Filmfestivals: Hauen und Stechen
Aber mit Grandezza. Warum der deutsche Fernsehfilm bei Festivals wie in München oder Ludwigshafen so begehrt ist.
Pragmatisch ist wohl der richtige Ausdruck. Gleich am Rhein hat der Chef des zehnten Festivals des Deutschen Films ein Zelt aufstellen lassen. Wichtige WM-Spiele werden live gezeigt für Kinoverächter, denen das Programm in den zwei Kinozelten vis-à-vis unter den Platanen auf der Parkinsel in Ludwigshafen nicht spannend genug ist. Michael Kötz ist ein Festivalhaudegen und Kummer gewohnt. Das von ihm seit 25 Jahren ebebfalls geleitete Internationale Filmfest Mannheim/Heidelberg hat mit seinem eher sperrigen Programm national nie die Anerkennung gefunden, die es verdient hätte, findet Kötz nicht ohne Selbstironie. Seit der Gründung 2005 haben sich die Besucherzahlen allerdings mehr als verzehnfacht. Im letzten Jahr lagen sie bei 64 000, jedes zweite Jahr ist WM oder EM, dann stagnieren die Festivalbesuche.
Mit König Fußball hat Kötz seinen Frieden gemacht. Nicht aber mit der Festivalkonkurrenz im eigenen Land, die ab diesem Freitag zeitgleich um Zuschauer buhlt. Das 32. Münchner Filmfest lockt eine Woche lang Besucher an die Isar. Der mit 50 000 Euro dotierte Hauptpreis in Ludwigshafen habe in der Branche Gewicht, weiß Kötz, „aber München punktet dagegen dreifach. Sie wissen den Bayerischen Rundfunk auf ihrer Seite, in München ist eines der größten Studios, die Bavaria, ansässig und die Filmförderung Bayern ebenso. Die eine Woche, die sich die Festivals überlappen, tut uns weh.“
Was ist wichtiger: gute Filme oder Premieren?
Um manchen Film gebe es mit München ein Hauen und Stechen. „Natürlich gibt es Filme, die wir nicht haben, weil München darauf besteht. Andere haben wir München regelrecht weggenommen.“ Dabei wolle man, so Kötz, gar nicht um jeden Preis ein Premierenfestival sein. „Wenn du Premieren haben willst, hast du keine guten Filme, und wenn du gute Filme haben willst, hast du keine Premieren.“ Oder man erklärt überdurchschnittliche ARD-Fernsehfilme wie „Der Andi ist wieder da“, der in Berlin beginnt und in der schwäbischen Provinz endet, zu einer von fünf „Weltpremieren“ und darf sich sicher sein, dass der ganze Cast zur Premiere kommt.
Der Film von Regisseurin Friederike Jehn ist einer von drei Filmen, den Kötz der Konkurrenz weggeschnappt hat. Münchens Festivalchefin Diana Iljine retourniert den Ball leicht unterschnitten. „Es ist normal, dass immer mal wieder Filme, für die man sich interessiert hat, auch an andere Festivals gehen“, sagt Iljine. Sie sagt es aus einer entspannten Position, wohlwissend, „dass wir durch unsere Trias von Publikum, Branche und Journalisten schon sehr stark sind. Wir sind ein nationales Festival mit internationaler Ausstrahlung.“ Das gilt so oder so ähnlich auch für die Berlinale. Auch sie bereitet dem Ludwigshafener Filmfestchef Kopfzerbrechen.
Die deutsche TV-Film-Nische, die Kötz’ Festival so emsig beackert, fördere auch in Berlin Begehrlichkeiten. „Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Fernsehen und Kino in Deutschland“, hat Michael Kötz herausgefunden. „Einer der besten Filme, die wir haben, ist ein ,Tatort’: ,Im Schmerz geboren’ mit Ulrich Tukur. Der ist ungeheuer kinematografisch. Aber der ist nicht in der Kinoagenda, weil da kein Kinogeld drin ist. Deswegen fehlt der auf Festivals wie der Berlinale, außer Kosslick entdeckt das Fernsehen jetzt auch, was ich fast befürchte. Es sind ja dieselben Regisseure, dieselben Zuschauer, dieselben Autoren, dieselben Schauspieler, nur das rein ökonomische Kinogeld ist eben nicht drin.“
Doch Berlinale-Direktor Dieter Kosslick reklamiert die Idee mit
dem deutschen Film für sich. „Seit meinem Amtsantritt 2001 bietet die Berlinale dem deutschen Film eine breite Plattform“, sagt Kosslick dem Tagesspiegel „Die Berlinale zeigt auch schon seit Jahren hochkarätige TV-Produktionen beziehungsweise neue TV-Formate, man denke nur an Dominik Grafs Mehrteiler ,Im Angesicht des Verbrechens’ oder Jane Campions Serie ,Top of the Lake’“. Fernsehserien seien ein Teil der Filmkultur geworden, das verfolge man seit Jahren mit Interesse und präsentiere besondere Produktionen. „Das Profil der Berlinale ist eigenständig und singulär.“ Ludwigshafen mit seinem hochkarätigen Programm müsse sich keine Sorgen machen. „Die beiden Festivals ergänzen sich hervorragend und sind damit eine Bereicherung für die deutsche Filmbranche.“
Ludwigshafen will mit seinem Nischenmodell punkten
Kötz wird wissen, dass sein Nischenmodell in Ludwigshafen mit weiteren weichen Merkmalen punkten muss, will es nicht weiter von der Konkurrenz gönnerhaft behandelt werden. Mögen es nicht die besten Filme sein, die er auf seinem Festival am Rhein zeigen darf, „aber in München und Berlin fährst du durch die Gegend oder klemmst dich in vorhandene Kinos“, hat er beobachtet, „dagegen ist hier bei uns alles Grandezza.“ Deutsche Fernsehfilme in Zelten neben Rheinlastkähnen – das kann in der Tat sonst niemand bieten, nicht einmal Berlin.
Jörg Seewald
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