Gedenken in Multimedia: Holocaust auf Instagram
Warum das israelische Onlineprojekt „Evas Stories“ trotz mancher Kritik der richtige Weg ist.
Lässt sich der Holocaust als Instagram-Story erzählen? Ist ein Medium der Selbstdarstellung geeignet, um die Erinnerung an die Ermordung von sechs Millionen Juden wachzuhalten? Das Onlineprojekt des israelischen Hightech-Milliardärs Mati Kochavi unternimmt mit „Evas Stories“ genau diesen Versuch. Was, wenn ein Mädchen während des Holocaust ein Smartphone und Instagram gehabt hätte?, lautet die Grundüberlegung – und der Erfolg gibt den Machern aller Kritik zum Trotz recht. Die Zahl der Abonnenten der Story, die erst am 1. Mai startete, durchbrach in der Nacht zu Freitag die Eine-Million-Marke, Tendenz schnell steigend. Das Trailervideo kommt sogar auf fast drei Millionen Aufrufe. Doch als Rechtfertigung für diese Art von Geschichtsvermittlung, die manche für trivialisierend und respektlos halten, reicht das freilich nicht aus.
Das chronologisch aufgebaute Projekt beginnt am 13. Februar 1944 und besteht aus insgesamt 70 kurzen Videoclips. Sie erzählen die wahre Geschichte der Ungarin Eva Heyman, die an diesem Tag 13 Jahre alt wurde. Das jüdische Mädchen posiert für das Smartphone, wie es Millionen Gleichaltrige heute tun, wenn auch die Kleidung typisch 1940er Jahre ist.
Anfangs stellt sie ihre Mutter, die Großeltern, ihre beste Freundin und ihre Cousine vor, doch die heile Welt zerbricht schnell. Ein selbst gemaltes Bild zeigt, was die Nazis den Juden antun, wobei die Männer nur durch die dazu abgebildeten Hakenkreuze als Faschisten zu erkennen sind. Ein anonymer Mann auf der Straße ist direkter, beschimpft Eva und ihre Familie als „dreckige Juden“. Eines Tages wird ihre Freundin von SS-Männern abtransportiert. Am 6. Juni 1944 wird Eva, die von einer Schauspielerin gespielt wird, nach Auschwitz deportiert.
Die Instagram-Version wurde von einigen Kritikern in den sozialen Medien als geschmacklos bezeichnet
Entstanden sind die Videos in der Ukraine, für eine Szene wurden 40 Panzer aufgefahren. Kochavi, der Regie führte, steuerte einen Millionen-Euro-Betrag zu. Das Projekt basiert auf Eva Heymans Tagebuch, das nach Kriegsende zu ihrer Mutter gelangte, die den Holocaust überlebte. Es ist unter dem Titel „Das rote Fahrrad“ als Buch erschienen. Die Instagram-Version wurde von einigen Kritikern in den sozialen Medien als oberflächlich und geschmacklos bezeichnet.
Kochavi hält dagegen, dass die Erinnerung an den Holocaust außerhalb Israels zunehmend verblasse. Mit dem Projekt gehe er dorthin, wo sich die Jugend heute aufhält, sagte er der „New York Times“. Und der isrealischen Zeitung „Haaretz“ erklärte er, dass es wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne im digitalen Zeitalter extrem wichtig sei, neue Modelle der Zeugenaussagen und Erinnerung zu finden – „auch angesichts der sinkenden Zahl von Holocaust-Überlebenden.“ Wie bei jedem anderen Medium könne man auch auf Instagram oberflächliche, aber auch tiefgründige Geschichten erzählen.
Kritik an der gewählten Darstellungsform war Ende der 1980er Jahre auch Art Spiegelman ausgesetzt. Er hatte die Erlebnisse seines Vaters für die beiden Bände von „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“ in Comicform erzählt. Beide Elternteile überlebten das Konzentrationslager Auschwitz, Art Spiegelmans Bruder sowie viele Verwandte und Freunde wurden dort ermordet. Es war die erste Graphic Novel über die Schoah, und die Darstellung von Katzen mit Hitlerbärten und Mäusen im KZ wurde nicht zuletzt in Deutschland kritisiert. In Amerika war man offener für diese Art der Geschichtsdarstellung. Spiegelman erhielt für die „Maus“ als erster Comiczeichner einen Pulitzer-Preis.
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