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Bloß nicht vorführen. Wie aus dem Nichts ist der frühere Kirmes-Musiker Heinz Strunk, 55, vor 15 Jahren zum wortgewaltigen Provinzchronisten geworden („Fleisch ist mein Gemüse“). Sein neuer Roman „Jürgen“ ist von der ARD verfilmt wurden, mit Strunk neben Charly Hübner in der Hauptrolle („Jürgen – heute wird gelebt“, 20 Uhr 15).
© WDR/Georges Pauly

Interview mit Heinz Strunk: „Ich bin Zitate-Sammler“

Mitgefühl lautet die frohe Botschaft der Literatur: Heinz Strunk über mittleres Elend, White Trash, Charly Hübner und Empathie.

Herr Strunk, kann es sein, dass Ihr frisch verfilmter Romanheld Jürgen Dose vor 23 Jahren der erste einer langen Reihe von Figuren aus der eher wenig privilegierten Unterschicht war?

Das stimmt.

Haben Sie damals ihr Faible für diesen Typus entwickelt?
Schon, weil ich selber ja dem entstamme, was man wohl untere Mittelschicht nennt. Aus meinem eigenen Elternhaus kenne ich jetzt nicht gerade echte Armut, aber durchaus ein Form von Elend der Verhältnisse. Umso wichtiger ist es mir, die unterprivilegierten Figuren meiner Geschichten nicht bloßzustellen oder vorzuführen, sondern schlicht darzustellen, wie sie sind.

Welche Tricks wendet man denn an, nicht über ihn, sondern eher mit ihm zu lachen?
Wichtig ist immer, die Figuren auch dann ernst zu nehmen, wenn sie ein bisschen unterprivilegiert sind. Von meinen Telefonstreichen beim „Studio Braun“ hab ich gelernt, besonders im Umgang mit solchen Leuten vorsichtig zu sein. Da gab es öfter mal die Situation, sich über jemanden lustig zu machen, der in seinem Leben ohnehin eher einsteckt als austeilt. Das war eine gute Schule fürs Schreiben. Richtige Tricks gibt es aber eigentlich nicht, im Grunde nicht mal eine besondere Technik. Nur Beobachtungsgabe und Empathie.

Und was privilegiert solche Figuren für den Humor?
Zunächst mal finde ich die Schicht der Reichen und Mächtigen aus humoristischer Sicht weit weniger spannend als die untere. Mitgefühl lautet die frohe Botschaft der Literatur. Eigentlich mache ich mir meine Zitate ja selber, aber das hier ist von Rainald Goetz. Ich bin leidenschaftlicher Zitate-Sammler. Auch Jürgen und Bernd werfen sich ja immer eher Redewendungen zu als Pointen zu reißen oder selbst der Gegenstand von welchen zu sein.

Zu welchem Typus Mann zählen denn der gefühlvolle Pförtner Jürgen und sein körperbehinderter Freund Bernd?
Seit Donald Trump mithilfe solcher Typen zum Präsidenten gewählt wurde, sind sie als White Trash bekannt. Bei uns könnte man sie vielleicht schweigende Mehrheit weißer Männer nennen, die sozial inkompetent, beruflich unzufrieden, leicht reizbar, voller Vorurteile, oftmals wütend und alles andere als stilvoll oder gar modebewusst sind.

Wie ist es, sich so eine tendenziell unzufriedene Figur wie Jürgen selbst auf den Leib zu schreiben – mutet man dem eigenen Ego da mehr an Abgründen und Hässlichkeit zu als anderen Schauspielern?
Absolut. Es wäre für mich unvorstellbar gewesen, mir zum Beispiel einen Jürgen Vogel darin vorzustellen oder überhaupt irgendeinen Profi. Ich kann mir da selbst deutlich mehr zumuten als anderen.

Ist Jürgen trotz aller Nähe zu Ihrer eigenen Biografie dennoch eine Kunstfigur?
Es ist natürlich eine Verdichtung, aber keine Kunstfigur. Um das zu verstehen, empfehle ich jedem, mal in irgendeine beliebige Fußgängerzone zu gehen, ganz egal in welcher Provinz und sich die Leute darin genau anzusehen. Da wimmelt es nur so von diesen Menschen.

Sind Sie selber eher Ihre Kunstfigur Heinz Strunk oder doch der reale Mathias Halfpape?
Heinz Strunk ist ja weniger Kunstfigur als Künstlername, den ich mir vor mehr als 20 Jahren zugelegt habe, weil das damals besser zu meinem Humor gepasst hat als Mathias Halfpape. Die gehen seither fließend ineinander über.

Geht es mit dem denn noch weiter?
Das wird die Einschaltquote zeigen. Wenn sie stimmt, könnte ich mir das gut vorstellen, so mit Charly Hübner und mir in fortlaufender Rolle mit ein paar Antagonisten. Regisseur Lars Jessen hat sich das ja schon vor zehn Jahren als Serie vorgestellt.

Bezeichnen Sie sich selbst eigentlich als Schriftsteller?
Schriftsteller, ich weiß nicht. Eher als variantenreicher Kulturschaffender.

Und als Politiker?
Überhaupt nicht. Ich habe schon vor Jahren aufgehört, in „Die Partei“ aktiv zu sein, das muss ich unbedingt mal aus Wikipedia löschen.

Wie aus dem Nichts ist der frühere Kirmes-Musiker Heinz Strunk, 55, vor 15 Jahren zum wortgewaltigen Provinzchronisten geworden („Fleisch ist mein Gemüse“). Sein neuer Roman „Jürgen“ ist von der ARD verfilmt worden, mit Strunk neben Charly Hübner in der Hauptrolle („Jürgen – heute wird gelebt“, 20 Uhr 15).

Jan Freitag

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