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Frank Überall ist seit 2015 Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes. Als Journalist arbeitet er unter anderem für den WDR.
© Anja Cord/Promo

DJV-Chef Frank Überall im Interview: „Entweder stimmt eine Geschichte oder nicht“

Die Grenze zwischen Dokumentation und Scripted Reality ist eindeutig. Im Fall von "Menschen hautnah" sieht DJV-Chef Frank Überall Fehler auf beiden Seiten.

Herr Überall, sind Grenzüberschreitungen wie in jenen WDR-Reportagen, in denen bezahlte Protagonisten verzerrt dargestellt wurden, Einzelfälle oder möglicherweise systembedingt, weil in den Redaktionen Erwartungen gehegt werden, die nicht mit der Realität in Einklang zu bringen sind?

Der Deutsche Journalisten-Verband hat keine Übersicht, wie oft bei TV-Dokumentationen auf bezahlte Protagonisten zurückgegriffen wird. Wir haben auch keine Hinweise darauf, dass in weiteren Fällen Geschichten bezahlter Protagonisten falsch oder verzerrt wiedergegeben wurden. Aber der WDR-Fall hat offenbar eine vielleicht nicht unübliche Praxis öffentlich gemacht. Wir sehen hierin eine Chance auf eine produktive Debatte über Arbeitsbedingungen und ethische Standards in einem sich dynamisch entwickelnden journalistischen Format. Grundsätzlich gilt: Es gehört zu unserem Beruf, Auftraggeber und Vorgesetzte auch einmal zu enttäuschen, wenn sich am Konferenztisch ersonnene Aufträge in der Wirklichkeit nicht umsetzen lassen. Andersherum müssen Redaktionen mit solchen Enttäuschungen professionell umgehen.

Wie könnten ethische Standards für journalistische TV-Formate aussehen?

Die journalistischen Standards sind eindeutig und gelten unabhängig vom Format. Entweder stimmt eine Geschichte oder sie stimmt nicht. Wer Darsteller bucht, muss sich notfalls eine eidesstattliche Erklärung abgeben lassen, dass getätigte Aussagen stimmen. Die Grenze zwischen Dokumentation und scripted-reality-Formaten ist scharf und eindeutig. Darüber hinaus ist es den Sendern überlassen, durch interne Regeln die Standards hochzuhalten. Denkbar wäre auch, das Zustandekommen einer Dokumentation auf der eigenen Website transparent zu machen.

In welcher Situation kann der Einsatz von bezahlten Protagonisten statthaft sein?

Das lässt sich nicht pauschal im Vorhinein definieren. Entscheidend ist, dass ihre Geschichten und Aussagen der Wahrheit entsprechen. Die oft sehr zeitaufwendigen Drehs finanziell zu kompensieren, ist in jedem Fall nicht verwerflich. Eine darüber hinausgehende Bezahlung sollte transparent gemacht werden.

Die vom WDR nicht mehr beschäftigte Freie Mitarbeiterin hat kritisiert, dass die Sender zwar an guten Quoten für Reportagen interessiert seien, aber den Mehraufwand nicht finanzieren wollen. Ist dieser Einwand berechtigt?

In dem konkreten Fall wissen wir nicht, wie gut oder schlecht der WDR zahlt. Jedoch ist die Kritik nicht grundsätzlich falsch. Aber als Rechtfertigung, Fiktion als Fakten darzustellen, taugt die Kritik am Sender nicht. Es liegt leider auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in der Natur der Sache, dass Auftraggeber tolle Geschichten für einen kleinen Preis wollen. Wir Journalisten brauchen dann zuweilen starke Nerven, um dem Druck nicht nachzugeben. Wenn es nicht anders geht, muss dem Auftraggeber abgesagt werden. Eine Alternative sehe ich nicht.

Wie groß ist der finanzielle Druck für externe Auftragnehmer der Sender?

Auch wenn sich das nicht generalisieren lässt, stehen Freie spürbar unter Druck. In keinem journalistischen Medium, sei es bei den Öffentlich-Rechtlichen, den privaten Sendern, Print oder Online, sind die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren besser geworden. Journalisten müssen heute vielfach mehr für weniger leisten.

Das Gespräch führte Kurt Sagatz.

Frank Überall ist seit 2015 Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV. Als Journalist arbeitet er unter anderem für den WDR.

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