Sex im TV: Gestöhnt wird immer
Das Fernsehen verarbeitet Sexualität zu Kopulation, Voyeurismus und Schulfunk. Das Flirrende zwischen den Geschlechtern geht in der schmatzenden Schamwertung unter.
Manchmal muss einer wie der österreichische Travestiekünstler Tom Neuwirth kommen, um mit seinem Nazarener-romantischen Bartgesicht als Kunstfigur Conchita Wurst an ein Thema zu erinnern, von dem die ernste Bildschirmkunst schweigt. Es geht um das Geheimnis von Erotik und Liebe, um Abgründe, um die flirrende Grenze zwischen den Geschlechtern. Mit einem Wort: fast um das ganze Leben. Das Fernsehen aber lässt lieber morden, Mordlust statt Liebeslust.
Es geht vorbei an einem großen abendländischen Erbe. Die bukolisch-frechen Lüsternheiten eines Decamerone, die Boccaccio aufgeschrieben hat, die körperliche Erweckung einer Lady Chatterley, die tragische erotische Verzauberung einer Madame Bovary, die Tolstoischen Tragödien sexueller Hörigkeit, die homoerotischen Qualen, die Thomas Mann schildert – wo sind solche Lebenserfahrungen je beherrschende Themen in TV-Serien und Movies geworden? Das Geschlechtliche – nie war es der Hauptdarsteller. Immer nur Nebenbeischlaf, wenn Kitsch, Mord und Moral westen.
Einspruch: Wird nicht auf vielen Kanälen gestöhnt, gerammelt und anzüglich gescherzt, als gäbe es kein Erschlaffen? Sky präsentiert Beate-Uhse.TV („Die versaute Braut“), gibt gegen zusätzlichen Aufpreis bei Blue Channel von den blauen Hardcore-Bergen den Blick frei.
Es sexelt bei Sport 1, wenn nach echtem Turnen, Reiten und Handball zu sinnenfrohen Fortsetzungen des sportlichen Tuns unter dem Namen „Erotic-Clips“ aufgerufen wird. Was das Gehopse im knappen Outfit anfeuert, ist die Dauerpräsenz von Telefonsexanbietern, die ihren Nummernsalat herausstöhnen, als könnte Papi nicht lesen. Einzig fantasiebefeuernd wirkt höchstens, dass die Minutenpreise für den Oralkontakt in Schweizer Franken umgerechnet erscheinen. Ach, Heidi, ach, Alm-Öhi.
Peinlicher als dieser ehrlich schweinische Dauerhades wirkt der Versuch der Betreiber auf Ist-doch-nichts-dabei zu machen, auf Normalität, auf Nebenan. Stolz werden Eigenproduktionen beworben und unter dem Namen „Partnertausch“, „Intimes Deutschland“ oder „Ersties – Lecker Mädchen“ versendet. Da dürfen allerdings die Akteure nicht nur handeln, sondern leider auch reden, viel reden. Immer das gleiche Lied vom Sex, vom einfach Spaß haben, von ihm und ihr und wie sie sich kennengelernt haben und wie oft sie es, gähn, tun. Das Goldkettchen glänzt dann über der tätowierten Haut, ein Kreuz baumelt auch gern herab.
Seit 2001 bemüht sich die gelernte Fotografin und Uhse-Suse Carmen Rivera („Intimes Deutschland“) als eine Art Gastgeberin für ihre Narzissten und Goldkettchen etwas herbeizuschaffen, was deren Körper und das Reden über sie nicht immer bringen: einen Hauch von romantischem Ambiente. Kutschen fahren mit Showerotikern aufs Land, Badebassins plätschern, Saunen glühen, Sektkelche lassen es perlen, indessen sich die schöne Carmen mit der Kamera – der TV-Zuschauer darf manchmal mit hindurchlugen – an die kopulierenden Akteure heranschlängelt.
Das wirkt in seiner Einfalt so ehrlich und naturbelassen wie auch die Darbietungen des gelernten Werbetechnikers Conny Dachs, wenn er bei Uhses als Stallbursche, Eisverkäufer, Gärtner oder Straßenpassant auftritt und Frauen zum Sex herumkriegt. Wenig Schalk, viel solides Rammlerhandwerk. Und keinerlei kultureller Anspruch. Ein Dino, „der letzte seiner Art“, wie faz.net schrieb. Denn eine neue Spezies von Sendungen überwölbt das Lotterleben in den Pornobetten. Es sind Voyeur-Sendungen, deren Akteure sich nicht mehr selbst freimachen müssen wie Old Dachs und Sweet Carmen. Sie nähren sich von der alten Sensationsglut, gerieren sich aber abgeklärt oder versuchen es mit Ironie oder mit Belehrung. Mit anderen Worten: Sie sind Öffi-Kompatibel. Die Nackten und die toten Nacktenbetrachter.
In die Schulfunkkategorie gehört hier die dreiteilige ARD-Dokumentation „Glaube Liebe Lust – Sexualität in den Weltreligionen“. Da ging es um die ganze Welt, aber nie ins Bett. Von Tel Aviv über Indien und Istanbul bis nach Berlin sagten brave Mädchen ihre Vorstellungen zur Jungfräulichkeit vor der Ehe für die Kamera auf, Kulturkonformes, leicht Rebellisches, aber an keiner Stelle Intimes. Alles verpackt in das sterile Doku-Dogma, nach dem der Beobachter nur hinnimmt, was ihm gesagt wird. In die Kategorie Post-Oswalt-Kollescher Belehrung gehört auch die fünfteilige MDR/SWR-Reihe „Make Love“ – paartherapeutische Binsen vom Brechen des gegenseitigen Schweigens, wenn es um die Probleme untenherum geht. Die Sender arbeiten an der Fortsetzung.
Über die dreiteilige Arte-Reihe „Sex im 21. Jahrhundert“ – schon die enzyklopädische Wucht des Titels ist ja schieres Hängolin für Mann und Frau – empörte sich ein von den Reisen in Forschungszentren erschöpfter Zuschauer: „Dazu braucht man keine dreiteilige Doku. 45 Minuten vergeudet – in der Zeit hätte man dreimal Sex haben können.“ Und „Paula kommt“ auf dem Frauensender Sixx will leider auch mehr sein, als der Magazin-Titel verheißt und was uns der altmodische Porno gern gezeigt hätte. Die Sexkolumnistin Paula Lampert quatscht über Männerärsche und Orgasmuszahlen und Swingerclubsofas und in China fällt ein Sack um, ein ganz normaler.
„Heiß & Fettig! Das Sexmagazin“ – bei ZDFneo vertalkt sich ein charmanter Moderator namens Thilo Mischke, der sich mit gespielter Unschuld im Gespräch mit einer durchgeknallten Nacktblondine vor den Spritzern aus der Pornosuhle retten will. Er macht das immerhin unverbohrt, ohne mehr sein zu wollen als Wohlfühlunterhaltung.
Man sieht: Nicht nur die harte Pornoindustrie, sondern auch die heutige schmatzende Schamverwertung haben das Thema Erotik ramponiert für eine dramaturgische Aufwertung. Paradox: Porno und Pornoverwertung verkleinern das Thema Lust, machen es zur Nebenbei-Schlafsache. Sie sorgen für den Irrglauben, dass Lust für ewig den ewig Schönen und Leistungsstarken reserviert sei. Die große geheimnisvolle Leidenschaft sperrt das Fernsehen in einer Wohlfühloase ein, in ein Paralleluniversum, ohne seelisches Gewicht, ein flacher Spaß, ein bisschen lächerlich und überhaupt nicht tragödien- oder errettungstauglich.
Keine Conchita-Songs vom Phoenix aus der Asche, so scheint es, werden Eros wohl demnächst zum echten Konkurrenten der Krimivernarrtheit aufsteigen lassen. Dabei ist menschliche Liebe, die der Soziologe Luhmann als „Kommunikation über das Nichtkommunizierbare“ geadelt hat, das Irrwitzigste, was es gibt. Viel spannender als jede „Tatort“-Spurensuche.
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