Bloggen: Ich bin auf Entzug
Else Buschheuer gibt das Bloggen auf und erklärt, warum sie nicht länger eine "gläserne Frau" sein will.
Ich weiß nicht, von welcher Krise ihr redet. Ich hab’ meine eigene. Nennen wir es eine digitale Midlife-Krisis. Was bin ich denn? Zu sperrig, zu autistisch um jemals Mitglied der digitalen Bohème geworden zu sein. Zu alt für einen Digital Native. Ich bin – Digital Woodstock. Ja, das trifft es am besten. Ich bin eine Internetpionierin, die dauernd auf Panels eingeladen wird über Sinn und Unsinn, Gegenwart und Zukunft des Bloggens, dabei kann ich einen RSS-Feed nicht von einem Podcast unterscheiden. Ich chatte nicht, ich hashtagge nicht, ich hab nie einen Fuß ins Facebook gesetzt, und diese ganzen Abkürzungen und Blogrolles und Nicknames machen mich krank.
Auf meiner Website gab es keine Kommentarfunktion. Nie war ich auf einer Blogger-Lesung oder einem Twittertreffen. Für mich zählte der Netzwerk-Effekt des Internets nix. Ich hab’ auch nicht aktiv Gleichgesinnte gesucht (wenngleich ich auch passiv einige wenige fand). Ich hab’ auch nicht versucht, meine Gemeinde zu vergrößern. Ich war, Frank Zappa hat das, glaube ich, mal gesagt, das einzige Mitglied meiner eigenen Sekte. Ich war eine Sektenführerin ohne Volk, die euphorisiert oder niedergeschlagen, finanziell abgesichert oder zwischen Niedrighonoraren irrlichternd, sich ihren Weg bahnte durch das, was sie ironisierend Menschwerdung nannte. Ich war öffentlich auf Freiheitssuche. Mit Gott oder ohne Gott, mit Netz oder ohne Netz und doppelten Boden, reisend oder sich an einem Ort einrichtend, immer anders, aber immer ich. Auch vor Zertrümmerungen und totalen Kehrtwenden hab’ ich nicht haltgemacht. Haltgemacht hab’ ich überhaupt selten.
Ein bisschen muss man sich meinen Weg vorstellen wie den von Forrest Gump, als er plötzlich losläuft. Er läuft und läuft, sein Bart wird immer länger, und Menschen schließen sich ihm an, und Ziele werden ihm unterstellt. Er läuft so lange, bis er eines Tages stehen bleibt.
Was ich eben nicht kann, ist halb. Wenn ich etwas trinke, dann bis zur Neige, wenn ich etwas esse, dann alles auf. Wenn ich für etwas/jemanden brenne, dann lichterloh. Ich stürze mich also kopfüber in das neue Thema und drohe, darin zu ertrinken, oft brechen dabei Beziehungen weg, Freundschaften, Wohnorte. Oft erscheint mir das, was ich noch gestern glaubte, heute nicht mehr richtig. Meist sind es Gesinnungsfragen, an denen man edel sterben könnte. Aber dazu lebe ich dann wieder zu gern. Und erlebe zu gern. Und reflektiere. Und stelle infrage. Am liebsten mich selbst, denn die Welt kann man nicht ändern, das hab’ inzwischen sogar ich gelernt. Man kann sie nicht ändern, bevor man sich selbst ändert. Das alles habe ich neun Jahre lang laut gemacht. Mich immer wieder geändert, dauernd geändert, dauernd neu erfunden. Ganze neun Jahre lang, angefangen mit Medienschnurren im Jahr 2000, als mein erstes Buch „Ruf! Mich!An!“ erschien, dann begleitend zu meinem zweiten Buch „Masserberg“, das nun endlich verfilmt wird. Dann als verstörtes Menschlein im Sperrgebiet neben den zusammengebrochenen Türmen in New York. Dann als jemand, der sich spirituell versucht, der den Zynismus ablegen und einfach nur gut sein will (hahaha). So viele Ideen, leidenschaftlich ausgeführt, grandios gescheitert. Und meine Stammhasen saßen zu Hause im gemütlichen Sessel, tranken Maschinenkaffee, aßen Kuchen aus der Assiette und dachten sich: „Na, was wohl Else heute wieder erlebt hat? Ist sie aus der Wohnung geflogen? Lief eine Ratte nachts über sie oder wenigstens eine riesige Kakerlake? Sitzt sie im Emergency-Room mit Verdacht auf Tuberkulose? Hockt sie in Kalkutta mit Durchfall auf dem Hockklo? Ist sie in Bangkok von einer Dengue-Fliege gestochen worden?“
So war das. Und wehe, meine Geschichten waren zu kurz oder kamen zu selten oder verloren an Spannung. Na, da war vielleicht der Teufel los! Und wehe, ich wechselte nicht regelmäßig das Foto auf dem Titel meiner Website aus, natürlich gegen ein ansprechendes. Und wehe, ich beantwortete die Hunderte und Aberhunderte von E-Mails mal eine Weile nicht. Bin ich etwa arrogant geworden? Und überhaupt, was ist mir eingefallen, vor vier Jahren nach Leipzig zu ziehen? Ganz ohne Tempel, Kakerlaken und Central Park? Mit Mietvertrag, regelmäßigen Jobs und einer Küche mit Durchreiche?
Die Zeiten ändern sich. Ein wildes, unstetes Leben ergibt oft erst im Nachhinein Sinn. Wenn man stehenbleibt und zurückblickt. Forrest Gump ist stehengeblieben. Ich möchte nun wieder mein eigenes Erleben, das ich für mich behalte, sammle und vielleicht zu einem neuen Buch wachsen lasse. Es soll so lange wachsen, wie es zum wachsen braucht. Nicht, dass mir das leicht fiele. Ich war abhängig von meinem Tagebuch. Ich bin auf Entzug. Ich musste im Browser die Seite löschen, die ich immer aufrief, um einen Eintrag zu schreiben. Ich musste sie vor mir selber verstecken, wie ein nagelneuer Nichtraucher die Zigaretten vor sich versteckt. Vom Netz gehen kann ich nicht. Ihr werdet mich zwitschern hören, hier und da. Ihr könnt meine Bücher kaufen, es gibt jede Menge davon. Aber wenn ihr eine gläserne Frau wollt, dann geht nach Dresden ins Hygienemuseum.
www.else-buschheuer.de
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