TV-Kritik "Günther Jauch": Falsche Frage zu Putin, aber das richtige Thema
Bei Günther Jauch ging es um den Ukraine-Konflikt - genau passend zwischen Münchner Sicherheitskonferenz und Merkels USA-Besuch. Auf einen gemeinsamen Nenner kamen die Experten kaum.
"Schicksalstag in Europa – auf wen hört Putin noch?" - das war der Titel von "Günther Jauch". Um es vorweg zu nehmen: Die Frage, auf wen Russlands Präsident „noch“ hört, wenn er denn überhaupt jemals auf irgendjemand gehört hat, wurde am Sonntagabend in den 60 Minuten aus dem Gasometer nicht beantwortet. Aber das lag nicht an der Qualität der Sendung, sondern an der falschen Fragestellung. Da hatten Jauchs Spindoktoren sich vor 4,64 Millionen Zuschauern einfach übernommen in Überschätzung der eigenen Rolle.
Das Thema selbst aber saß so richtig, wie man journalistisch die Agenda überhaupt spiegeln kann. Erst waren Francois Hollande und Angela Merkel am Freitag in Kiew gewesen, einen Tag später in Moskau, um mit Putin über die Möglichkeiten einer Lösung des Ukrainekonfliktes zu reden; dann die Kanzlerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Sonnabend, am Sonntagabend auf dem Weg nach Washington, während Jauchs Sendung in Berlin lief. Am Mittwoch werden sich Hollande, Merkel, Putin und Poroschenko in der weißrussischen Hauptstadt Minsk treffen, um so etwas wie ein „Minsk II“ zu formulieren, also eine Art von Waffenstillstandsabkommen für die Ostukraine.
Und dann hat Jauch diese Gäste: Martin Schulz, Präsident des Europa-Parlamentes, der gerade im "Tagesspiegel"-Interview die mutige Initiative von Merkel und Hollande hoch einschätzte. Dann John Kornblum, USA-Botschafter in Deutschland von 1997 bis 2001, der sich zuvor schon einmal mit Sätzen wie diesem profiliert hatte: „Die Anwendung der soft powers in der Außenpolitik der EU konnte nur in Verbindung mit den amerikanischen hard powers erfolgreich sein, Außenpolitik muss zeitweise immer mit militärischen Mitteln gemacht werden“. An seiner Seite Harald Kujat, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr und bekennender Kritiker von Waffenlieferungen an die Ukraine. Und schließlich Gabriele Krone-Schmalz, 1987 bis 1992 ARD-Korrespondentin in Moskau und frische Autorin eines Buches mit dem alles sagenden Titel „Russland verstehen – der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“.
Russlands Macht- und Realpolitik
Es war klar, dass Jauch bei dieser Kombination nicht mehr als ein Stichwortgeber sein konnte, diese Gäste beschäftigten sich mit sich selbst und schweiften auch nie ab. Jauch fragt, die Kanzlerin zitierend: "Gibt es keine militärische Lösung?" - und Kujat knallt ihm die Antwort hin: Nicht für den Westen, für Putin schon, wenn Russland wollte, wäre der Krieg in 48 Stunden beendet.
Der langjährige Vorsitzende des Militärausschusses der Nato, eben Kujat, war es auch, der völlig ungeschnörkelt und durchaus voller Sorge feststellt, dass es heute keine funktionierenden Kontakte mehr zwischen den Generalstäben beider Seiten gibt. Er bezeichnet auch präzise den Unterschied in der Betrachtungs-und Vorgehensweise zwischen Putin hier und der EU dort: Die Deutschen vor allem glaubten, Außenpolitik sei Wertepolitik – für Russland hingegen sei es Macht- und Realpolitik, sonst nichts. Ihm springt Kornblum später bei, freilich, ohne Kujat wirklich recht geben zu wollen: Die Macht liegt in Washington und nicht in Europa, sagt er, wenn es schief geht, hat Europa verloren.
Schuldfrage nicht zu klären
Nicht zu vereinbaren sind die Positionen in der Schuldfrage, wenn man das so simplifizierend überhaupt sagen darf. Gabriele Krone-Schmalz meint, der Westen hätte Russland früher einbeziehen müssen in die Gespräche der EU mit der Ukraine, und wenn die ihren östlichen Landesteilen mehr Autonomie gegeben hätte, wäre es, wie sie sagt „gut gewesen“. John Kornblum hält dem entgegen, der Westen habe diesen Krieg – und dass es einer ist, sagen alle – nicht angefangen.
Gab es irgendwo einen gemeinsamen Nenner an diesem Abend? Wohl schon den, dass der Vorwurf nicht entkräftet wurde, „der Westen“ habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht rechtzeitig verstanden, dass es Putin auch um die Wiederherstellung der nationalen Würde Russlands gegangen sei. Martin Schulz erwähnt da die zweifelsohne ziemlich fahrlässige und folgenreiche Bemerkung von US-Präsident Barack Obama, bei Russland handele es sich um eine Regionalmacht. Im Zweifelsfall ist es eine, um den Historiker Herfried Münkler zu zitieren, Macht, die in postheroischen Zeiten, wie der es nennt, in der Lage ist, durchaus heroisch zu agieren, weil sie auf die Gefühle und Rechte ihrer Bürger herzlich wenig Rücksicht nimmt.
Gerd Appenzeller