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„Gomorrha“ ist die TV-Adaption des 2006 erschienenen Buches von Roberto Saviano.
© Promo

Roberto Saviano über die Mafia: „Ich fühlte mich unbesiegbar, heute habe ich Angst“

Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano über Freiheiten, Freunde und „Gomorrha“, die neue Fernsehserie zu seinem weltberühmten Buch über die Mafia.

Herr Saviano, was hat sich seit 2006, dem Erscheinen Ihres Tatsachenromans „Gomorrha“, in Sachen Mafia geändert?

Die Mafia ist weiter gewachsen, genauso wie das organisierte internationale Verbrechen gewachsen ist. Hauptsächlich liegt es daran, dass Polizei und Staatsanwaltschaft es nicht geschafft haben, diese Organisationen aufzuhalten, es gibt keine international vertretene Nationalpolitik, die in der Lage ist, eine Debatte über die Drogenlegalisierung zu eröffnen, die wahre Einnahmequelle der Organisationen, dank derer sie in jedem Bereich investieren können.

Nach Erscheinen des Buches schworen Mafia-Bosse Rache. Sie wurden unter Polizeischutz gestellt. Bereuen Sie manchmal, dass Sie das Buch geschrieben haben?

Ich bereue es nicht. Hätte ich jedoch gewusst, was auf mich zukam, hätte ich vermutlich besser aufgepasst. Ich hätte etwas Abstand genommen und „Gomorrha“ nicht mit der Dringlichkeit promotet, die ich nach wie vor fühle. Trotz der gewaltigen Genugtuung kann dir niemand das zurückgeben, was du verloren hast: deine Freiheit.

Sie sollen sich in einer Danksagung bei Ihrer Familie entschuldigt haben. Die muss sich ja auch verstecken, nach Ihrem Buch.

Niemand von ihnen hat mir je etwas vorgeworfen, obwohl ich ihr Leben zerstört habe. Ich bin ihnen unendlich dankbar dafür. Einen Sohn und einen Bruder zu haben, der so lebt, wie ich es tue, macht alles sehr schwierig. Man ist immer nervös, kann sich nicht entspannt treffen. Es vergehen oft Monate, ehe man sich wiedersehen kann. Hinzu kommt meine Gewissheit, die eigene Familie mit in eine Welt voller Ängste und Zweifel hineingezogen zu haben. Vor allem wegen ihnen würde ich es nicht wieder tun.

Wie viele Leibwächter haben Sie?

Ich habe zehn Leibwächter, die abwechselnd bei mir sind. Bin ich auf öffentlichen Events, sind es mehr.

Freunde?

Ich habe Freunde, die ich nicht oft sehe. Die Basis jeder Freundschaft ist, abgesehen von Zuneigung, die Möglichkeit zu haben, Zeit miteinander zu verbringen, sich zufällig zu begegnen. In meinem Leben kann ich nichts der Zufälligkeit überlassen. Alles muss im Voraus geplant werden, alles.

Zum Beispiel?

Angefangen von dem Restaurant, in dem ich drei Tage später essen werde, bis hin zu der Person, die ich in zehn Tagen treffe. Reise ich mit dem Flugzeug, und handelt es sich um einen nationalen Flug, reicht es, die Details eine Woche vor Abreise mitzuteilen, um sich mit dem Polizeischutz vor Ort zu einigen. Ist der Flug jedoch international, ist es besser, die Details einen Monat vor Abreise durchzugeben, da das Innenministerium des Gastgeberlandes frühzeitig wissen muss, welche Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden sollten.

Stört es Sie manchmal, wenn man beim Namen Roberto Saviano oft mehr an eine Art „Popstar“ oder „personifizierte Anti-Mafia-Garantie“ denkt als an einen originären „Schriftsteller“?

Nein, es stört mich nicht. Manche Leute behaupten, ich solle aufhören, über die Leibwache zu reden, und klar, ich könnte das tun, doch all das gehört zu meinem Leben. Es wurde behauptet, mein neues Buch „ZeroZeroZero“ sei das Buch eines Gefangenen. Das trifft meines Erachtens genau den Punkt. In allem, was ich sage, tue oder schreibe, befindet sich zwangsläufig mein Leben.

Nachdem 2008 der Film „Gomorrha“ in die Kinos kam und Sie noch bekannter wurden, hat das die Gefahr für Ihre Person nochmals vergrößert. Haben Sie jetzt Bedenken zum Start der TV-Serie?

Ja. Es folgten weitere Drohungen. Derzeit läuft ein Verfahren gegen die Casalesi-Bosse. Ihre Anwälte haben mir während des Spartacus-Prozesses gedroht. Es handelt sich um einen epochalen Prozess, es ist das erste Mal, dass Bosse Journalisten in einem öffentlichen Amtsgebäude bedrohen. Wir erwarten in Kürze das Urteil.

Wie ist es, so ein Buch umzusetzen? In einer TV-Serie könnte man ja Don-Corleone-Klischees bedienen: Verbrecher-Typen mit Zigarre und Smoking.

Nachdem die Leute in Italien die Serie verfolgt hatten, gab es niemanden mehr, der uns vorwarf, einen Glamour kreiert zu haben, der Empathie gegenüber der Kriminalwelt auslösen könnte. Wir haben die Camorra als das dargestellt, was sie ist: eine riesengroße Scheiße.

Vor drei Jahren haben Sie sich mit einer Show ins italienische Fernsehen gewagt, eine Mischung aus Unterhaltung und Gesellschaftskritik, ein Publikumserfolg. Warum ist nicht mehr daraus geworden?

Es handelte sich um eine Sendung, in der ich über das Eindringen von kriminellen Organisationen in Norditalien gesprochen habe. Es gab, trotz des Erfolgs, keine zweite Ausgabe, weil die Rai, die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Italiens – damals unangefochtenes Reich von Silvio Berlusconi und seinen Untertanen –, ein Veto gegen mich einlegte.

Hier gibt es so etwas nicht. Sie haben gesagt, Sie träumen davon, in Deutschland Sendungen über die Mafia zu machen.

Ich versuche es gerade. Deutschland ist ein unglaubliches Land. Ein Land, in dem die Einhaltung der Privatsphäre es teilweise nicht ermöglicht, Informationen weiterzugeben, die der Gemeinnützigkeit dienen könnten. Im Deutschland-Kapitel von „ZeroZeroZero“ musste ich für Mitglieder Decknamen verwenden, obwohl sie bereits verurteilt worden waren.

In Ihrem neuen Buch fordern Sie die Legalisierung des Drogenhandels.

Der einzige Weg, kriminellen Organisationen das rentabelste Segment zu entziehen, ist die Legalisierung. Es ist der einzige Weg, deren Macht anzugreifen, die im Drogenhandel ihren Ursprung hat.

Sie schreiben auch: „Ich habe angefangen, wie ein Mafioso zu denken.“ Und: Sie seien „bei der Beschäftigung mit diesem Thema ein Monster geworden“. Erschrecken Sie nicht manchmal über sich selbst?

Diese Geschichten verändern dein Leben, ganz egal, wer sie erzählt. Ich bin noch nie sorgenfrei gewesen, jedoch erkenne ich in dem Mann, der ich geworden bin, nicht mehr den Jungen, der ich einst war. Die Art, wie ich die Welt, wie ich andere Dinge betrachte, das Licht in meinen Augen, das hat sich verändert. Früher fühlte ich mich unbesiegbar, heute habe ich Angst.

Der Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano erhielt nach dem Erscheinen seines Buches "Gomorrha" 2006, das die kriminellen Machenschaften der Camorra-Clans in Neapel zeigt, diverse Morddrohungen. Die von der deutschen Beta Film mit produzierte TV-Serie "Gomorrha" wird ab Oktober auf Sky Atlantic ausgestrahlt. Danach läuft sie auf Arte.

Markus Ehrenberg

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