NSA-Game: Guter Hacker, böser Hacker
In „Watch Dogs“ kämpft der Spieler gegen den Überwachungsstaat – Kollateralschäden inbegriffen.
Aiden Pearce ist ein Hacker mit enormer Macht – und der Protagonist des Videospiels „Watch Dogs“. Per Smartphone dringt Aiden in das Betriebssystem ein, das die gesamte Infrastruktur der Stadt Chicago steuert. So manipuliert er Ampeln, Zugbrücken und U-Bahnen, verursacht Stromausfälle und kapert Überwachungskameras. Auch auf die Personalakten und die Bankkonten der Stadtbewohner hat Aiden unbeschränkten Zugriff: Per App erkennt er augenblicklich, ob er einen Steuersünder vor sich hat, einen Kaufhausdieb oder einen unbescholtenen Bürger mit seltsamen Hobbys.
Fünf Jahre dauerte die Entwicklung von „Watch Dogs“, veröffentlicht wird das Spiel zur richtigen Zeit: Nie war die öffentliche Debatte um Überwachung und Datenmissbrauch intensiver als in den letzten Monaten. Die NSA-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden demonstrieren, wie gläsern der moderne Mensch bereits ist, ob nun als Internetnutzer, Unternehmenskunde oder Passant im öffentlichen Raum. Die Macher von „Watch Dogs“ haben Chicago als Schauplatz gewählt, weil die Stadt zu den am stärksten überwachten Ort der Welt gehört: Allein die städtischen Behörden betreiben dort Schätzungen zufolge mehr als 22 000 Kameras.
„Watch Dogs“ spielt in einer nahen Zukunft, in der eine private Sicherheitsfirma die gesamte Infrastruktur verwaltet. Chicago ist eine riesige Spielwelt, die zu Fuß, mit dem Auto, der Bahn und auch mit Booten erkundet werden kann. Ähnlich wie „Grand Theft Auto“ ist „Watch Dogs“ vollgepackt mit architektonischen Details und bevölkert von zahllosen computergesteuerten Figuren, von denen jede ein Eigenleben hat.
Protagonist Aiden Pearce hat sich als krimineller Hacker in der Vergangenheit mit den falschen Leuten angelegt; bei einem Anschlag auf ihn kam seine sechsjährige Nichte zu Tode. Aiden wird von tiefen Schuldgefühlen gepeinigt und sucht mit aller Kraft nach dem Drahtzieher des Anschlags, um sich an ihm zu rächen. Gleichzeitig will er seine Schwester und deren Sohn beschützen. Schon bald beginnt ein undurchsichtiges Spiel, an dem sowohl die subversive Hackergruppe DedSec als auch mehrere Hacking-Söldner beteiligt sind, die in Chicago ihr Unwesen treiben.
Das Hacking als Spielelement vereinfacht „Watch Dogs“ stark. In der Rolle des Aiden Pearce muss man weder Programmcodes schreiben noch mühselig Sicherheitslücken finden. Stattdessen reicht schon ein Knopfdruck, und Aidens Smartphone zeigt sämtliche Angriffspunkte, die sich in seiner Nähe befinden. Ein Beispiel: Um einen Geheimcode aus einem schwer bewachten Bürokomplex zu stehlen, hackt Aiden zunächst eine Überwachungskamera an der Fassade des Gebäudes. Dann hangelt er sich hackend von Kamera zu Kamera, bis er die Zielperson mit dem Code im Visier hat und bestehlen kann. Auch bei Verfolgungsjagden kommt Aiden das Hacken zugute: Wenn Poller automatisch hochfahren und Ampelfehlschaltungen Massenkarambolagen verursachen, stoppt das die Gegner zuverlässig. Am anspruchsvollsten sind noch die Minispiele, bei denen Aiden Stromkreisläufe manipuliert und Schlösser knackt.
Physische Gewalt ist in „Watch Dogs“ ein probates Mittel: Oft muss man Gegner töten, um in der Handlung weiterzukommen. Rohe Gewalt führt allerdings nur selten zum Ziel, weil die Gegner meist in der Überzahl sind. Viele Missionen funktionieren am besten mit einer Mischung aus Spionieren und Schleichen, Ablenkungsmanövern und gezielten Angriffen. Unmittelbare Auswirkungen auf das Spiel hat auch der Ruf, den Aiden in der Stadt genießt: Bekämpft er nebenbei Verbrechen, kann er sich selbst mehr Verfehlungen leisten. Hat Aidens Reputation gelitten, weil er Zivilisten getötet hat, verständigen Zeugen sofort die Polizei, wenn er sich mal wieder ein fremdes Auto „ausleiht“.
„Watch Dogs“ ist eine Welt mit beeindruckenden Möglichkeiten: Das Spiel bietet unzählige Nebenmissionen, von der Pokerpartie bis zum Beschattungsauftrag. Der Mehrspielerpart ist in die Solokampagne nahtlos eingebettet. Mitunter wird man plötzlich von anderen Spielern gehackt und muss sie unter Zeitdruck aufspüren. Spannend ist auch der Verfolgermodus, bei dem ein Spieler per Tablet-App Polizeitruppen steuert.
Als Hackerspielplatz weiß „Watch Dogs“ sehr gut zu unterhalten. Für die Handlung gilt das nur mit Einschränkungen. Aiden Pearce wird von Auftrag zu Auftrag gehetzt, bleibt aber als Figur erstaunlich blass. Die unterkühlte Hackeratmosphäre zieht sich durch das ganze Spiel. Was „Watch Dogs“ eindringlich vermittelt, ist das Missbrauchspotenzial von Macht: Technologie ist nur ein Werkzeug, das in Aidens Händen zur Waffe wird.
„Watch Dogs“, für Konsolen (außer Wii und Wii U) und PC, 70 bzw. 60 Euro, USK: ab 18 Jahren