen.

HINTER: Zumindest, was den Münster-„Tatort“ betrifft, bin ich davon überzeugt, dass für den Großteil der Zuschauer der Krimi eher zweitrangig ist. Der Zuseher hat eher sein Vergnügen am komödiantischen Zusammenspiel der Hauptfiguren und an den Dialogen, die uns auch beim Schreiben nach wie vor den größten Spaß bereiten. Noch ist dieser große Anteil Humor ja ein Alleinstellungsmerkmal des „Tatorts“ aus Münster, auch wenn es in der ARD demnächst ein Special mit Nora Tschirner und Christian Ulmen gibt, das anscheinend in Richtung Münster gehen soll.

Das Fernsehen muss sparen, auch die „Tatorte“ müssen mit weniger Drehtagen auskommen. Wie stark schränkt das die Arbeit des Drehbuchautors ein?

HINTER: Wenn neuerdings Szenen mit unserem Serienpersonal, also „Alberich“, Staatsanwältin Klemm oder Thiels Vater und seiner Assistentin Nadeshda gestrichen werden müssen, weil deren Drehtage das Budget sprengen, geht das schon ans Eingemachte. Diese wunderbaren Nebenfiguren sind unserer Ansicht nach das Salz in der Suppe, was ja auch die Zuschauerreaktionen beweisen. Aber die Produzenten stehen unter einem gewaltigen Druck, in deren Haut möchte ich nicht stecken.

CANTZ: Es ist eines der größten Rätsel der Fernsehlandschaft, warum die ARD bei den Budgets ihres erfolgreichsten Produkts, dem „Tatort“, so knauserig ist. Mit Ausnahme des neuen „Tatorts“ mit Til Schweiger vielleicht...

Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

HINTER: Wir unken schon oft beim Schreiben, dass dies oder jenes rausfliegt. Actionszenen zum Beispiel, oder Situationen, in denen außer unseren Darstellern ein bisschen Komparserie benötigt wird. Und meistens haben wir recht. Die Geschichten werden immer mehr zu Kammerspielen, weil an allen Enden und Ecken Geld fehlt. Da kann man noch so fett ins Drehbuch schreiben, dass eine Kneipe aus dramaturgischen Gründen gut besucht sein muss, am Ende sind es fünf Gäste – und das sieht entsprechend aus.

Helfen da Proteste?

HINTER: Mit dem Protest ist das wie in jedem Abhängigkeitsverhältnis so eine Sache. Wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, gilt man sehr schnell als „schwierig“ und riskiert seinen Job. Man muss sich halt nach der Decke strecken, beziehungsweise die Geschichten von vornherein so konzipieren, dass sie sich im Rahmen des Möglichen bewegen. Oft genug bedeutet das: Beiß auf die Zähne und „kill your babies“.

CANTZ: Aber man sollte nicht vergessen, dass es auch gute Kammerspiele gibt. Und Beschränkungen fordern den kreativen Geist heraus. Dennoch macht es einen Unterschied, ob eine Verfolgungsjagd auf einem Büroflur oder auf der Straße stattfindet.

Viele Zuschauer und Kritiker schätzen am Münster-„Tatort“ die nicht immer politisch korrekten Dialoge. Was ist Ihnen wichtiger: Eine gute Pointe oder eine stimmige Geschichte?

CANTZ: Mein Motto war schon immer: Lieber einen guten Freund vergraulen, als auf eine gute Pointe verzichten.

HINTER: Aber mal im Ernst: Gute Pointen und stimmige Geschichten müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Wir bemühen uns schon redlich, dass unsere Geschichten keine logischen Brüche haben und als Krimi funktionieren.

Gibt es ein natürliches Verfallsdatum für den Münster-„Tatort“?

CANTZ: Natürlich nicht, wir wollen das noch ewig schreiben. Nachdem die beiden Schauspieler anscheinend noch immer große Lust auf den „Tatort“ aus Münster haben, besteht wohl aus dieser Sicht keine Gefahr.

HINTER: Wir würden sie gerne noch zusammen in Pension schicken.

CANTZ: Das Konzept für „Zoff im Altersheim“ liegt schon in der Schublade.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Kurt Sagatz

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