"Polizeiruf 110" aus Berlin: Go East
Berlin, Masuren: Der „Polizeiruf 110“ des RBB verliert sich in der polnischen Seele. Immerhin hebt sich das vom oft allzu grellen "Tatort" ab.
„Lass Deine geistige Unterhose runter, wenn Du mit einem Polen ins Geschäft kommen willst“, so wird es tatsächlich von einem Unternehmensberater deutschen Firmen empfohlen, die im Nachbarland investieren wollen. Das heißt, zeig’ auch mal Schwächen und Gefühle. Ähnliches haben sich wohl die Autoren des Berlin-Brandenburger „Polizeiruf 110“ ins Buch geschrieben. Seit zwei Jahren ermitteln Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz), Deutscher mit polnischen Wurzeln, und Kollegin Olga Lenski (Maria Simon) im deutsch-polnischen Grenzgebiet. So gefühlig, so melodramatisch, so nah am Abgrund wie diesmal war es noch nie.
Eine verzwickte Mordgeschichte, ein dichtes Stück um bedingungslose Liebe, Betrug, Eifersucht, Sorgerecht, Vergebung und Mutterliebe. Süße Kulleraugen gleich in der ersten Szene. Ein Baby in einer Trage wird weggehoben. Wer das tut, sehen wir nicht. Dräuende Hintergrundmusik verkündet wenig Gutes. Als eine Frau nach nur fünf Minuten zurück ins Krankenhauszimmer kommt, bricht sie in Panik aus: Ihr sechs Monate alter Junge Leo ist entführt worden, am helllichten Tag aus einer Klinik in Frankfurt/Oder. Verzweifelte Eltern (Katharina Heyer und Tobias Oertel), heftige Vorwürfe ans Personal, derweil sich auf einem Parkplatz der Mann, der das Baby in seinem Wagen weggefahren hat, nervös eine Zigarette ansteckt und auf Polnisch ins Handy ruft: „Ich habe etwas Dummes gemacht.“
So weit, so gut. Als sich der dicke brandenburgische Dorfpolizist Horst Krause 2015 aus dem doch sehr regional-piefigen „Polizeiruf“-Kosmos verabschiedete, war es irgendwie passend, den Krimi mit neuem Mann & Ermittler an Lenskis Seite in Richtung östlichstes Brandenburg zu verorten. In schwierigen EU-Zeiten noch etwas für die innereuropäische Verständigung zu tun? Warum nicht, mit der ersten deutsch-polnischen Mordkommission in Frankfurt an der Oder. Kollegen aus beiden Ländern in einer Ermittlergruppe. Ein seriöser Ansatz, der sich zumindest mal abhebt vom Krimi-Einerlei oder Grell-Skurrilem am Sonntag- abend in der ARD.
Fragen nach Vergebung, wahrer Liebe, Uneigennützigkeiten
Wie sich aber im aktuellen, offenbar etwas holprig zustande gekommenen Fall (Buch: Elke Rössler und Jakob Ziemnicki, Mitarbeit: Christoph Callenberg) zeigt, müssen dabei nicht nur Misstrauen und Vorurteile, sondern auch immer wieder Klischees umschifft werden. Der Pole ist weichherzig, vor allem, wenn er liebt. Der Pole trinkt gerne. Der Pole ist etwas hemdsärmelig, aber er beschützt seine Frau. Die polnische Mutterliebe ist noch ein bisschen unbedingter als die in Deutschland. Der Pole ist ein guter Kollege.
Die kulturelle Vermittlerrolle von Kommissar Adam Raczek beschränkt sich nicht darauf, den Übersetzer für Kollegin Lenski und damit auch für den Zuschauer zu spielen. Als das entführte Baby nach wenigen Stunden wieder auftaucht – ohne Lösegeldforderung oder Zahlung –, stellt sich heraus, dass das mit der Elternschaft der von der Entführung betroffenen deutschen Familie nicht ganz so eindeutig ist. Dann wird auch noch der Entführer tot aus dem Wasser gezogen.
Die Tätersuche führt zu Leos biologischer Mutter Anna Kowalski (Agnieszka Grochowska) und deren kreuzbravem Ehemann (Piotr Stramowski), tief nach Masuren, in die katholische Seele hinein. Viel Melancholie, viel Zwiegespräch und Verzweiflung, ins herbstliche Braun gezogene Bilder (Regie: Jakob Ziemnicki). Behutsame Ermittler, es werden verhandelt: Fragen nach Vergebung, wahrer Liebe, Uneigennützigkeiten. Ein eindringliches Rührstück, bei überschaubarem Spannungspotenzial.
Immer weiter also zieht der RBB–Krimi Richtung Osten. Kollegin Lenski, alleinerziehende Mutter, steht dabei – es ist ihr erster Kindesentführungs-Fall – öfters betroffen und schweigend herum. Ein „Polizeiruf“ für Kommissar Raszek. Ein Lucas-Gregorowicz-Krimi, zudem es in Raszeks Ehe schlecht läuft. Go East? Nein, seine Frau will weg aus Frankfurt an der Oder.
„Polizeiruf 110 - Das Beste für mein Kind“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15