Medien: Englisch, nicht antiamerikanisch
Am Mittwoch startet Al Jazeera International als Konkurrenz zu BBC und CNN
Al Jazeera ist auch im Westen ein fester Begriff. Einer, an dem die Geister sich scheiden. Der panarabische Fernsehsender mit Sitz in Qatar hat sich mit der Ausstrahlung der Osama-bin-Laden-Videos und seiner Berichterstattung über den Irak-Krieg den Zorn der US-Regierung zugezogen. In der arabischen Welt dagegen steht er für eine völlig neuartige, weil kritische Berichterstattung über autoritäre Regime und eine neue Debattenkultur. Schätzungsweise 30 bis 40 Millionen Zuschauer täglich danken es dem Sender, dessen Nachrichten zur führenden Informationsquelle in der Region geworden sind. Pünktlich zu seinem zehnjährigen Bestehen will der Sender zu einem wahren „global player“ aufsteigen: Am Mittwoch soll nach vielen Verzögerungen das englischsprachige Programm „Al Jazeera International“ (AJI) auf Sendung gehen. Dabei geht es explizit nicht darum, das arabische Programm zu übersetzen. Vielmehr will man CNN und BBC World Konkurrenz machen mit einem eigenen Programm, das sich an Zuschauer in Asien, Europa, den USA und Afrika wendet.
„Wir wollen den Informationsfluss von Nord nach Süd umdrehen“, sagt der Geschäftsführer von AJI, der Brite Nigel Parson. „Es ist der erste englischsprachige Sender, der aus der Welt der Entwicklungsländer sendet.“ Dazu wurden 20 eigene Büros geschaffen und 250 Journalisten aus 47 Nationen eingestellt. Darunter sind im Westen bekannte Gesichter wie der britische Moderator David Frost, der ehemalige Nachrichtensprecher der BBC, Darren Jordon, oder die frühere CNN-Journalistin Lauren Dutton. Wie unabhängig AJI von der Linie des Mutterhauses ist, wird sich erst zeigen. Für Unruhe unter den Journalisten des englischen Programms hatte die Entscheidung gesorgt, dem Manager des arabischen Kanals, Waddar Khanfar, auch den neuen Sender zu unterstellen.
Technische Schwierigkeiten wurden für die mehrfache Verschiebung des Sendestarts, der ursprünglich für Herbst 2005 angekündigt war, verantwortlich gemacht. Der neue Sender will 24 Stunden rund um die Uhr von vier Sendeplätzen in verschiedenen Zeitzonen senden: elf Stunden aus der Sendezentrale in Doha, fünf Stunden aus London und jeweils vier Stunden aus Kuala Lumpur und Washington. Das Ganze in High-Definition-Qualität (HDTV) – eine Premiere für einen weltweit ausstrahlenden Satellitensender. Doch auch beim Vertrieb soll es Schwierigkeiten gegeben haben. So räumte die Marketing-Direktorin Lindsay Oliver kürzlich in einem Interview ein, dass es in den USA nicht leicht sei, Kabelfirmen zu finden, die das Programm verbreiten. So ist bis zuletzt unklar, ob der neue Sender ab Mittwoch auch in den USA zu sehen sein wird. In Südostasien, Teilen Afrikas und Europa dagegen seien Abkommen geschlossen, die es etwa 40 Millionen Haushalten ermöglichen sollen, Al Jazeera International zu empfangen.
Angekündigt wurde bisher eine täglich halbstündige Diskussionssendung – „Inside Story“ – zu aktuellen Themen sowie eine wöchentliche Debatte über den Irak. Ein Schwerpunkt soll die Berichterstattung über die USA sein – man wolle aber kein „antiamerikanisches“ Programm machen, betont Nigel. Er gibt ein Beispiel dafür, wie sich AJI von Sendern wie BBC World und CNN International unterscheiden will. „Bei der Berichterstattung über das Urteil gegen Saddam Hussein haben unsere Rivalen Nahostexperten in Washington und London befragt. Unsere Experten sind Araber im Nahen Osten.“
Dennoch wird viel spekuliert, ob es dem neuen Ableger von Al Jazeera gelingen wird, mehr als ein Nischenprogramm für Muslime außerhalb der arabischen Welt zu machen. In der arabischen Welt konnte der Sender auf eine Gemeinde zurückgreifen, die durch das Interesse an Themen wie Palästina oder Irak geeint ist. Für ein weltweites Publikum haben diese Konflikte nicht die gleiche zentrale Bedeutung. Anders als in der arabischen Welt wird Al Jazeera International in den anderen Regionen auch nicht der erste Sender sein, der politische Tabus bricht und kritische Berichterstattung wagt.
Nach Ansicht des Direktors des Nahostprogramms am Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington, Jon Altermann, wird der Ableger möglicherweise die größten Auswirkungen auf das arabischsprachige Schwesterprogramm haben. AJI wird deutlich genauer daraufhin untersucht werden, ob es journalistische und ethische Standards einhält, meint Altmann und macht darauf aufmerksam, dass Al Jazeera erst nach Jahren einen nur einseitigen Ethik-Code erarbeitete. Wenn die Mitarbeiter des neuen Senders in dieser Hinsicht professioneller und konsequenter vorgehen, um ihre Glaubwürdigkeit zu etablieren, könnte das „massive Auswirkungen“ auf die Kollegen des arabischsprachigen Kanals haben, glaubt Altmann.
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