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Im Netz. Helga Aulich, 80, ist seit einem Jahr online. Ihr Sohn hat ihr einen Laptop geschenkt. Im Internet begleicht sie Rechnungen, spielt Lotto und guckt die bewegendsten Momente aus ihren Lieblingssendungen noch einmal. Und sie hat zehn Freunde bei Facebook.
© Kai-Uwe Heinrich

Internetnutzung: Eine Torte für 3000

In Seniorenheimen ist das Internet nicht sehr verbreitet. Manche schaffen es aber über den „digitalen Graben“. Gespräche über das reizvolle Fremde.

Ihr Leben, sagt Frau Dähn, sei sehr schön gewesen. Und lang. Sie lächelt versonnen. Als sie jung war, war ein Telefon noch etwas sehr Exotisches in den meisten deutschen Haushalten. Achtzig ist sie und lebt in einem Zimmer in einem Pflegeheim in Friedenau voller Fotos – von ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln. Die kommen sie oft besuchen. Und sie rufen jeden Tag an, sagt Margarethe Dähn. Das Telefon steht gleich neben ihrem Bett, daneben liegt ein Handy. Diese Kommunikationswege reichen Frau Dähn vollkommen. Ihr macht es überhaupt nichts aus, dass man sie nicht auch noch per E-Mail erreichen kann – vor einem eingeschalteten Computer hat sie noch nie gesessen. „Ich hab noch nie daran gerochen“, sagt sie und lacht. Twitter? Facebook? Noch nie gehört. Das Internet kennt sie nur aus Erzählungen ihrer Kinder und Enkel. „Die sind alle dafür. Das ist deren Welt. Die sind da ja reingewachsen.“ Sie nicht und deshalb sei ihr das alles „sehr fremd“. Interessant finde sie diese fremde Welt einerseits schon. Aber nicht interessant genug, um dorthin vorzudringen: Ihr Mann sei schließlich „auch nicht dafür“ gewesen, sagt Frau Dähn, die nach ihrer Hochzeit Ende der vierziger Jahre ihre Stelle als Sekretärin aufgegeben hat, um die Kinder zu erziehen.

Frau Dähn gehört zu einer Minderheit, die immer kleiner wird: den „Offlinern“ oder „Nonlinern“, die nicht im Internet unterwegs sind. „Nichtnutzer ohne Nutzungsplan“ nennt sie die Initiative D 21, die jedes Jahr den „(N)Onliner-Atlas“ herausgibt. Und der stellte 2011 fest, dass inzwischen knapp drei Viertel der Deutschen online sind. In Berlin sogar fast 80 Prozent. Und jedes Jahr wächst die Zahl um etwa drei Prozent. „Eine Topografie des digitalen Grabens durch Deutschland“ heißt der Atlas im Untertitel. Dieser Graben verläuft rein statistisch zwischen dem 69. und dem 70. Lebensjahr.

Wie stellt man sich auf der Offliner-Seite das Internet vor? Frau Dähn hat darüber noch nicht bewusst nachgedacht. Aber ein paar Ideen hat sie: „Da muss man tippen, und dann antwortet jemand, und dann kann man sich unterhalten.“ Und was noch? Sie überlegt. „Ich glaube, man kann auch Rechnungen abschicken und nachgucken, was man sich kaufen kann.“ Und dann fällt ihr noch etwas ein: „Meine Enkelin hat im Internet einen Mann gefunden – und der wohnte eigentlich direkt bei ihr um die Ecke.“ Ein bisschen gefährlich fand sie dass ja schon – so einen Mann aus dem Internet zu treffen. Aber jetzt sind die beiden schon fünf Jahre zusammen.

Frau Dähn ist noch sehr aufgeschlossen für die Welt, auch wenn sie das Internet vielleicht nicht mehr entdecken wird. Ganz anders ihr 96-jähriger Nachbar, ein ehemaliger Schriftsetzer. „Ich habe keine Vorstellung davon und will auch keine haben“, sagt er. Er will nur seine Ruhe, selbst die Zeitung interessiere ihn nicht mehr, auch wenn er sie noch pro forma durchblättere. „Das ist mir alles wurscht, nur wenn sie einen totgeschlagen haben, lese ich das noch.“

Herr Wesel (Name geändert) sieht die Sache mit dem Netz ähnlich. Der 86-Jährige lebt in einer Senioren-WG in Kreuzberg. Seine Tochter ist Informatikerin: „Sie macht so eine Webseite“, sagt er. Sie habe schon versucht, ihn zu überreden, es mal mit dem Internet zu probieren: „Sie hat gesagt, das braucht man.“ Fünf Minuten Geduld hat er aufgebracht, mehr nicht: „Nix mehr, hab’ ich gesagt. Jetzt ist Ruhe. Ich will nichts damit zu tun haben, weil das zu kompliziert ist für unsereinen. Ehe wir das das gelernt haben, sind wir ja uralt. Das ist nur was für junge Leute.“ Er klingt fast erbost. „Wenn ich etwas mit dem Internet machen muss, dann sage ich das meiner Tochter und sie übernimmt das.“ Er schiebt ein Stück Erdbeerkuchen in den Mund. Was denn zum Beispiel? „Keine Ahnung.“ Das Wort Facebook hat er noch nie gehört und will auch nicht darüber spekulieren, was das wohl sein könnte: „Wenn Leute das wichtig finden ...“, sagt er nur. Sein Mitbewohner Horst Sinnig, ein ehemaliger Apotheker, ist 90 und war noch nie im Internet, aber das, was er darüber gehört hat, schreckt ihn ab: „Ich hatte noch kein Bedürfnis danach. Da ist es mir zu weitläufig und zu unübersichtlich.“

Verglichen mit den beiden Männern ist Ingrid Berger jung – und nicht nur deshalb viel näher am „digitalen Graben“ als sie. Die 74-jährige ehemalige Rechtsanwaltsgehilfin hat ihn sogar schon zwei Mal überquert: Sie hatte mal einen Computer zu Hause. Auch wenn der „eher rumstand“. Und auch einen Internetanschluss? Frau Berger überlegt: „Ich weiß nicht genau. Aber ich habe jeden Monat etwas bezahlt und hatte so eine kleine schwarze Kiste.“ Ein Modem? Sie nickt. Das hat sie zwar mitgenommen, als sie vor eineinhalb Jahren in ihr gemütliches Zimmer in einem Pflegeheim in der Nähe des Innsbrucker Platzes zog. Den Computer aber nicht – nur einige Erinnerungen an die Welt des Netzes, die ihr nicht wirklich vertraut geworden war: Sie habe es ziemlich schwierig gefunden, sich im Internet zurechtzufinden, sagt sie. Gern hat sie aber nach Bedeutungen für Fremdwörter gesucht. „Vorher hatte ich ein Buch, das fiel schon auseinander, mit dem Computer ging es viel schneller und war viel aktueller. Und ich hab auch gegoogelt“, sagt sie mit ein wenig Stolz in der Stimme.

Die neusten Entwicklungen im Netz hat sie aber nicht mehr wirklich mitverfolgt: „Da gibt’s doch dieses Zwitschern, oder wie heißt das?“ Ach, sie meint Twitter? „Heißt das so?“, fragt die Frau mit dem schicken grauen Prinz-Eisenherz- Haarschnitt etwas unsicher zurück und lacht. Aber was man mit Twitter macht, weiß sie nicht genau. „Ist das nicht das, wo man sagt, man backt eine Torte, lädt 100 Leute ein und dann kommen 3000?“ Nein, das war eher Facebook. Ihr Gesicht wird nachdenklich. Facebook, nein, das Wort habe sie noch nicht gehört, aber sie versucht eine Erklärung herzuleiten: „Das heißt ja Gesichtsbuch auf Englisch, na was könnte man denn wohl damit machen?“ Sie hört sich interessiert an, was es mit Facebook-Freunden und -Nachrichten auf sich hat und sagt dann: „Dazu müsste man aber Kontakte haben.“ Ingrid Berger hat nur eine Freundin, die im Netz unterwegs ist: „Die ist erst 60, die kann das mit dem Internet. Sie macht das mit dem, wo man sich sieht.“ Frau Berger macht eine Bewegung mit der Hand zum Auge. Meint sie skypen mit einer Webcam? Ja, genau.

„Dieses Ding ist schon sehr vorteilhaft, das sagt einem ja alles“, sagt sie über das Internet und den Computer, und es klingt ein bisschen wehmütig. Sie ist immer noch wissbegierig. Auch wenn sie jetzt nicht mehr lesen kann, weil eine Augenerkrankung das nicht mehr zulässt. Fernsehen geht noch und im Regal liegt ein hoher Stapel Hörbücher – so dass immer neue Fragen auftauchen, auf die sie Antworten sucht: „Wenn ich jetzt etwas herausfinden will, dann gehe ich zu Oliver am Empfang, der guckt dann im Internet nach.“ Nicht nur Fremdwörter, sondern vor allem Kritiken und Artikel über Filme, die sie im Fernsehen gesehen hat. „Manchmal weiß man ja selbst nicht so genau, was man davon halten soll.“ Neulich, als Katharina Thalbach Friedrich den Großen gespielt hat, wollte sie unbedingt mehr darüber erfahren.

Ob sie weiß, dass man viele Filme auch online gucken kann, in den Mediatheken der großen Sender? „Ach, guck mal“, sagt sie interessiert. „Aber die Zeit lässt sich wohl nicht zurückdrehen“, sie seufzt ein bisschen. „Wenn ich jung und schön wäre und ein bisschen Geld hätte, dann würde ich mir so einen Apple kaufen. Einen weißen. Oder so ein flaches Ding, wie heißt das noch?“ Ein iPad? „Genau. Und das würde ich dann in einem Café aufklappen, so dass jeder den Apfel sehen kann.“

Einen Apfel hat Frau Aulich nicht auf ihrem Computer. Aber in ihrem Schlafzimmer steht ein Laptop, seit einem Jahr schon. Und die 80-Jährige benutzt ihn auch: „Mein Sohn hat ihn mir besorgt und alles eingestellt.“ Auf ihren Wunsch hin. „Das wurde immer schlimmer im Fernsehen. Wenn man etwas wissen möchte, steht da immer nur Internet und sowieso. Da hab’ ich gedacht, ich kann mich sonst gar nicht mehr orientieren.“

Helga Aulich hatte in den achtziger Jahren, als sie in einem Lebensmittelgroßhandel arbeitete, schon mit den ersten Computern zu tun. Schwierig findet sie die ganze Sache überhaupt nicht. „Ich klick mich da so durch, nur mit den Links habe ich noch Schwierigkeiten. Da kommt dann immer irgendeine Seite, die mir nicht gefällt.“ Und was macht sie so alles online? „Ich stöbere rum, gucke meine Rechnungen und mein Lotto.“ Das Wichtigste sind aber „meine Serien, die ich im Fernsehen gucke“. Wenn sie eine besonders spannende Stelle noch einmal sehen will, „dann hol’ ich mir das rein“. Bei Facebook ist sie auch schon. Dort hat sie zehn Freunde, alle viel jünger als sie selbst. Bei den alten Leuten, die sie kennt, dürfe man oft gar nicht erst mit dem Thema ankommen. „Aber eigentlich ist das nicht unbedingt eine Frage des Alters“, findet sie. Deshalb fängt sie gegenüber ihren älteren Freunden doch immer wieder davon an, dass die auch ins Netz gehen sollen. „Ich versuche, es ihnen schmackhaft zu machen.“

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