Erdogan gegen Böhmermann: Gericht verbietet einzelne Passagen des "Schmähgedichts"
Erster Erfolg für den türkischen Staatspräsidenten: Jan Böhmermann darf einzelne Verse seines Erdogan-Gedichts nicht wiederholen, entschied das Landgericht Hamburg. Sonst droht Ordnungshaft.
Das Landgericht Hamburg hat auf Antrag des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine Einstweilige Verfügung gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann erlassen. Das teilte das Gericht am Dienstag mit. Dabei geht es um das Gedicht "Schmähkritik", das Böhmermann Ende März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen hatte.
Mit seiner Entscheidung hat das Gericht dem Antrag des türkischen Staatsoberhauptes teilweise stattgegeben. Böhmermann (35) darf bestimmte Passagen des Gedichts nicht wiederholen, die Erdogan angesichts ihres schmähenden und ehrverletzenden Inhalts nicht hinnehmen müsse (Az.: 324 O 255/16). Im Fall einer Zuwiderhandlung drohen nach Angaben des Gerichts ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.
Das Gericht habe zwischen der Kunst- und Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers abwägen müssen. In Form von Satire geäußerte Kritik am Verhalten Dritter finde ihre Grenze, wo es sich um eine reine Schmähung handele oder die Menschenwürde angetastet werde. Böhmermanns Gedicht überschreite diese Grenze in bestimmten Passagen, die schmähend und ehrverletzend seien, so das Landgericht.
"Durch das Aufgreifen rassistisch einzuordnender Vorurteile und einer religiösen Verunglimpfung sowie angesichts der sexuellen Bezüge des Gedichts überschritten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller hinzunehmende Maß", heißt es in dem Beschluss. Die übrigen Teile setzten sich in zulässiger Weise satirisch mit aktuellen Vorgängen in der Türkei auseinander. Das türkische Staatsoberhaupt trage politische Verantwortung und müsse sich auch harsche Kritik an seiner Politik gefallen lassen. Hinzunehmen sei auch, dass Böhmermann sich in satirischer Form über den Umgang Erdogans mit der Meinungsfreiheit lustig mache.
Böhmermanns Anwalt will bis zum Bundesverfassungsgericht gehen
Der Anwalt des türkischen Staatspräsidenten, Michael von Sprenger, teilte dazu mit: "Das Gericht hat festgestellt, dass die Äußerungen im 'Gedicht' zweifelsohne schmähend und ehrverletzend sind und es sich nicht um eine Geschmacksfrage handelt."
Böhmermanns Anwalt Christian Schertz kommentierte die Entscheidung so: "Wir halten den Gerichtsbeschluss in der konkreten Form für falsch, wenngleich er insbesondere die Aussagen, die den Umgang von Erdogan mit der Meinungsfreiheit in der Türkei betreffen, für zulässig erachtet hat."
Das Gericht gehe richtigerweise davon aus, dass es sich bei dem Gedicht um Kunst und eine Satire handle. Es mache dann aber den Fehler, bestimmte Aussagen solitär herauszugreifen und zu verbieten, die es als herabwürdigend empfinde. "Das geht im Bereich der Kunstfreiheit nicht."
Es sei außerdem nicht berücksichtigt worden, dass Böhmermann erklärt habe, das Gedicht sei einzeln betrachtet eine Schmähung und nicht erlaubt. Er habe sie sich damit ausdrücklich nicht zu eigen gemacht. Zu dieser Spezialität des Falls biete die Beschlussbegründung keine differenzierten Ausführungen, teilte Schertz mit.
Böhmermanns Anwalt kündigte an, er werde Rechtsmittel prüfen und auch überlegen, "Herrn Erdogan zur so genannten Hauptsacheklage aufzufordern, um notfalls eine Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwirken. So kann die Entscheidung keinen Bestand haben."
Entscheidung unabhängig von strafrechtlichen Ermittlungen
Vor dem Landgericht Hamburg ging es um eine presserechtliche Entscheidung. Diese ist nach Angaben eines Gerichtssprechers unabhängig von den strafrechtlichen Verfahren, die Böhmermann auf Grundlage des Paragrafen 185 wegen Beleidigung und des Paragrafen 103 wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes noch drohen können.
Für Ermittlungen nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches gab die Bundesregierung grünes Licht, Kanzlerin Angela Merkel setzte sich dabei über das Votum ihrer SPD-Minister hinweg. Ihr war daraufhin ein Einknicken vor dem türkischen Präsidenten vorgeworfen worden, auf dessen Unterstützung sie in der Flüchtlingspolitik setzt. "Die Kanzlerin hat mich filetiert", sagte Böhmermann selbst in seinem ersten Interview seit Beginn der Affäre.
Springer-Chef Döpfner kassierte keine Einstweilige Verfügung
Gegen Springer-Chef Mathias Döpfner war Erdogan hingegen vor dem Landgericht Köln mit einem Antrag auf eine Einstweilige Verfügung abgeblitzt. Döpfner hatte sich in einem offenen Brief Böhmermanns Satire "voll und ganz" angeschlossen und sie sich "in jeder juristischen Form zu eigen" gemacht. Das Verfahren dürfte in die nächste Instanz gehen.
Böhmermann hatte erst in der vergangenen Woche nach einer längeren Pause mit dem "Neo Magazin Royale" sein Fernseh-Comeback gefeiert - und gleich mit dem "Verafake" überrascht, einer Enthüllung über fragwürdige Praktiken bei der Kandidatenauswahl zur RTL-Sendung "Schwiegertochter gesucht". Der Sender hatte daraufhin Fehler bei der Produktion eingestanden. (Tsp, dpa, AFP, rtr)