Autodebatte bei „Anne Will“: Eine Herausforderung für Talkshow und Menschheit
Was „Anne Will“ zeigt: Das Auto ist zum handfesten Symbol für den Kulturkampf ums Klima geworden. Eine TV-Kritik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht von einer "Menschheitsherausforderung", wenn es um Klimaschutz geht. Eine gewaltige, große Aufgabe, bei der sich Herausforderung und Überforderung auf sehr unangenehme Weise für die Betroffenen begegnen werden. Das fängt schon damit an, dass die Plattform, auf der sich Politiker, Bürger, Aktivisten, Industrievertreter, Autofahrer, Radfahrer, ÖPNV-Benutzer begegnen werden, dass diese Plattform der Streit sein wird.
"Anne Will" gab davon einen deutlichen, unangenehmen Vorgeschmack. Gut, Andreas Scheuer, der CSU-Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, wird sich mit Marion Tiemann, Verkehrsexpertin von Greenpeace Deutschland, über die richtigen Maßnahmen in der Mobilitätspolitik niemals einigen werden. Tiemann geht die Frage nach dem richtigen Weg radikal an, der Diesel-SUV ist ihr persönlicher Feind, Politiker wie Scheuer bringen ihre Generation um ihre gesunde Zukunft. Der CSU-Politiker will dem Bürger seine Wahlfreiheit bei der Mobilität nicht nehmen, bei allen Fehlern in der Vergangenheit sollte die Diesel-Technologie unbedingt weiterentwickelt werden.
Was dieser "Zweikampf" vor 2,75 Millionen Zuschauern gezeigt hat: Das Auto und seine Benutzung, sie sind zum Symbol für den Kulturkampf ums Klima geworden. Auto kann jeder, fährt fast jeder, fordert zu Verbot und Verzicht heraus, umgekehrt sehr, sehr viele ihre Lebensqualität mit dem Auto verbinden. Wie sonst könnte die SUV-Sparte im August die meistverkaufte in Deutschland geworden sein, sind die Emissionen des Verkehrs aller Verbesserungen zum Trotz auf dem Stand von 1990, wie Moderatorin Will erwähnte?
Der Talk führte vor, dass die Gesellschaftsdebatte ums Klima, ums Auto böse entgleisen könnte. In mehrfacher Hinsicht: Die Grünen, in der Runde vertreten durch Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, werden aufpassen müssen, dass ihre Sympathisanten, übrigens jene mit dem miesesten Flugscham-Konto aller parteipolitischen Richtungen, nicht nur die Verzweiflungs-Weltmeisterschaft gewinnen wollen, sondern den Wettbewerb um die effektivsten Ideen. Es ist übel, einen tödlichen Unfall wie den in der Berliner Invalidenstraße für seine Zwecke zu instrumentalisieren.
Es muss, nicht nur in einer Talkshow, immer die Realität mitschwingen. Stefan Wolf, Vorstandschef der ElringKlinger AG und Mitglied im Vorstand des Verbands der Automobilindustrie, versuchte sich immerhin an einer Antwort, warum der SUV so überaus populär ist. Gibt es zwischen den "Autohassern" und den "Auspuffleckern" gar keine Brücke der Verständigung, über die sie gemeinsam gehen wollen? Wird ganz schwer, wenn Tiemann Scheuer mit dem Vorwurf überzog, ihm stehe die Opferrolle so gar nicht zu.
Verzicht oder Gewinn?
Auch das Format der Talkshow wird da seinen Beitrag leisten müssen: Es ist nicht schwer, Stimmung ins Studio zu bringen, wenn nur entsprechend konträr besetzt wird. Es braucht mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie beispielsweise die "Zeit"-Journalistin Elisabeth Raether, die bei aller Sympathie für grüne und Greenpeace-Positionen der sauerstoffarmen, phasenweise von allen Seiten nur populistisch geführten Diskussion neue Gedanken zuführte: Ein Verbot mag für den einen eine Verzichtsleistung bedeuten, für den anderen aber einen großen Gewinn. Was wiegt nun schwerer: der Verzicht oder der Gewinn?
Anne Will hatte die Runde bestens im Griff, sie nahm manche Wortmeldung auf und wandelte sie rasch in eine Frage um, sie suchte die Multiperspektive im Thema, zu der die Gäste nicht wirklich in der Lage und willens waren. Ein Kulturkampf? Meinetwegen, aber nicht im Schreikampf-Modus.
Eine zentrale Frage bleibt: Wird auch nur einer weniger am Montag mit seinem SUV die Kinder in Schule und dann zur Arbeit gefahren sein? Wenn nein, warum nicht?
Joachim Huber