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Wett-Paten unter sich: Aco Goric (Lazar Ristovski, links), Chef der serbischen Wettmafia, trifft im Stadion den Chef des türkischen Clans.
© WDR/UFA FICTION GmbH/Jakub Bejna

„Auf kurze Distanz“: Es bleibt in der Familie

Tom Schilling ermittelt undercover in der serbischen Sportwetten-Mafia. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse.

Der junge Polizist Klaus Roth, gespielt von Tom Schilling, soll als verdeckter Ermittler in der Berliner Sportwetten-Mafia arbeiten. Sein Chef Frank Dudek hat ihn dafür ausgesucht, weil er „serbische Wurzeln“ hat und weil die Serben das Geschäft dominieren. Man will sich bei der Polizei nicht mehr mit den kleinen Fischen begnügen, sondern endlich an die ganz großen ran, und dafür braucht man mehr Infos. Klaus ist ein Held aus dem Nichts, er lebt allein, hat augenscheinlich keine Freunde und weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Eher achselzuckend macht er sich auf ins Milieu.

Jetzt heißt er Milan, und den Auftrag, Freundschaft mit einem Neffen des Oberbosses Goric zu schließen, erledigt er mit Bravour. Es fängt damit an, dass er im Wettbüro aufkreuzt und setzt, er macht querbeet alles mit. Da kommt dann auch der Verdacht auf, er sei ein falscher Fuffziger, und „Milan“ wird zusammengeschlagen. Aber Luka, der Neffe des Paten, findet ihn spontan sympathisch, nimmt ihn zum Abendessen mit nach Hause und führt ihn in seine Familie ein. Dudeks Strategie geht erst einmal auf.

Der ARD-Film „Auf kurze Distanz“ nimmt fast ausschließlich die Perspektive des einsamen Milan ein. Schauspieler Tom Schilling, eher der feinnervige Typ und als Bulle konträr zum Klischee besetzt, spielt ihn mit einer melancholischen Skepsis, misstrauisch und fluchtbereit, aber wenn’s drauf ankommt, super alert. Die Spannung speist sich aus der kaum je nachlassenden Furcht des Helden und des Publikums, dass er auffliegt, der gut aussehende Milan, und dass die Mafia ihn liquidiert.

Mafiöse Familienbande

Doch Zielperson Luka, voller krimineller Energie und zugleich treuherzig, glaubt an Milan – vor allem, nachdem der auf einer gemeinsamen Flucht das Polizeiauto in die Spree abgedrängt hat. Luka, mit viel herzhaftem Temperament verkörpert von Edin Hasanovic, ist ab jetzt restlos überzeugt von seinem neuen Freund und Quasi-Vetter.

Es gibt einen alten amerikanischen Mafia-Film, in dem der Pate zu einem Neuling sagt: „Familie ist wichtig.“ Er sagt das mit einem bedeutungsvollen Unterton. In „Auf kurze Distanz“ haben Regisseur Philipp Kadelbach und die Drehbuchautoren Holger Karsten Schmidt und Oliver Kienle sich diesen Satz zu Herzen genommen. Sie arbeiten die familiäre Machtbasis aller mafiösen Strukturen mit besonderer Deutlichkeit heraus. Solche Familien unterstehen stets dem Oberboss, dessen Losung lautet: „Mach, was ich sage.“

So wandelt Pate Goric (Lazar Ristovski) als Patriarch gravitätisch durch seine ausgedehnte Verwandtschaft mit all ihren gewaltbereiten Cousins, er erscheint am Bett von Lukas Ehefrau, als sie gerade entbunden hat und freut sich, dass es ein Junge ist. Er dominiert die große Tauf-Zeremonie und ruft zum mörderischen Rachefeldzug auf, als die gegnerische Türken-Mafia seine Söhne malträtiert.

Dieser Familienbezug hat mit Loyalität zu tun; wo man niemandem mehr trauen kann, wo der Mensch dem Menschen ein beutegieriger Wolf ist, bleibt nur die Familienloyalität übrig. Auf sie lässt sich (meistens) bauen. Deshalb sind es immer Cousins oder Neffen, wenn nicht Brüder oder Onkels, die im mafiösen Untergrund interagieren. Wer in solchen Clans verdeckt ermitteln will, muss erst mal das ABC der Verwandtschaftsbezeichnungen auswendig lernen.

Klaus, der aus der Gegenwelt der Individuen kommt, der Einzelmenschen, die sich aus Familienbanden gelöst haben, der nicht einmal eine Freundin hat, hat es umso schwerer, bei den Serben mitzumischen. Er scheint erfahrungslos zu sein, was familiäre Beziehungen betrifft und weil es eben nicht nur eine Zielperson ist, die er beobachten muss, sondern gleich ein ganzes soziales Netzwerk. Seine Bewegungen, seine Mimik, seine knappen verbalen Einlassungen stehen für das Ausgeliefertsein eines Mannes, der auf dünnem Eis schlittert. Als er auf der Tauffeier eine Rede auf Serbisch hält, hält der Zuschauer den Atem an.

Kriminelles Milieu und Arbeitsmoral der Polizei sind häufig schon in Thrillern gegeneinandergehalten worden; man konnte die wechselseitigen Steigerungen von Wut und Kampfesmut wahrnehmen sowie die Affinitäten, die entstehen, wenn man einander so intensiv belauert. Dieser Film bringt das Motiv Familie facettenreich ins Szenario ein und erhöht damit die Reibungsflächen und die Gelegenheiten für Loyalität und Verrat.

Das macht ihn weitaus realistischer (viele erinnern sich noch an den Fall Hoyzer) als die üblichen Elegien über das Verschwimmen der Grenzen zwischen Gut und Böse und gibt ihm jenen „human touch“ zurück, den Polizeifilme so oft durch ihre Treue zu den Usancen des Genres einbüßen.

„Auf kurze Distanz“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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