Talkshows: Eine Frage des Sendungsbewusstseins
Mehr Talks waren nie: Wonach Prominente wie Arnulf Baring und Sascha Lobo entscheiden, in welche Show sie gehen, was sie vom neuen ARD-Konzept halten und warum die Höhe des Honorars nicht das entscheidende Kriterium ist.
Die neue Talkshowsaison ist eröffnet. Die ARD bittet an fünf Tagen zum Fernsehgespräch: „Günther Jauch“ am Sonntag, „Hart aber fair“ am Montag, dann kommen „Menschen bei Maischberger“ (Dienstag), „Anne Will“ (Mittwoch) und am Donnerstag „Beckmann“. Das ZDF bietet weiterhin „Maybrit Illner“ und „Markus Lanz“ auf, auch bei Phoenix, bei N 24 und in den dritten Programmen wird mehr denn je geredet. Die Konkurrenz um Themen und Gäste wächst. Wonach sie künftig entscheiden, in welche Show sie gehen und ob sie das neue ARD-Konzept für eine gute Idee halten, erzählen Journalisten, Blogger und Experten, die besonders oft in Talkshows eingeladen werden.
Arnulf Baring, Publizist
Ich bin gespannt, was die Moderatoren aus dieser neuen Situation machen, die mir schwierig erscheint. Günther Jauch hat es als Neuling besonders schwer - wenn bei ihm nicht der Heilige Geist und Gottvater höchstpersönlich auftreten, hat er doch quasi schon verloren, so hoch ist der Erwartungsdruck, der auf ihm lastet. Ich hoffe, dass künftig deutlich seltener Politiker in Talkshows eingeladen werden. Denn Sendungen mit Politikern sind immer unergiebig, weil sie von der öffentlich bekannten Linie ihrer jeweiligen Partei nicht abweichen können oder dürfen. Dabei fehlt es dringend an einer echten politischen Debatte. Nicht nur in den Talkshows. Ob ich als Gast zusage, richtet sich danach, ob mir zum Thema etwas Präzises einfällt, und es liegt auch an den anderen Gästen.
Hans-Ulrich Jörges, Journalist
Fünf Talks in der ARD sind eindeutig zu viel. Jeweils drei Formate pro Woche sollten für politische Kernthemen gesperrt werden. Dann blieben noch insgesamt drei Polittalks in ARD und ZDF. Das reicht. Ich bin gespannt auf das angekündigte Themen- und Gästemanagement der ARD, mit dem Überschneidungen vermieden werden sollen. Ich selbst entscheide nach Thema, Termin, inhaltlicher Entwicklung der Talks und Häufigkeit der Anfragen, in welche Talkshow ich gehe. Die Honorare sind dagegen als Motiv völlig unerheblich. Sie reichen von 250 Euro („Anne Will“) bis 1000 Euro („Menschen bei Maischberger“), davon kann man nach der Steuer nicht wirklich reich werden – und nicht alle Talks zahlen Honorare. Nicht meine Sache waren Diskussionen über den Kachelmann-Prozess und die Sexaffäre Strauss-Kahn. Wegen eines Mitstreiters habe ich nur zweimal abgesagt. Im einen Fall ging es in einer Sendung von Frank Plasberg um eine persönliche Unverträglichkeit, die nicht von mir ausging. Im zweiten Fall habe ich bei Reinhold Beckmann nach langem Nachdenken eine Einladung zum Streit mit Thilo Sarrazin abgelehnt, weil mich der mediale Hype um Autor und Buch angewidert hat.
Michael Spreng, Politikberater
Besser fünf Talkshows als fünf neue Dokusoaps oder fünf neue Herz-Schmerz-Serien. Ob sich das neue ARD-Modell bewährt, kann man erst nach einigen Monaten Erfahrung sagen. Die Gefahr, dass sich die Themen und Gäste der Talks überschneiden, ist groß – aber das war auch schon vorher so. Es kommt dann jeweils auf den Gästemix und den Moderator an. Mir gefallen alle Talks gut, bei denen am Ende für die Zuschauer ein Erkenntnisgewinn herauskommt. Das kann im Idealfall bei „Markus Lanz“ genauso passieren wie bei „Anne Will“. Ich gehe dann in eine Talkshow, wenn ich glaube, dass ich für das Thema kompetent bin und etwas Sinnvolles dazu sagen kann. Deshalb habe ich zum Beispiel beim Thema Kachelmann alle Einladungen abgelehnt. Wo ich zu Gast bin, ist auch auf meinem Blog sprengsatz.de nachzulesen.
Sascha Lobo, Autor und Blogger
Wie viele Talks es pro Woche geben sollte, ist keine Frage der Quantität, sondern der Qualität: Eine schlechte Talkshow die Woche wäre zu viel, sieben tolle zu wenig. Mehr Konkurrenz wird die Qualität der Talkshows eher noch steigern – auch deshalb sind fünf Talkshows in der ARD nicht zu viel. Es gibt allerdings nur eine begrenzte Anzahl von gesellschaftlichen und politischen Themen, die betalkbar sind. Das Wichtige oder Interessante ist die thematische Facette und die Gästepaarung, und da ist allein mathematisch noch einiges drin. Ich war beispielsweise schon mit Norbert Blüm, Heiner Geißler und Ursula Engelen-Kefer zum Thema Rente in einer Sendung – aber nie mit allen gleichzeitig. Dabei ist Rente das Thema, zu dem ich bisher am häufigsten eingeladen wurde, dicht gefolgt vom Thema Internet. Die Entscheidung, in welche Talkshow ich gehe, hängt vom Thema ab, von den anderen Gästen und natürlich vom Konzept der Show samt Gastgeberin oder Gastgeber. Der Grund, warum ich überhaupt in Talkshows gehe, ist ein solides Sendungsbewusstsein gepaart mit der mild größenwahnsinnigen Annahme, mein Standpunkt bereichere die öffentliche Diskussion. Vermutlich geht es vielen anderen Leuten, die regelmäßig in Talkshows eingeladen werden, ähnlich: Man braucht eine Art Talksendungsbewusstsein.
Klaus Kocks, Kommunikationsberater
Die ARD-Talkshow von Günter Jauch wird ein Flop, denn der Quizmoderator ist im Journalismus, was Wolfgang Joop in der Mode ist: eine für Potsdam wichtige Figur. Ich werde mir seine und die anderen Talkshows ohnehin vorerst nur als Zuschauer ansehen, denn ich lege dieses Jahr ein Talkshowsabbatical ein. Seit dem ersten Januar war ich in keiner Talkshow mehr zu Gast, denn ich war dabei, mich zu vertingeln. Ich war so oft in Talkshows, dass manche Zuschauer das Gefühl bekommen haben, dass ich nach der letzten Ausgabe einfach sitzen geblieben bin. Aber ich bin eben auch deshalb so gerne eingeladen worden, weil ich das kann, was in den Talks gefordert wird: eine nichtaufgeschriebene Dramaturgie intuitiv umzusetzen und zwar in der Weise, wie es sich der jeweilige Moderator wünscht. Schließlich funktioniert eine Talkshow wie ein Drama: sie dient dazu, die Zuschauer zu unterhalten, zu belehren und zu erheben. Alle Gäste sind im Prinzip Schauspieler. Wenn es für die Talkshows einen Oscar geben würden, wäre ich sicher nominiert gewesen. Dass es jetzt fünf Talks pro Woche in der ARD gibt, finde ich gut. Falls es Überschneidungen bei Themen und Gästen gibt, ist das nicht tragisch. Schließlich schauen nicht alle Zuschauer die gleiche Sendung, sondern jeder sucht sich sein Format. Ab Januar werde ich auch wieder als Talkgast dabei sein, ich freu’ mich schon.
Gertrud Höhler, Beraterin von Wirtschaft und Politik
Wenn die fünf Talkshows in der ARD nebeneinander funktionieren sollen, dann müssen die Moderatoren und ihre Redaktionen risikofreudiger werden. Talkshows arten mittlerweile zu Selfpromotionshops von Medienleuten für Medienleute aus. So wie am Mittwoch bei „Anne Will“, wo Schauspielerin Veronica Ferres permanent für ihren neuen Film warb. Wirtschaft und Politik liefern heute die brisanten Streitthemen; also müssten mehr Gäste für die Talkshow aus diesen Machtzirkeln gewonnen werden. Viele Manager aber haben gar keine Lust auf Talkshows, weil sie sich da mehr mit Ressentiments als mit Sachfragen auseinandersetzen müssen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Kartell des Schweigens aufgebrochen wird. Mehr Vertreter aus der Wirtschaft, insbesondere mehr Managerinnen, sollten in die Talkshows gehen – denn wenn sie die Ressentiments nicht infrage stellen, wuchern sie weiter. Wie schon zuvor, entscheide ich auch künftig nach Thema und Gesprächspartnern, in welche Show ich gehe. Wobei mir kleine Kreise mit drei, vier Leuten lieber sind. Bei sechs Gästen hat man nur vier Minuten Redezeit, dafür lohnt sich keine Reise.
Sonja Pohlmann