Ein Jahr "Literarisches Quartett": „Ganz kurz, ich kann’s ja begründen!“
Krank werden sollte er nicht: Ein Jahr „Literarisches Quartett“ und die Frage, wer denn nun der Star des Kritiker-Formats im ZDF ist.
Volker Weidermann, der Milde, Vermittelnde, Maxim Biller, der Streithansel und Provokant, Christine Westermann, die Frau für die breite Zuschauermasse? Auf solche Rollenverteilung wollte sich Weidermann, der Moderator des „Literarischen Quartetts“, vor einem Jahr, als das reformierte, legendäre Kritiker-Format im ZDF auf Sendung ging, im Interview mit dem Tagesspiegel nicht festlegen lassen. „Ich arbeite mich da nicht an Vorgaben ab. Ich freue mich auf die Herausforderung“, sagte Weidermann, der am Freitag zum Jubiläum in die achte Kritiker-Runde geht.
Einer hat die Vorgabe im neuen „Literarischen Quartett“ erfüllt: Ohne Maxim Biller wäre die Veranstaltung nur die Hälfte wert. Über die Kriterien, was denn gute Literatur sei, lässt sich trefflich streiten. Ein spannendes Buch braucht schon gute Bösewichte. Das „Quartett“ hat Maxim Biller. Auch wenn man sich für keine einzige der vorgestellten Neuerscheinungen interessiert, die Art und Weise, wie diese Billers Deutungsraster durchlaufen, ist gute, intelligente Unterhaltung am späteren Abend.
„Nach einem Jahr Neo-Literarisches-Quartett sind wir zufrieden, dass wir ein Literatur-Fernsehformat im ZDF haben, das im literarischen Diskurs eine gewichtige Rolle spielt“, sagt Daniel Fiedler, Leiter der ZDF Kultur Berlin. 2016 erreichen die vier Ausgaben im Schnitt 560 000 Zuschauer (3,9 % Marktanteil).
Das ist nicht die Welt, und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen hoch anzurechnen, dass so eine Sendung im Programm gehalten wird, auch wenn über Bücher längst nicht mehr so heftig diskutiert wird wie noch zu Zeiten von Hellmuth Karasek und Marcel Reich-Ranicki. Da, in den 1990ern, hatte das „Quartett“ auch nicht sehr viel mehr Zuschauer, maximal eine Million, aber da räumten die Buchläden am nächsten Tag noch die Tische frei für die Bücher, die am Vorabend im „Quartett“ besprochen wurden.
Einmal hat Christine Westermann wegen Krankheit gefehlt. Biller sollte das nicht passieren
Die Buchbranche steht vor enormen Herausforderungen. Nicht zuletzt, weil das Buch an Bedeutung verloren hat, wie die neue Piper-Geschäftsführerin und ehemalige Leiterin der „F.A.Z.“-Literatur Felicitas von Lovenberg neulich im Interview mit der „Berliner Zeitung“ sagte. Es werde nicht mehr so viel über Bücher gestritten, wie das noch vor 15, 20 Jahren der Fall war. Es werde, so scheint ihr, mehr über Fernsehserien, Festspiele oder andere kulturelle Ereignisse geredet als über das bescheidene Buch.
Bescheiden? Nicht mit Maxim Biller. Meinungsstark, polarisierend, man kann sich über den Schriftsteller („Esra“, „Biografie“) ärgern, aufregen oder mit ihm einer Meinung sein. Fast schon ein Markenzeichen im neuen „Literarischen Quartett“, die Biller-Geste, mit der flachen Hand auf Augenhöhe eine Invektive von Weidermann parierend: „Ganz kurz, ich kann’s ja begründen.“
Das Format in der Dreier-Konstellation samt wechselndem Gast wie an diesem Freitag Thomas Glavinic lässt über das Problem hinwegsehen, dass es in einer Literatursendung über Bücher gehen sollte (wie heute Thomas Melles „Die Welt im Rücken“) und nicht um einzelne Kritiker. Als im Sommer alle über Elena Ferante rätselten, brachte Biller ihr Buch „Meine geniale Freundin“ mit in die Runde. Nicht, weil es ihm gefallen hätte, sondern weil er zusammen mit Weidermann, Westermann und Teilnehmern herausfinden wollte, warum dieses Buch weltweit so hochgejubelt wird.
Einmal hat Christine Westermann wegen Krankheit gefehlt. Biller sollte das nicht passieren.
„Das Literarische Quartett“, Freitag, ZDF, 23 Uhr
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