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Fast schon ein Berliner. Matthias Matschke aus Marburg und TV-Kommissar in Magdeburg.
© imago/Lumma Foto

Interview mit Matthias Matschke: „Ich war von Berlin regelrecht schockiert“

Stadt und Schauspiel: Interview mit Matthias Matschke über die Volksbühne, Provokationen und hässliche Schönheit. In Berlin und Magdeburg

Herr Matschke, Sie trinken Ingwer-Tee? Haben Sie es mit den Nerven?

Nein, das nicht. Ingwer-Tee ist einfach das beste Mittel, um die Stimme zu ölen. Ich habe später noch eine Aufnahme für das Radio, da muss die Stimme sitzen.

Apropos ölen. Jetzt, wo Sie Magdeburger „Polizeiruf“-Kommissar sind, finden Sie die Stadt plötzlich toll. Zitat: „Magdeburg ist schöner, als ich erwartet hatte.“ Ganz schön rangeschleimt oder?

Sagen wir so: Ich liebe seit meiner Kindheit Flüsse. Wahrscheinlich deshalb, weil ich nicht weit weg vom Rhein aufgewachsen bin. An Wochenenden haben wir immer wieder Ausflüge an den Rhein gemacht. Seitdem habe ich eine Faszination für fließendes Wasser. Und Magdeburg liegt an der Elbe. Sie verstehen?

Sie sollen sich kürzlich sogar ein Segelboot zugelegt haben.

Das stimmt. Vor zwei Jahren. Damit schippere ich ein bisschen über die Gewässer Berlins. Als feststand, dass ich in Magdeburg drehen würde, habe ich sofort nachgeforscht, ob die Elbe dort schiffbar ist. Ist sie, wenn es auch nicht ganz ungefährlich ist, weil die Elbe dort relativ flach ist. Die Idee war, mir für die Zeit der Dreharbeiten ein Boot zu mieten. Ich hab’s dann doch gelassen.

Kann ja noch werden. Werden wir erleben, dass der Kommissar aus Magdeburg aufs Wasser geht?

Darüber darf ich leider nicht sprechen. Eine Option wär’s.

Was ist so schön am Segeln? Rollkragenpullover tragen?

Als Kind bin ich mit meinem Opa Bötchen fahren gegangen, wie er das genannt hat. Vielleicht hat da eine frühe Konditionierung stattgefunden. Ich kann das Segeln nur empfehlen, besonders den eher nervösen Typen, wie ich einer bin. Kaum bin ich auf dem Wasser, werde ich ruhig. Ich genieße das wahnsinnig.

Eigentlicher Berufswunsch: Pilot

Wasser ist das eine Lebenselement für Sie. Wie steht’s mit der Luft?

Auch gut. Ich wollte eigentlich Pilot werden. Aber daraus ist dann nichts geworden, wie wir alle wissen.

Stattdessen sind Sie ein diplomierter Schauspieler geworden. Warum das?

Wenn ich es wüsste! Kurz vor Ende meines Studiums an der HdK hier in Berlin wollte mich die Volksbühne haben, und schon war ich Schauspieler mit vollem Feindkontakt.

Klingt aggressiv.

Es ging und geht darum, das Publikum zu spüren, ihm die Geschichte zu präsentieren, die man vorbereitet hat. Da habe ich sehr viel von Henry Hübchen gelernt, der damals auch an der Volksbühne war. In den neunziger Jahren konnte es passieren, dass Zuschauer mitten in der Vorstellung irgendwas dazwischenriefen – heute fast unvorstellbar. Es ging auch viel um Provokation, von beiden Seiten. Und darum, das letzte Wort zu behalten.

Gehen Sie noch in die Volksbühne?

Nein, ich habe nicht die Zeit. Aber wenn Sie wie ich zehn Jahre in derart turbulenten Zeiten an einem Theater wie der Volksbühne waren – und das konnte 24 Aufführungen pro Monat in sechs verschiedenen Inszenierungen bedeuten – dann müssen Sie erst mal wieder zu sich finden. Und das heißt: Abstand halten. Ich musste mich freistellen. Ich bin immer noch fasziniert von dem, was da passiert. Aber ich habe einen anderen Weg gewählt.

Wie sehr hilft Ihnen Ihre Theatererfahrung bei Ihrer Fernseharbeit?

Es geht um Eigenständigkeit. Und das kann man beim Theater lernen wie sonst nirgendwo.

Ein Schauspieler ist ein Künstler

Muss man beim Theater gewesen sein, um ein guter Fernsehschauspieler zu sein?

Das glaube ich nicht. Es gibt Naturtalente, die im besten Sinne Performer sind. Jede Schauspielerei ist im Kern eine Performance. Es geht immer um den Moment. Der Moment definiert alles. Auch im „Polizeiruf 110“. Für mich persönlich gilt: Ohne meine Theatererfahrung könnte ich nicht der Schauspieler sein, der ich im Fernsehen bin.

Götz George war der Meinung: Handwerk, Handwerk, Handwerk. Sonst wirst du nie ein guter Schauspieler.

Immer, wenn ich diesen Begriff höre, werde ich nervös: Weil ich mich dann frage, was kann ich denn, was ist mein Handwerk? Schön sprechen, nicht stolpern, gut fechten? Was genau meint denn Handwerk? Mit Handwerkskunst allein werden Sie jedenfalls nie den Zauber erreichen, nach dem wir doch alle streben.

Anders herum: Geht es ohne Handwerk?

Das glaube ich wiederum nicht. Vor allem nicht über eine längere Zeit. Aber ein Schauspieler ist kein Handwerker, ein Schauspieler ist ein Künstler. Und so verstehe ich mich auch – als Künstler.

Muss der Künstler ein Einzelkämpfer sein?

Für mich gilt das nicht. Ich bin ein Team-Player. Ich brauche die Kritik und die Anregung. Ich lasse mich gerne provozieren. Provozieren im Sinne von etwas hervorrufen, etwas aus mir hervorrufen. Denn das kann ich nicht alleine. Wenn ich den Spiegel anschreie, kommt nur der Ton zurück, sonst nichts – leider.

Blut, Scheiße und Tränen?

Sind Sie ein Provokateur?

Als Schauspieler ist man immer ein Provokateur, weil man etwas im Zuschauer hervorruft. Oder hervorrufen will.

Um es, leicht verfremdet, mit Churchill zu fragen: Müssen es denn immer „Blut, Scheiße und Tränen“ sein?

Aber das ist doch nichts Neues! Das war es doch schon immer, jedenfalls im Theater. Wir haben einfach nur vergessen, wie sehr unser geliebter und verehrter Herr Schiller mit seinen Stücken zu seiner Zeit das Publikum provoziert hat. Es gibt so viele Möglichkeiten zu provozieren: mit dem Verlassen von Konventionen, mit dem Überbetonen von Konventionen, mit Langsamkeit, mit Schnelligkeit. Und manchmal passiert es auch, ohne dass man es will.

Muss ein Provokateur sein, wer ein guter Schauspieler sein will?

Ich würde davon abraten, einer sein zu wollen. Weil Sie dann die ganze Zeit daran denken, wie Sie was bei Ihrem Gegenüber auslösen können. Mit anderen Worten: Sie sind nicht bei sich, sondern bei dem anderen. Aber als Schauspieler müssen Sie ganz bei sich sein und dem, was Sie darstellen, das ist nun einmal der Kern unserer Arbeit.

Was hat Sie gereizt, die Rolle des Kommissars von Magdeburg anzunehmen?

Zuallererst natürlich: weil Claudia Michelsen mitspielt. Zweitens, weil mir meine Rolle Potenzial zu haben scheint. Mich reizt es sehr, etwas über diese Stadt Magdeburg zu erzählen, die ja einen durchaus nicht ganz so guten Ruf hat. Den hatte Berlin auch nicht, als ich vor 25 Jahren als hessisches Provinzkind in die Stadt kam. Ich war damals sogar regelrecht schockiert. Heute könnte ich ohne diese hässliche Schönheit nicht mehr leben. Was ich sagen will: Ein schlechter Ruf kann durchaus seinen Reiz haben.

Da Sie ja die Stadt so schön finden: Was hat Sie am meisten überrascht an Magdeburg?

Gehen Sie mal an einem lauen Sommerabend runter an die Elbe und werfen dann einen Blick zurück auf die Stadt und ihren großartigen Dom, in dem wir neulich gedreht haben. Vielleicht werden Sie sich dann bei dem Gedanken ertappen, den ich hatte, als ich das zum ersten Mal getan habe: Was für eine tolle Stadt!

Schön geschleimt.

Aber ehrlich geschleimt.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Geboren 1968 in Marburg, studierte Matthias Matschke Germanistik und Theologie, bevor er die Schauspielprüfung an der Berliner HdK bestand. Von 1996 bis 2000 war er Mitglied im Ensemble der Volksbühne, intensiv hat er mit Christoph Marthaler gearbeitet, oft auch mit Frank Castorf. Im Fernsehen war Matschke in „Pastewka“ oder in „Der Fall Barschel“ zu sehen, er spielte in Kinofilmen wie „Sonnenallee“ mit. Seine aktuell populärste TV-Rolle ist Kommissar Köhler im „Polizeiruf 110“. Seine Fotoarbeiten finden sich bei Instagram unter @mattmatschke.

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