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Wie fasst man Hunger in Bilder? Illegal gefangene Fische, die in Nord-Mauretanien zum Trocknen ausgelegt sind. Der legale Fischfang ist in den Händen der Industrienationen.
© ARD

Doku im Ersten: "Hunger" - Über ein globales Problem

In fünf Ländern suchen die Macher des Dokumentarfilms "Hunger" nach Ursachen und Lösungen für das gewaltige Menschheitsproblem Hunger.

Es ist eine kleine Geschichte aus der globalisierten Welt: Eine alte Frau erzählt, wie einst in ihrer Heimat im Süden Kenias das Wasser sprudelte. „Wir badeten darin“, sagt sie und zeigt mit den Händen, wie ihr das seltene Gut über das Gesicht floss. Nun leitet die Regierung das meiste Wasser um, für die Blumenfarmen in Nairobi. Um eine Rose zu produzieren, benötigt man fünf Liter Wasser. 80 000 Tonnen exportiert Kenia für den Blumenmarkt in Westeuropa. Die Massai jedoch erhalten vom Wasser im Boden nur das Nötigste zum Leben. Wer damit Felder bewässert, gilt als Dieb.

Mitten zwischen Kochrezepten und Ernährungstipps, Fernsehfilmen und Wissensshows zeigt das Erste während der Themenwoche „Essen ist Leben“ am Montag um 22 Uhr 45 den Dokumentarfilm „Hunger“. Er ist eines der herausragenden Stücke dieser ARD-Gemeinschaftsanstrengung. Den Mut, den Primetime-Abend mit solch seltener Qualität zu beginnen und stattdessen Reinhold Beckmanns und Tim Mälzers Allerwelts-Ratgeber hinter die „Tagesthemen“ zu legen, hatte die ARD nicht.

Das Autoren-Duo Marcus Vetter vom Südwestrundfunk (SWR) und Karin Steinberger von der „Süddeutschen Zeitung“ suchte in fünf Ländern nach Ursachen und Lösungsansätzen für das gewaltige Menschheitsproblem Hunger, in Kenia, Mauretanien, Indien, Brasilien und Haiti. Mehr als eine Milliarde Menschen leiden an Unterernährung. An den Folgen sterben täglich weltweit 25 000 Männer, Frauen und Kinder.

Die Autoren reportieren nicht im Korrespondenten-Stil und sammeln auch nicht Bilder von „spendenaufrufkompatiblen Hungerbäuchen“, wie das Karin Steinberger im Presseheft nennt. Der ans schlechte Gewissen appellierende Schock ist ebenso knapp bemessen wie die Zitatensammlung von Experten aller Art. Dafür erzählen Vetter und Steinberger Geschichten wie die von den Massai, den Blumen und dem Wasser. Hören den Fischern in Mauretanien zu, die wegen der leergefischten Meere zu Flüchtlingsschleppern werden. Besuchen die Witwen der Reisbauern in Indien, die sich für den Erwerb der neuen, gentechnisch erzeugten Sorten hoffnungslos verschuldeten und Selbstmord begingen. Zusammenhänge werden nicht vom Katheder vorgetragen, sie erklären sich von selbst.

Aber das Problem ist komplex, einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Zu Wort kommen auch ein Genforscher in Neu Delhi und ein Sojabauer im abgeholzten Amazonasgebiet, die glauben, nur durch Ertragssteigerung könne der Hunger bekämpft werden. Die große Politik bleibt außen vor, stattdessen begleitet der Film Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und NGOs, die sich vor Ort um Lösungen bemühen. Vor allem aber lässt er die Menschen selbst reden. Was eigentlich ist Hunger? Wie fasst man ihn in Bilder, wenn man nicht in die Katastrophengebiete reist? Der Hunger ist in diesem Film fast immer unsichtbar, aber allgegenwärtig: Bei den ehemaligen Kleinbauern in den Slums von Haiti, wo die Menschen Schlammkekse backen, um zu überleben. Die Kamera von Thomas Mauch, der früher bereits mit Edgar Reitz und Werner Herzog zusammenarbeitete, schafft eine große Nähe, ohne aufdringlich zu sein.

„Hunger ist das elementarste Elend“, sagt die indische Molekularbiologin Suman Sahai, die in den Dörfern für Reissamenbanken wirbt. „Die Hilflosigkeit, die mit ihm verbunden ist, ist entwürdigend.“

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