Porträt: Ina Weisse: Die Uneindeutige
Mysteriös, klug, preisgekrönt: Die Schauspielerin und Regisseurin Ina Weisse. Alfred Hitchcock hätte seine Freude gehabt.
Hitchcock hätte seine Freude an Ina Weisse gehabt. „Außen Eis, innen heiß“, so glaubt man, sie immer wieder zu sehen, die Blickkünstlerin, die für ambivalente, undurchsichtige Rollen wie geschaffen zu sein scheint. Ihr lang gestrecktes Gesicht bietet viel Fläche für Projektionen. Weil Weisse so eindrucksvoll zerrissene und verschlossene Frauen spielt, weil dieser Blick sich unvergesslich in die Erinnerung gräbt, glaubt man, sie immer wieder in denselben Rollen zu sehen. Vor allem in Filmen ihres Lebensgefährten Matti Geschonneck scheint sie ein Abonnement auf mysteriöse Menschenbilder zu besitzen. In Filmen wie „Duell in der Nacht“ oder zuletzt „Tod in Istanbul“ ist es allerdings das Genre, das der 42-Jährigen ihr Spiel vorgibt.
„In diesen Filmen darf nicht zu viel von der Figur verraten werden“, sagt Weisse. Ein Drahtseilakt. „Man kann sich nirgends festhalten. Und man braucht ein umso stärkeres inneres Gerüst. Und da diese Figuren oft undurchsichtig vielschichtig sind, auch hohe Konzentration.“ Dieses Spiel mit dem Uneindeutigen, das oftmals das einzig Eindeutige ist, gehört zu ihren Stärken.
Blicke gehören zur Währung guter Filme. Eine Schauspielerin wie Ina Weisse im Cast zu haben, ist eine gute Wahl – auch oder gerade, wenn ein Film mal nicht das hält, was er verspricht. So wie „Amigo – Bei Ankunft Tod“. Lars Becker schrieb nach seinem eigenen Roman das Drehbuch, bei dem er mehrere Geschichten zu einer RAF-Räuberpistole zusammenwebt, die mit Tobias Moretti oder Jürgen Prochnow zwar dieselbe Dichte an illustren Schauspielern aufweist wie seine „Nachtschicht“-Krimi-Reihe, sich aber irgendwo zwischen Neapel und Hamburg, zwischen dritter-RAF-Generation und konservativem Islamismus verliert.
Eine stille Größe in diesem Film ist mit ihren 1,77 Meter Ina Weisse, die in einer tragenden Nebenrolle mehr zu spielen hat als in manchen Hauptrollen. Eine Intellektuelle mit linksradikaler Vergangenheit, die um den Sohn kämpft, den Mann beweint, einem Macho-Fiesling eine kinoreife Abfuhr erteilt und für BKA-Hardliner klare Worte findet. Sie betrinkt sich aus Verzweiflung, und sie muss in einer zentralen Szene die Vergangenheit per Dialog in die Gegenwart hineinholen.
Intelligenten Schauspielern wie Weisse unterstellen Kritiker gerne mal ein doppeltes Spiel mit der Rolle. Da kann die gebürtige Berlinerin nur widersprechen. „Es ist gefährlich, als Schauspieler den Gedanken über die Situation spielen zu wollen.“ Die Suche nach dem perfekten Ausdruck – das scheint Ina Weisse künstlerisch anzutreiben. Doch bei ihr geht es um mehr als Ästhetik: es geht um tiefe, manchmal abgrundtiefe Erkenntnis.
Auch im Gespräch ringt sie nach der besten Formulierung. Plötzlich erklären sich die vermeintlichen Umwege auf ihrem anfangs so geradlinigen Lebensweg, der sie von der Waldorfschule über die Schauspielausbildung zu einer Anstellung am Nationaltheater Mannheim mit nur 23 Jahren führte. Ein Jahr später begann Weisse, in Heidelberg Philosophie zu studieren. Auch nach dem Durchbruch vor der Kamera blieb die Neugier nach Neuem – und so absolvierte sie in Hamburg ein Regiestudium. Sie wollte sich damit nichts beweisen. Weisse: „Regie – das war ein sehr früher Wunsch.“
Zur Zeit „verkriecht“ sich Ina Weisse, um nach dem preisgekrönten Familiendrama „Der Architekt“ das Drehbuch für ihren zweiten Kinofilm zu schreiben. Viel verraten will sie nicht, ein schwerer Stoff, „kein Krimi jedenfalls“, sagt sie – und muss lächeln. Zu einem Statement gegen das Genre, ohne das heute kaum noch etwas geht, lässt sie sich nicht hinreißen. Da bekommt die Frau mit der weichen, leicht angerauten Stimme etwas von der Selbstkontrolle ihrer oft so aristokratisch wirkenden Figuren. „Es gibt viele Krimis. Zu viele? Das weiß ich nicht. Es stört mich aber auch nicht.“ Mittelmäßiges Gebrauchsfernsehen versucht sie zu umgehen. „Wenn die Situationen vorhersehbar sind, die Dialoge unglaubwürdig, wenn es künstliche Charaktere sind, fern von jeder Realität – dann will ich es nicht machen.“
Mal wieder etwas Leichteres wie „Dr. Martin“? Da hätte sie nichts dagegen. Und eine Kommissarin in einer TV-Reihe? „Ich kann mir alles vorstellen, wenn die Figur für mich stimmt.“ Da müssten Redakteuren, Produzenten und Autoren doch sofort Bilder kommen: strenger Blick, ein eng geschnürter Trenchcoat, coole Ermittlungsmethoden. Und die Frisur je nach Stimmungslage, gebunden, gesteckt, offen, straff oder locker. Hitchcock hätte seine Freude an ihr gehabt.
„Amigo – Bei Ankunft Tod“, Arte, Freitag, 20 Uhr 15
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