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Menschenunwürdige Behandlung: Murat Kurnaz (Sascha Alexander Geršak) wird unter dem bloßen Verdacht, ein Terrorist zu sein, nach Guantánamo gebracht.
© HR

Murat Kurnaz in Guantánamo: Fünf Jahre Qual

Arte hat die Gefangenschaft von Murat Kurnaz in Guantánamo verfilmt. Der Fall war und ist ein Politikum

Murat Kurnaz (Sascha Alexander Geršak) bekommt frische Kleidung, neue Schuhe und ein vergleichsweise üppiges Abschiedsessen: Hamburger mit Pommes. „Sie gehen nach Hause. War nett, Sie kennenzulernen“, sagt US-Agent Gail Holford (Ben Miles) und reicht ihm die Hand, als verabschiede er eine Urlaubsbekanntschaft. Es scheint so, als habe der Verhörspezialist eingesehen, dass sich aus dem Gefangenen kein Geständnis herauspressen lässt. Kurnaz wirkt misstrauisch, doch als ein Hubschrauber im Lager Guantánamo landet, glaubt auch er, dass es überstanden sei, dass er frei sein werde und nach Hause, nach Deutschland, zurückkehren dürfe. Kurnaz sitzt schon im Helikopter, doch dann wird er wieder herausgezerrt, verprügelt und zurück in seine Zelle gebracht. Auch diese Inszenierung war nur ein Trick, um den Gefangenen zu brechen. Der Film „5 Jahre Leben“ von Stefan Schaller (Buch und Regie) sowie David Finck (Buch) erzählt, beruhend auf einem Buch des heute 32 Jahre alten Kurnaz, von den ersten Monaten seiner Gefangenschaft im berüchtigten US-Lager.

Die US-Regierung von George W. Bush hatte sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 entschlossen, bei ihrer Jagd auf Terroristen auf die Einhaltung von Menschenrechten zu verzichten. Murat Kurnaz aus Bremen zählte zu jenen, die in Guantánamo unrechtmäßig gefangen gehalten und gefoltert wurden. Im November 2001 war er als 19-Jähriger in Pakistan festgenommen, gegen Bezahlung an das US-Militär in Afghanistan übergeben und von dort aus im Januar 2002 nach Guantánamo auf Kuba gebracht worden. Erst im Sommer 2006 wurde er entlassen, obwohl längst klar war, dass der verschleppte Deutsch-Türke weder an Anschlägen beteiligt noch Mitglied einer terroristischen Organisation war. Aber die deutschen Behörden wollten ihn lieber nicht wieder einreisen lassen.

Der Fall war ein Politikum, was Stefan Schaller nur sehr am Rande streift. Wie der Bundesnachrichtendienst (BND) ihn in Guantánamo befragte, ist nicht zu sehen. Und die zweifelhafte Rolle, die die Bundesregierung mit dem damaligen Kanzleramts-Chef Frank-Walter Steinmeier spielte, bleibt in dieser Inszenierung gnädig ausgeklammert. Schaller konzentriert sich auf Kurnaz’ Gefangenschaft und vor allem auf die Verhöre. Damit ist ihm allerdings bei seinem Regiedebüt, einem Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, ein beachtliches Kammerspiel gelungen. Man weiß es längst und kann es doch nicht fassen, wie die demokratische Weltmacht USA in der Bush-Ära ihre eigenen Grundsätze verriet. Dazu bedarf es auch keiner extrem brutaler Folter-Darstellungen. Die Prügel, das beständige Schreien der Wärter, die entwürdigende „Käfighaltung“ oder die Isolation in einem grell ausgeleuchteten Raum machen die menschenunwürdige Behandlung zur Genüge deutlich. So viel Realismus muss schon sein.

Agent Holford ist guter und böser Cop in einer Person

Holford selbst, der hier der gute und böse Cop in einer Person ist, greift nicht zu körperlicher Gewalt. Umso perfider wirken seine psychologischen Tricks. Dass Holdorf scheinbar vertrauensselig von seiner Familie in Washington erzählt, dient nur dazu, bei Kurnaz ein schlechtes Gewissen zu erzeugen: „Nur wegen Ihnen bin ich hier“, sagt Holford. Der US-Agent steht unter Druck, muss Ergebnisse liefern. Er scheint weder Sadist zu sein noch Skrupel zu haben. Holford ist das Rädchen im System, das seinen Job mit kühlem Ehrgeiz erledigt. Eine Type, die jede Diktatur gebrauchen könnte.

Kurnaz beweist eine unerhörte und im Grunde schwer zu begreifende Standhaftigkeit. Wie oft muss er in Versuchung gewesen sein, das Angebot anzunehmen, irgendetwas zu gestehen, nur um die Qual zu beenden? Doch Schaller stilisiert Kurnaz nicht zum heldenhaften Opfer ohne Vergangenheit. In Rückblenden wird dessen Entwicklung nachvollzogen. Kurnaz sagte sich von dem kriminellen Milieu, in dem er arbeitete, los und wurde zum gläubigen Muslim. Die Reise nach Pakistan kurz vor seiner Hochzeit sah er als Abenteuer. „5 Jahre Leben“ legt nahe, dass Kurnaz sich damals aus Naivität mit religiösen Extremisten einließ, ohne zu wissen, was seine neuen Freunde womöglich im Sinn hatten. Auch wenn es keinen Zweifel daran gibt, dass heute junge Muslime für den „Islamischen Staat“ in den Krieg ziehen, erinnert Schallers Film daran, dass nicht jeder 19-Jährige, der sich einen Bart wachsen lässt, automatisch ein Terrorist ist.

Heute berichtet Kurnaz, der mit seiner zweiten Frau und zwei Kindern wieder in Bremen lebt, bei Lesungen und Filmvorführungen über seine Zeit als Gefangener in Guantánamo.

„5 Jahre Leben“, Arte, Freitag, um 20 Uhr 15

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