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Zu den Töchtern und Söhnen des Widerstands gehören auch Axel Smend (l.) und Alfred von Hofacker. Sie besuchen den Raum des ehemaligen Volksgerichtshofs, in dem ihre Väter im Zusammenhang mit dem 20. Juli von Richter Freisler zum Tode verurteilt wurden.
© HR

ARD-Doku "Verräterkinder": Ihre Eltern kämpften gegen Hitler

Die ARD-Doku „Verräterkinder“ beleuchtet das schwere Erbe der Töchter und Söhne, deren Eltern Widerstandskämpfer waren.

Zwei Erinnerungen, zwei Extreme: Axel Smend erzählt von seiner Mutter, die mit verweinten Augen vom Elternsprechtag in der Schule zurückkehrt. Sie weint nicht wegen Axels schlechter Leistung in Latein, sondern, weil der Lehrer dazu bemerkte, vom Sohn eines Verräters habe er nichts anderes erwartet. Der Vater, Günther Smend, ist 1944 als Beteiligter am Umsturzversuch vom 20. Juli hingerichtet worden.

Alfred von Hofacker erlebt das Kriegsende als Neunjähriger in einem Kinderheim in Bad Sachsa, nachdem sein Vater, Caesar von Hofacker, ein Vetter des Hitler-Attentäters Graf von Stauffenbergs, den Putsch in Paris mitorganisiert hat und in Plötzensee gehängt wird. Die Mutter sitzt in Sippenhaft, die Befreiung des Heims durch die Amerikaner bewahrt die Kinder vor Schlimmerem. „Der neue Bürgermeister, ein SPD-Politiker, gerade aus dem KZ befreit, stieg vor uns auf den Tisch und hielt eine Rede“, erinnert sich Alfred von Hofacker. „Er sagte: Eure Eltern waren Helden.“ Der Junge kann mit den Worten nichts anfangen.

Traumatisiert, haltlos, verunsichert bleiben die Töchter und Söhne des gescheiterten Widerstands gegen Hitler zurück. Ihre Eltern haben sie verlassen, weil sie die Terrorherrschaft nicht tatenlos hinnehmen wollten, weil etwas getan werden musste – koste es, was es wolle. Ihren Mut bezahlten sie mit dem Leben. Aber der Preis war höher. Davon wissen die Kinder des Widerstands zu berichten, die Überlebenden. Das Erbe der Eltern wiegt schwer auf ihren Schultern, auch 70 Jahre danach.

Es ist die Last der Fragen, die unbeantwortet blieben: Warum habt ihr es getan, warum habt ihr uns das angetan?

Die Suche nach Antworten hat bei den Töchtern und Söhnen über die Jahrzehnte hinweg eine besondere Schicksalsverbundenheit mit den verlorenen Müttern und Vätern erzeugt. Das zeigen die Interviews, die Christian Weisenborn für seine Dokumentation „Verräterkinder“ geführt hat, eindrücklich. Es mag daran liegen, dass der Filmemacher, Jahrgang 1947, selbst ein Kind des Widerstands ist. Sein Vater, der Schriftsteller Günther Weisenborn, entgeht der Todesstrafe nur durch die entlastenden Aussagen von Freunden, die später als Kriegsverbrecher hingerichtet werden. Sie gehören zu dem weit verzweigten Netzwerk von Antifaschisten, das in den dreißiger Jahren aus der Mitte der Gesellschaft heranwächst. Während des Krieges unterstützen sie Naziverfolgte, verbreiten Flugblätter und halten Verbindungen zu anderen Widerstandsgruppen. Als die Nazis die Gruppe enttarnen, geben sie ihr den Namen „Rote Kapelle“ – und begründen den Mythos von einer sowjetisch gelenkten Agententruppe.

Die Geschichte lässt den Sohn nicht los. Dazu trägt auch das fortgesetzte Unrecht in der Bundesrepublik bei. „Keiner der verantwortlichen Richter aus der Nazizeit ist zur Verantwortung gezogen worden“, sagt der Filmemacher. Sein Vater scheitert mit dem Versuch, strafrechtlich gegen beteiligte NS-Juristen vorzugehen. Die verhängten Todesurteile behalten ihre Gültigkeit – erst 1998 werden die Opfer des 20. Juli rehabilitiert, die 65 Todesurteile gegen Mitglieder der „Roten Kapelle“ werden sogar erst 2009 durch den Bundestag aufgehoben.

Aber es sind nicht nur diese beschämenden Erfahrungen, die nahtlosen Karrieren der Täter, das Stigma des Verrats, die zur Last für die nachfolgende Generation werden. Auch die Heroisierung erschwert den Zugang zu den verlorenen Müttern und Vätern. In der Familie werden die Opfer idealisiert, in beiden deutschen Staaten selektiv ideologisiert.

Die Kinder des Widerstands bleiben sich selbst überlassen, hinter den Idolen die Mütter und Väter mit ihren Schwächen, Gewissenskonflikten und Widersprüchen zu finden. Mitunter ist es ein langer, schmerzhafter Weg. Alfred von Hofacker ist zuerst geschockt, als er nach dem Tod seiner Mutter auf dem Dachboden des Elternhauses eine Kiste mit Unterlagen entdeckt, die das entrückte Vorbild vom Sockel stoßen und belegen: Auch der Vater war anfangs überzeugter Nazi. Aber der Schock wirkt heilsam. „Sein Weg vom glühenden Nationalsozialisten zum leidenschaftlichen Widerständler – erst dieser Bruch in der Biografie hat mir den Vater emotional nahegebracht.“

Geschichtslehrer sollten die Doku zu später Stunde trotz Ferienzeit für ihre Schüler aufzeichnen. Der 45-Minuten-Film gibt eine bewegende Geschichtsstunde her.

„Verräterkinder“, ARD, Montag,

23 Uhr 20

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Stephan Wiehler

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