Interview:: Extrem-Reporter Jenke von Wilmsdorff
Er leidet für seine Zuschauer: Der RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff hat für seine neue Sendung vier Wochen lang exzessiv Alkohol getrunken. Im Interview erklärt er, warum.
Tagesspiegel: Herr von Wilmsdorff, Sie waren für Ihre Sendung „Das Jenke-Experiment“ (RTL, 21 Uhr 15) vier Wochen lang jeden Tag betrunken. Waren Sie am Ende süchtig?
Jenke von Wilmsdorff: Ich war nicht richtig abhängig, aber es hat lange gedauert, dieses Jucken loszuwerden. Ich dachte zuerst, dass das Aufhören danach überhaupt kein Problem sei. Im Karneval zum Beispiel trinken die Leute ja auch Wochen lang jeden Tag. Aber es war doch recht schwer. Morgens und mittags ging es, aber ab vier Uhr nachmittags wurde es schon schwieriger und dann hab ich mir wieder zwei, drei Gin-Tonic gegönnt. Dann wieder ein, zwei Tage Pause, dann wieder Gin-Tonic, bis ich gemerkt habe, was das für ein Teufelskreis ist. Und dann hab ich sechs Wochen komplett auf Alkohol verzichtet.
Ihre Jenke-Experimente dauern immer vier Wochen. In dieser Zeit können Sie niemals erfahren, wie sich ein Säufer oder ein Langzeitarbeitsloser wirklich fühlt. Während des Arbeitslosigkeits-Experiments machen sie ja gerade Ihre Arbeit...
Das stimmt. Ich kann nicht empfinden, was die wirklich Betroffenen empfinden. Aber es gelingt mir auf jeden Fall, näher an die Menschen ranzukommen, eine Ahnung davon zu bekommen, wie es sich anfühlen kann. Damit will ich bei den Zuschauern ein Interesse wecken, mit der Hoffnung, dass die Menschen sich entweder intensiver damit auseinandersetzen oder sich eingestehen: „Das Gefühl kenne ich.“ Ich gehe stellvertretend für den Zuschauer ein paar Schritte raus aus der Komfortzone.
Aber Sie gehen den Weg nie zu Ende.
Es ist ein Kompromiss – aber mehr ist nicht möglich. Nach vier Wochen bekommt man eine Ahnung. Dann weiß ich, was es heißt, ausgegrenzt zu werden, übersehen zu werden, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein.
Sie verbringen Heiligabend auf der Straße mit Obdachlosen. Das hat schon etwas Voyeuristisches.
Ich hoffe, dass das nicht bei allen den Eindruck erweckt. Wir haben lange diskutiert, aber ich bin der Meinung, dass das notwendig war. Schon allein, weil man ganz andere Reaktionen von den Obdachlosen bekommt, wenn sie sehen, dass man auch etwas investiert. Sie fühlen sich auch stärker ernst genommen, wenn man – statt mit der Familie zu feiern – die Nacht mit ihnen verbringt und Tütengulasch isst.
Sie stehen beim „Jenke-Experiment“ ständig als Hauptdarsteller vor der Kamera. Wie eitel muss man für den Job sein?
Ich bin auch manchmal eitel, aber bei diesem Job würde mir Eitelkeit nur im Weg stehen. Nur zwei Beispiele: Beim Alkohol-Experiment muss ich hinnehmen, dass mein Gesicht aufquillt, dass ich rote Augen habe und einfach nur mies aussehe. Beim damaligen Ess-Experiment bekam ich eine Wampe, musste häufig aufstoßen, dazu funktionierte meine Verdauung nicht mehr. Ich schlief schlecht, hatte keine Lust mehr auf Sex – das gehört alles dazu. Aber klar: ich habe auch meine Grenzen und mache die Kamera irgendwann aus.
"Ich lag in den Wehen, es war die Hölle."
Ihre Reportagen sind häufig Grenzüberschreitungen, sie waren mit auf einem Flüchtlingsboot, sie waren in Mauretanien bei Frauen, die Kinder mästen, sie haben in Kriegsgebieten gedreht. Viele Kollegen würden sagen: Klingt ja interessant, aber es gibt Grenzen, die muss ich nicht überschreiten.
Ich glaube, ich habe da eine Nische gefunden. Viele Kollegen wollen sich all dem nicht aussetzen. Mich hingegen reizt das - und ich habe die Möglichkeit dazu.
Haben Sie als Fernsehmensch noch ein Schamgefühl?
Ich hatte am Ende der Alkoholreportage ein schmerzhaftes Geschwulst am Enddarm. Da hab ich mir schon die Frage gestellt, ob ich die Hose im wahrsten Sinne des Wortes runterlassen oder nur sagen soll der Arzt habe wegen einer Thrombose abgebrochen. Nein, das gehört dazu. Aber Fotos davon wird es nicht geben.
Was war Ihnen bei den Experimenten wirklich unangenehm?
Ich habe eine Woche in Berlin-Marzahn bei einer Hartz-IV-Familie verbracht, was ziemlich unangenehm bzw. schwierig für mich war… Es ist traurig zu erleben, wie aussichtslos die Lage für manche ist. Manchmal wollte ich die Menschen einfach nur schütteln und ihre Gedanken in Ordnung bringen – aber so einfach ist es bei den meisten Hartz-IV-Schicksalen natürlich nicht.
Was war denn mit deren Gedanken nicht in Ordnung?
Die Kinder sind sehr durcheinander. Die Mutter gesteht sich ein, dass sie seit Jahren mit den Umständen überfordert ist. Manche Situation war für mich nicht ganz einfach und ich musste mich manchmal zurückhalten. Ich bin keine Supernanny, ich bin auch kein Coach, dränge meine Sicht nicht auf. Dort eine Woche zu verbringen, war für mich aber schwierig.
Was war sonst noch schwierig?
Als ich mich für die letzte Folge als Frau verkleidet habe.
Mehr oder weniger glaubhaft allerdings…
Auf die Entfernung war das schon glaubhaft, von Nahem weniger. Aber wenn das Licht gedimmt und der Abend schon fortgeschritten war, war es offensichtlich gut genug. Ich bin innerhalb von wenigen Minuten begrapscht worden, hatte also Hände am Po. Erst als ich mich umgedrehte, sah der Kerl, dass ich ein Typ bin. Jetzt habe ich eine Ahnung davon, wie sich das anfühlt, wenn du betatscht wirst.
Eine sehr leise Ahnung allerdings. Mit ihrer Statur könnten Sie sich im Zweifel immer wehren.
Das ist uns natürlich auch aufgefallen, deshalb haben wir in diesem Experiment andere Schwerpunkte gesetzt. Ich bin nur einen Abend als Frau auf einer Modenschau aufgetreten. Das war eher humoristisch. Aber durch das befummelt werden ist das auch wieder gekippt.
Wie haben sie sich dem Thema dann genähert?
Ich habe zum Beispiel einen Tag in der Brigitte-Redaktion verbracht, um herauszufinden, warum man Zeitschriften für Frauen anders macht, als für Männer. Warum immer Schminktipps und Sommerdiät? Und ich war in Amsterdam, wo Forscher es geschafft haben, Männer zwei Stunden lang in künstliche Wehen zu versetzen.
Sie lagen in den Wehen?
Letzte Woche.
Und wie war es?
Wenn ich bis dahin gefragt wurde, was körperlich das schlimmste Experiment war, habe ich immer gesagt, der Alkohol. Aber ich muss das revidieren. Die Wehen waren die Hölle. Zwei Stunden Schmerzen, die Zeitabstände immer kürzer, der Schmerzpegel immer höher. Danach habe ich zwei Tage flachgelegen, war dünnhäutig und labil. Irgendwelche Hormone haben mich komplett durchgerüttelt. Das klingt vielleicht jetzt total verrückt, aber ich habe mich nach diesen zwei Stunden so gefühlt, als ob ich ein Kind gebären könne.
Das Interview führte Max Muth.
Max Muth