US-Serie "Hand of God": Ich bin der Herr, sagt Richter Harris
„Hand of God“: Die neue Amazon-Serie ist mehr als Kriminalfall. Es geht um Selbstjustiz, um Rache und um religiös verbrämten Fanatismus.
„Hand of God“ hat rein gar nichts mit der „Hand Gottes“ zu tun, mit der ein argentinischer Fußballer einst ein WM-Spiel entschied. „Hand of God“ ist eine Kirche, gegründet von Paul Curtis (Julian Morris). Sie will mit der Rettung menschlicher Seelen zugleich die Kasse des Reverends klingeln lassen. Paul Curtis ist ein Schauspieler, ein Menschenfänger, der die Soutane anlegt, ohne den Gauner abzulegen.
„Hand of God“ wächst, der bislang größte Coup ist der Beitritt von Richter Pernell Harris (Ron Perlman); als „Richter Gnadenlos“ spricht er Höchststrafen aus, zugleich ist er der heimliche Herrscher der Stadt, die seine Familie aufgebaut hat. Sein Hang zur Selbstgerechtigkeit entwickelt sich schnell zur Selbstjustiz. Pernell Harris hat sich auf den Weg der Rache gemacht. Sein Sohn PJ liegt im Koma, er hat zusehen müssen, als seine Frau Jocelyn (Alona Tal) vergewaltigt wurde. Der Vater und Schwiegervater will herausfinden, was hinter der Tat, was hinter dem Selbstmordversuch steckt. Harris wähnt sich in direktem Kontakt mit dem Allmächtigen, er hört Botschaften, die ihm Gott selbst über seinen Sohn schickt. Ein Mann, ein Vater am Rande des Wahnsinns.
Richter Harris ist die Zentralfigur der US-Serie, drum herum gruppieren sich seine Frau Crystal (Dana Delany), Bürgermeister Robert „Bobo“ Boston (Andre Royo), schließlich Keith „KD“ Dennison (Garret Dillahunt), ein Soziopath, der in der Religion die Erlösung von seiner Gewaltneigung sieht und in Pernell Harris einen rechtschaffenen Propheten Gottes erkennt. Er wird sein Werkzeug, die Faust Gottes, Man of God.
Die Serie ist ein Kriminalfall, mehr noch ein Psychothriller. Den Plot hat es so oder ao ähnlich schon gegeben, klar, was die Serie aus den Amazon-Studios allerdings heraushebt, das ist die zweite Ebene. Die Geschichte hinter der Story: Fanatismus, hier religiös fundamentiert, als Treibmittel, als Instrument, als Waffe. Gott liefert die Argumente, umgekehrt: Gott ist die Ausrede.
Fremde werden zu Vertrauten
Ben Watkins („Burn Notice“) hat die Bücher geschrieben, was mehr als eine Notiz sein muss. Die prägenden US-Serien der Gegenwart leben von der Originalität, der Spiritualität und der Kreativität der Autoren. Sie schaffen und bevölkern den Kosmos, der so fern und unbedingt so nah erscheint. Fremde werden Vertraute, Vertraute bringen den Zuschauer vor die Frage: Pernell Harris handelt falsch, aber würdest du nicht genauso handeln?
„Hand of God“ ist das Seriendebüt des Filmregisseurs Marc Forster („World War Z“, „James Bond: Ein Quantum Trost“, „Monster’s Ball“); Forster erzählt, was die Geschichte als Geschiche braucht; weit wird sie über Inszenierung und Kamera in den Vordergrund geschoben, genauso wie die Protagonisten. Vielleicht, aber nur vielleicht, mit einer Prise Überwältigungsästhetik zu viel.
Ron Perlman spielt Pernell Harris. Perlman hat die Serie „Sons of Anarchy“ getragen – da war er der jähzornige Clay Morrow –, er hat mit Jean-Jacques Annaud („Der Name der Rose“), mit Guillermo Del Toro („Pacific Rim“) gedreht. Richter Harris bietet großen Reichtum für einen Darsteller. Wenn die Grundfrage – was kann Fanatismus aus einem Mann machen? – in einem Menschen exemplifiziert wird, dann hat Perlman die schauspielerische Kapazität, die Frage zu stellen und sie zu beantworten.
„Hand of God“ ist eine Produktion der Amazon-Studios. Dort herrschen ungewöhnliche Bedingungen. Amazon-Kunden bewerten eine Pilotfolge. Dieses Feedback geht ein in die Entscheidung, eine erste Staffel zu drehen. Am Freitag werden die zehn Folgen in englischer Version für die Amazon-Prime-Kunden gestreamt, am 2. Oktober folgt die deutsche Übersetzung. Es wird bei der ersten Staffel nicht bleiben. Joachim Huber
Joachim Huber