Dokufiktion: Erster Diener des Staates
Mit „Friedrich – ein deutscher König“ und den doppelten Thalbachs beginnt das große Jubiläumsjahr im Fernsehen.
Friedrich der Große – selbst der Name ist fremd geworden. Von der Identifikationsfigur der Deutschen oder zumindest der Preußen zugehörigen Landsleute ist nichts geblieben. Nicht, weil Hitler sich auf Friedrich glaubte berufen zu können; die daraus in der Geschichtswissenschaft konstruierte Kontinuitätsthese ist gleichermaßen dem Vergessen anheim gefallen. Preußen existiert noch als Begriff, als Vorstellung, als Projektion; sein größter König längst nicht mehr.
Insofern könnte es als Werbemaßnahme gelten, die Hauptrolle der „Dokufiktion“ „Friedrich – ein deutscher König“ mit den doppelten Thalbachs zu besetzen – Mutter Katharina als alter und Tochter Anna als junger Friedrich. Das mag es auch sein; aber überraschenderweise geht die an und für sich abgenutzte Umformung zur „Hosenrolle“ erstaunlich gut aus. Männlein oder Weiblein, die Frage stellt sich nach wenigen Minuten schon nicht mehr; dies umso weniger, als Friedrich ohnehin als geschlechtsloses oder besser gesagt, am weiblichen Gegenüber vollständig desinteressiertes Wesen gezeigt wird, ohne ihm darum gelebte Homosexualität anzudichten.
Auf diese Spekulation lässt sich der Film nicht ein; auf eine psychoanalytisch gefärbte Grundlinie indessen schon. Regisseur Jan Peter hat die 90 Minuten aus zugleich stilisierten wie naturalistisch gespielten Szenen zusammengefügt, die immer wieder das Lebensdrama dieses Königs intonieren, die Unterdrückung und Abrichtung durch den ebenso herrischen wie rüpelhaften Vater, den „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., ausgezeichnet dargestellt von Oliver Nägele. Breit werden die beklemmenden Szenen des väterlichen Drills durchgespielt, das tödlich endende Drama um den Fluchtversuch und die Hinrichtung des Freundes Katte, das Qualmen und Saufen im Tabakskollegium. Also, dass der junge Fritz zur psychisch verkrüppelten Person wurde und alles spätere Unheil dem Vater anzulasten ist, daran kann der Zuschauer keinen Zweifel mehr hegen.
Von Vaters Tod geht’s gleich zum ersten Eroberungskrieg, bei dem das reiche Schlesien aus habsburgischem Besitz herausgebrochen wird. 16 Jahre später entbrennt der Siebenjährige Krieg, bei dem Preußen beinahe untergeht und der König fast gestorben wäre, hätte nicht seine geliebte Schnupftabaksdose die feindliche Kugel abgehalten. Dazu gibt’s ein paar Szenen Voltaire und elegische Kameraschwenks über Potsdams Schlösschen Sanssouci. Das Neue Palais – Ort der im Frühjahr anstehenden großen Friedrich-Schau –, nach dem für Preußen günstig verlaufenen Krieg als spätes Herrschaftszeichen errichtet, kommt nicht einmal flüchtig ins Bild. Schließlich darf auch die unglückliche, abgeschobene Gattin Elisabeth Christine (Valerie Koch) nicht fehlen, sie darf schöne Kleider und einen zeittypisch hochgepressten Busen vorführen. Beides übt keinerlei Reiz auf den nun Alten Fritz aus, der im zerschlissenen Waffenrock und mit schmutzigen Stiefeln ins Schloss stapft.
Zwischen den Szenen und ihren historischen Gehalt kommentierend, kommen drei Historiker abwechselnd ins Bild, Hartmut Dorgerloh als Chef der Schlösserstiftung Berlin-Brandenburg, wo denn auch die Interieurs gefilmt werden durften, Monica Kurzel-Runtscheiner als österreichische Nebenstimme und vor allem Christopher Clark, der australische Engländer, der beste und vor allem vorurteilsfreieste Kenner Preußens.
Ja, mit den Vorurteilen oder besser, Klischees ist das so eine Sache; einerseits bedient der Film sie – Frauenfeind! Kriegslüstern! Vabanque-Spieler! –, andererseits sucht er sie aufzubrechen oder zumindest aus der Psychogenese des Königs heraus zu erklären. Unter den Tisch fällt – bis auf die erste Szene, wo Friedrich Getreide zu Niedrigpreis an die Armen zu verkaufen befiehlt – die schlichte Tatsache, dass der König 46 Jahre lang seinen Staat, dessen erster Diener zu sein er seinem Vater auf dessen Sterbebett versprach, tatsächlich regiert und kräftig modernisiert, ja ihn in vielem zu einem proto-bürgerlichen Rechtsstaat gemacht hat. Auch wenn er gerade Krieg führte oder in Sanssouci seine Tischgesellschaft aus aufgeklärten Spottgeistern um sich versammelte. Aber alles in 90 Minuten zu packen, wäre zu viel verlangt, und so mag der Zuschauer sich an manchen surrealen Szenen erfreuen, wie etwa Schlachten mit wenig Komparsen und viel rotem Mohn.Und einer Katharina Thalbach, die am Ende ein Alter Fritz ist, wie ihn Otto Gebühr nie hingekriegt hätte.
„Friedrich – ein deutscher König“, Arte, 20 Uhr 15, Wiederholung ARD, 16. 1. um 22 Uhr 45
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