Kritik an ARD und ZDF: Forscher bescheinigen „Tunnelblick“ während Corona-Krise
Medienwissenschaftler untersuchen die Corona-Berichte von ARD und ZDF. Es werde nicht genug differenziert, ein „Tunnelblick“ entsteht. Die Sender wehren sich.
ARD und ZDF haben nach Ansicht von Wissenschaftlern in den ersten Monaten der Corona-Pandemie mit ihren Sendungen einen massenmedialen „Tunnelblick“ erzeugt. „Sondersendungen wurden zum Normalfall und gesellschaftlich relevante Themen jenseits von Covid-19 ausgeblendet: Es war eine Verengung der Welt“, sagte der Medienforscher Dennis Gräf vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Hennig hat Gräf mehr als 90 Sendungen von „ARD Extra“ und „ZDF Spezial“ untersucht und sie im Zeitraum von Mitte März bis Mitte Mai analysiert.
Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass Journalismus differenzierter sein und Maßnahmen in der Corona-Pandemie auch grundsätzlich hinterfragen müsse. Dies sei in den Beiträgen der Öffentlich-Rechtlichen aber nicht geschehen, resümierten sie. Gräf sagte, vielmehr überwiege das Bild: „Individuelles Wohl wird eingeschränkt für das überwiegende Wohl“.
ARD-Chefredakteur Rainald Becker wies dies auf epd-Anfrage zurück. „Dass das Informationsbedürfnis zur Corona-Pandemie außerordentlich hoch war und ist, belegt nicht zuletzt das große Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer an unseren Sendungen zum Thema“, erklärte er. Für die ARD habe zu jeder Zeit die journalistische Qualität der Berichterstattung im Vordergrund gestanden.
„Auch im Nachhinein halte ich Umfang und Inhalt unseres Informationsangebots für angemessen und ausgewogen.“ Der Vorwurf eines „Tunnelblicks“ gehe an der programmlichen Realität im Ersten und an der Lebensrealität der Menschen vorbei.
Es habe großen Informations- und Erklärungsbedarf gegeben
Ein ZDF-Sprecher erklärte: „Die “Tunnelblick„-These der Forscher ignoriert, dass Corona als dominantes Berichterstattungsthema der vergangenen Monate alle Lebensbereiche prägte und entsprechend umfangreich in den Berichterstatter-Blick geriet.“
Dass in den „ZDF spezial“-Ausgaben die aktuelle Entwicklung der Krise mit all ihren vielfältigen Aspekten im Vordergrund gestanden habe, „ist angesichts einer außergewöhnlichen Pandemie-Lage nicht überraschend, sondern sogar Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Informationsangebots“.
Version:0.9 StartHTML:0000000268 EndHTML:0000002060 StartFragment:0000000304 EndFragment:0000002024 SourceURL:https://www.tagesspiegel.de/berlin/nach-schlag-gegen-vertrauten-andreas-kalbitz-tritt-nach-milzriss-affaere-als-afd-fraktionschef-zurueck/26104072.html
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Es habe gerade in den ersten Wochen großen Informations- und Erklärungsbedarf gegeben, „dem das ZDF Rechnung getragen hat“. Dabei sei die Gewichtung von Corona- und anderen Themen ein täglicher Abwägungsprozess in den Redaktionen.
Nach Angaben der Medienwissenschaftler Gräf und Hennig vermittelte schon die Häufigkeit der Sondersendungen Zuschauern ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario. Die Inhalte hätten dies noch verstärkt: Fußgängerzonen ohne Fußgänger seien gezeigt worden, leere Geschäfte, begleitet von Spekulationen über eine langanhaltende Krise, die aber noch gar nicht da sei. „Solche Bilder kennen wir aus Endzeiterzählungen und Zombiegeschichten“, sagte Gräf.
Hennig fügte hinzu, dass Normalbürger „immer aus der Perspektive von Leistung inszeniert“ wurden. „Immer wieder wurde von Helden des Alltags gesprochen, die ihre Berufsrolle ins Extreme übersteigern, Tag und Nacht für die Gesellschaft da sind und sich im übertragenen Sinne aufopfern für ein höheres Wohl.“
„Glorifizierung“ des Virologen Christian Drosten
Als Beispiele nannte er Pflegekräfte oder DHL-Zusteller sowie die „Glorifizierung“ des Virologen Christian Drosten. Home-Office bei gleichzeitiger Kinderbetreuung sei indes vor allem als problematisch dargestellt worden, weil „der üblichen Produktivität nicht nachgekommen werden“ könne.
Hennig erläuterte ferner, die Sondersendungen konstruierten eigenständige Modelle der Welt, vermittelten gewisse Werte und arbeiteten mit Zuspitzungen. Wenn aber Inszenierungsstrategien verwendet würden, „die wir von Hollywood-Blockbustern“ über gefährliche Viren kennen, würden die eigentlich als Dokumentationen gedachten Sendungen fast zum fiktionalen Format. epd