Breaking Bad: „Gehasst habe ich Walter White nie“
Vince Gilligan ist der Schöpfer der Fernsehserie „Breaking Bad“. Ein Gespräch über Heroin und Humanität, Finale und Familie.
Herr Gilligan, viele Zuschauer in Deutschland wollen nicht warten, bis die finale Staffel von „Breaking Bad“ im Free-TV läuft – und schauen sich die Folgen jetzt schon im Internet an. Halten Sie das für ein Verbrechen oder für verständlich?
Ich denke, das ist nachvollziehbar. Aber auch ein zweischneidiges Schwert: Ich weiß, dass Internetpiraterie „Breaking Bad“ sehr dabei geholfen hat, bekannt zu werden. Viele Menschen haben so überhaupt erst von der Existenz unserer Serie erfahren. Darüber bin ich froh. Andererseits will ich nicht lügen: Es liegt in der menschlichen Natur, für seine Arbeit auch bezahlt werden zu wollen. Formulieren wir es so: Ich kann mich über die Downloads nicht allzu sehr aufregen.
Was ist schwieriger beim Ausdenken einer derart epischen Serie – der Anfang oder das Ende?
Das ist wie im wirklichen Leben: Anfänge stecken voller Möglichkeiten. Wer geboren wird, kann theoretisch Präsident werden. Mit der Zeit werden diese Möglichkeiten dann aber weniger. Es ist mir schon immer schwer gefallen, Enden auszudenken. Diesmal war es genauso. Wir wussten, dass wir mit der letzten Staffel noch 16 Folgen haben würden, um die Handlung von „Breaking Bad“ zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Das klingt zunächst nach einer Chance, aber letztlich habe ich eine Menge Druck gespürt. Im vergangenen Jahr konnte ich oft nicht schlafen, weil mich die Frage umtrieb, ob unser Finale gut genug sein würde.
Und?
Ich denke, es ist gut geworden.
Ihre Hauptfigur ist der krebskranke Chemielehrer Walter White, der Drogen produziert, um seiner Familie Geld zu hinterlassen. Im Laufe der Staffeln wird er immer machthungriger, betrügt seine Partner, mordet mehrfach, vergiftet ein Kind. Haben Sie nach all den Jahren persönlich Lust verspürt, ihn jetzt sterben zu lassen?
Ich habe mich oft gefragt, wie böse und kriminell er noch werden kann. Aber gehasst habe ich ihn nie.
Wann dachten Sie denn: Dieses Verhalten kann man jetzt trotz aller persönlichen Nöte auf keinen Fall mehr verteidigen?
Viele Zuschauer hatten diesen Moment erst bei der Folge, in der Walter White tatenlos dabei zusieht, wie die Freundin seines Partners an einer Überdosis stirbt, weil er sie loswerden will. Bei mir war das viel früher, schon in der vierten Folge der ersten Staffel: Da bieten ihm ehemalige Freunde an, sämtliche Behandlungskosten für die Krebstherapie zu übernehmen. Er hätte nur Ja sagen müssen, hätte sofort mit dem Drogengeschäft aufhören können. Aber er war zu stolz.
Wie hält es ein Autor so lange mit seiner Hauptfigur aus, die er nicht leiden kann?
In dem Maße, wie meine Sympathien abgenommen haben, ist mein Interesse an Walters Psychologie gewachsen. Ich finde, er ist ein endlos faszinierender Charakter. Das mag leidenschaftslos klingen, aber ich betrachte Walter, wie ein Wissenschaftler unter dem Mikroskop seine Pantoffeltierchen beobachtet. Es ist im Grunde ein Experiment. Und während meine Sympathien zu ihm abnahmen, haben die zu anderen Charakteren zugenommen. Zum Beispiel zu seiner Ehefrau Skyler.
Warum das denn? Die hat Walter jahrelang gedeckt, mitgelogen und sogar das Waschen der Drogengelder übernommen.
Sie befand sich in einer prekären Situation und tat, was sie für das Beste für die Familie hielt. Walter hat ja auch immer behauptet, er tue das alles bloß für seine Familie. Aber ich glaube, er hat sich selbst belogen. Er hat mit dem Drogenhandel doch viel mehr verdient, als seine Familie jemals ausgeben könnte. Nein, Walter hat das gemacht, um sich mächtig zu fühlen. Ich wünschte, Skyler wäre stärker gewesen und hätte ihren Mann an die Polizei ausgeliefert. Wobei ich das als Autor ja nicht denken kann, sonst wäre die Serie früh zu Ende gewesen.
Walter White, ein ganz besonderer Mensch mit einem ganz besonderen Schicksal – oder ist er der weiße amerikanische Mann in der großen Krise?
Er ist, was immer der einzelne Zuschauer möchte, dass Walter White für ihn sein soll. Ich wollte immer, dass Walter ein sehr spezieller Typ ist, der ein sehr spezielles Leben lebt. Die Serie ist eine Charakterstudie über einen erst sehr durchschnittlichen und dann sehr außergewöhnlichen Mann, keine Erlösungsgeschichte. Kritik an politischen oder sozialen Verhältnissen wollte ich damit nicht üben – auch wenn Elemente der Serie so verstanden werden. Nein, Walter White teilt eine bestimmte Humanität mit uns allen, egal, wie weit er ins Dunkel abdriftet. Wir sehen uns in ihm, wir fühlen mit ihm – hoffentlich umso weniger, je mehr Walter zum Kriminellen wird.
"Breaking Bad soll die Realität von Drogen zeigen"
Sehen Sie die Gefahr, dass „Breaking Bad“ den Konsum von Crystal Meth glorifizieren könnte?
Die Serie soll ganz sicher nicht irgendeine Droge verherrlichen. Aber es gibt zwei Seiten zu beachten. Menschen, die von dieser Droge abhängig werden, ruinieren sich. Sie sehen aus wie Zombies, die Droge zerstört ihr Gehirn, sie zerstört ihr Leben. Wir wollten diese Realität in „Breaking Bad“ zeigen. Andererseits geben Drogen jenen, die sie nehmen, oft ein gutes Gefühl, eine Leichtigkeit, da ist Genuss dabei. Ich sage nicht, dass ich das teile. Erinnern Sie sich? Wir hatten eine Szene mit Walters Partner Jesse, als der das erste Mal Heroin spritzt ...
... die Kamera zeigt, wie Jesse quasi aus seinem Bett abhebt und gen Himmel schwebt.
Glorifizieren wir damit Heroin? Unsere Absicht war eine andere: Wir wollten den Zuschauer mit diesem Moment in das Denken von Jesse einführen, erklären, was in ihm vorgeht, warum er Drogen nimmt.
Wird es ein Spin-off von „Breaking Bad“ geben – mit dem schmierigen, hochgradig kriminellen Rechtsanwalt Saul Goodman im Zentrum?
Ich hoffe es sehr. Diese Rolle zu schreiben, ist ein ganz großes Vergnügen, ihm Worte in den Mund zu legen, vorzuführen, dass er als einer der wenigen Charaktere in der Serie sich in seiner Haut wohlfühlt.
Können Sie uns die Saul-Goodman-Story versprechen?
Ich kann Ihnen versprechen, dass wir unser Bestes versuchen werden. Auf jeden Fall stecken in der Figur jede Menge Geschichten. Ich habe ein gutes Gefühl.
Das Interview führten Joachim Huber und Sebastian Leber.
Die fünfte und finale Staffel von "Breaking Bad" läuft in den Programmen von AXN und AXN HD (zu beziehen über die Plattform des Pay-TV-Senders Sky). Seit 23. August zeigt RTL Nitro die Serie von der ersten Folge an.
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