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Gähn. In der Sat-1-Scheune geht es definitiv langweilig zu.
© Sat 1

Realität ist gut, Scripted Reality ist besser: Eklat bei "Newtopia": Mehr Utopie wagen!

Joachim Huber wünscht sich mehr Scripted Reality bei "Newtopia" - sonst wird das nichts mit der Utopie.

Da staunt der Fernsehkritiker aber Einschaltknöpfe. Erst mal über die Zuschauer, die fest daran geglaubt haben, dass es beim Sat-1-Format „Newtopia“ mit echten Dingen zugeht. Dass in der TV-Kommune nahe Königs Wusterhausen 15 Bewohner sich auf eine wir auch immer geartete Weise des Zusammenlebens verständigen und so ihre „Utopie“ vom Leben in Gemeinschaft verwirklichen. Jetzt, da seit der Kamerapanne am Montag mindestens der Verdacht besteht, die Produktionsfirma Talpa steuere die Protagonisten aus, sprich das angeblich selbstbestimmte Tun und Treiben in der Scheune und um die Scheune herum sei nichts weiter als fremdbestimmte Scripted Reality, ist die Empörung dieser Zuschauer riesengroß. Betrogen, belogen fühlen sie sich. Sie haben dem Sender geglaubt, als der wieder und wieder versichert hat, es gebe bis auf die notwendigen Aspekte der Sicherheit, der Gesundheit, des Jugend- und des Persönlichkeitsschutzes sowie der Technik keine Kontakte zwischen Produktion und Protagonisten. Sat 1 hält, wie eine Nachfrage ergab, an dieser Position eisern fest. Auch darüber darf gestaunt werden.

Werden wir mal utopisch: Sat 1 gesteht zu, dass „Newtopia“ ein Fake war, ein Fake ist und über das gesamte Jahr ein Fake bleiben wird. Dann haben wir es mit einem krassen Fall von schlechtem Scripted TV zu tun. „Newtopia“ ist langweilig, von Utopien weit und breit nichts zu sehen und nichts zu hören, es geht es um Techtelmechtel, Tattoos und Kippenbeschaffung. Wer ein derart erbarmungswürdiges Casting betreibt und keine besseren Drehbücher ans Scheunenpersonal verteilt, der wird mit schwachen Quoten bestraft.

Das Format hat zu wenig Anziehungskraft

Die umgekehrte Annahme – „Newtopia“ ist authentisch – ändert nichts am Befund. Das Format besitzt nur wenig Anziehungskraft. Das wird Sat 1 nicht sehr lange durchhalten. Ein Sender, der Fernsehen als Mittel zum Geldverdienen versteht, darf seinen Daseinszweck niemals aus den Augen verlieren.

Sat 1 muss nochmals richtig ans Format ran: die Einrede vom authentischen Fernsehen eintauschen gegen das Versprechen vom aufregenden Fernsehen. Die Frage nach der bestmöglichen Utopie ist spannend. Sie darf aber nicht irgendwelchen Laiendarstellern überlassen bleiben. Nur wenige Zuschauer haben Lust, ihre Zeit mit Fernsehen zu vergeuden, das nicht weiß, welches Fernsehen es sein will. „Newtopia“ als Fiktion, meinetwegen als „Faketopia“, würde dem Format als dem „größten TV-Experiment“ mehr geben als nehmen. Nur gelungene Unterhaltung sichert das Interesse an der Grundfrage nach Utopia.

Die Gewissheit des Zuschauers besteht dann darin, jenes Fernsehen zu sehen, das er sehen will. Unmöglich? Aber gar nicht. RTL 2 beispielsweise gaukelt mit „Köln 5067“ und „Berlin – Tag und Nacht“ vor, hier würden echte Menschen, ehrliche Proleten ihr Leben vor der Kamera ausleben. Mehr Scripted Reality geht nicht. Das gewonnene Publikum ist hingerissen. Fernsehen ist eine Illusionsmaschine. Vielleicht die beste Utopie, die sich die Menschheit jemals ausgedacht hat.

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