Aus Protest gegen Nazi-Vergangenheit: Jacob Appelbaum will Henri-Nannen-Büste einschmelzen
Nannen-Preisträger Jacob Appelbaum will die Auszeichnung nicht mehr, die Nannen-Büste einschmelzen und umformen lassen - für die wichtigste Figur des investigativen Journalismus: die anonyme Quelle.
Diese Form des Protestes ist neu. Der diesjährige Henri-Nannen-Preisträger Jacob Appelbaum will die Preisskulptur mit dem Kopf von Henri Nannen einschmelzen lassen. „Ich lehne es ab, den Namen zu tragen und den Kopf eines Mannes zu präsentieren, der Propaganda für die Nazis gemacht hat“, sagte Appelbaum am Freitagabend bei seiner Rede zur Eröffnung des Festivals „Theater der Welt“ in Mannheim. Zusammen mit einem Metallarbeiter in Berlin wird er die Skulptur einzuschmelzen, um sie zu einem passenderen Kopf zu formen. „Dieser Kopf wird dann die wichtigste Figur des investigativen Journalismus darstellen: die anonyme Quelle“, sagte Appelbaum. Sein Preisgeld will er an zwei antifaschistische Gruppen spenden, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin. Seine Ehrung durch die Nannen-Jury stellte der amerikanische Internet-Aktivist und Vertraute von NSA-Enthüller Edward Snowden nicht infrage. „Ich weise das Votum der Jury nicht zurück“, sagte er. Appelbaum hatte den Henri-Nannen-Preis zusammen mit Kollegen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ am 16. Mai in der Kategorie „Investigation“ für die Enthüllung verliehen bekommen, dass die NSA das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hat.
Thomas Osterkorn, der frühere Chefredakteur des „Stern“ und Mitinitiator des Henri-Nannen-Preises, reagierte auf Appelbaums mit der Mischung aus Akzeptanz und Verteidigung. „Wenn Jacob Appelbaum dies tun will, so müssen wir das respektieren“, sagte er. Allerdings sei es allgemein bekannt und vielfach beschrieben, dass Henri Nannen Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied einer Kriegsberichterstatter-Kompanie der Luftwaffe war. „Er hat daraus auch keinen Hehl gemacht und später mehrfach bedauert, was er damals an Propagandazeug geschrieben hatte“, erklärte Osterkorn, der auch der Jury angehörte. Der „Stern“ habe sich unter Nannens Führung intensiv mit der Nazi-Vergangenheit und den Verbrechen auseinandergesetzt. Nannen sei zudem einer der prominentesten Unterstützer von Willy Brandts Friedens- und Aussöhnungspolitik mit dem Osten gewesen. „Henri Nannen auf seine Aktivität in der Nazizeit zu reduzieren, ist also nicht angemessen“, betonte Osterkorn.
In seiner Rede am Freitag bekannte Appelbaum, dass er bereits bei der Preisverleihung am 16. Mai reagieren wollte – dann aber geschwiegen habe. Das Verlesen seines vorbereiteten Statements im Rahmen der legeren Feier wäre eine „Beleidigung“ gewesen. „Ich spürte den sozialen Druck des Konformismus.“ Er schäme sich dafür, aber er brachte auf der Bühne kein Wort hervor. Der Journalist sagte weiter, „ich spürte, dass ich eine begehrte Auszeichnung erhalten hatte und gleichzeitig ein Stück von mir dabei verlor.“ Er lehne auch nicht die Kollegen ab, die ihn auszeichneten. Aber er weigere sich, sich an dieser Kooptation des Namens von Egon Erwin Kisch für eine untergeordnete Kategorie des Henri-Nannen-Preises zu beteiligen. „Kisch war ein bedeutender Antifaschist, der damals, wie ich heute, im Exil schrieb.“ Appelbaum, deutsch-amerikanischer Herkunft, lebt und arbeitet in Berlin.
Die Bundesregierung forderte er unter dem Beifall der Zuschauer im Mannheimer Theater auf, NSA-Enthüller Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren. „Die deutsche Regierung sollte sich nicht von meiner Regierung einschüchtern lassen und Snowden Asyl anbieten“, sagte Appelbaum.
Der Henri-Nannen-Preis wird seit 2005 vom Verlagshaus Gruner + Jahr vergeben. 2011 hatte die Jury dem „Spiegel"-Redakteur René Pfister den Reportage-Preis wieder aberkannt. Er hatte die Auszeichnung für ein Porträt über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer am Pult seiner Modelleisenbahn gewonnen. Pfister war an dem Ort selbst allerdings nicht gewesen, wie er schon während der Preisverleihung zugestand. Ein Jahr später lehnten Rechercheure der „Süddeutschen Zeitung“ den Preis in der Kategorie „Beste Investigative Leistung“ ab, den sie sich mit Journalisten der „Bild“-Zeitung“ teilen sollten. „Wir möchten nicht gemeinsam mit der Bild ausgezeichnet werden“, hatte SZ-Journalist Hans Leyendecker gesagt.
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Joachim Huber