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Vom Brüll- zum Verbraucherfernsehen: Eine Akte von einem Moderator

Ulrich Meyer arbeitet seit bald 30 Jahren fürs Privatfernsehen. Stets kämpft er für den Verbraucher – und träumt von einer Talkshow.

Ausgerechnet als Schmidt gehen musste, kam Meyer. In seiner letzten Sendung Anfang Mai hatte der Late-Night-Talker den Moderator geladen. Ulrich Meyer ist ohne Schuhe vielleicht nur halb so groß wie Harald Schmidt, er ist kein Witzemacher, er ist ein Kämpfer, einer, der öfter die Stirn hochzieht als die Mundwinkel. Aber er hat Charme, und wenn er nicht moderiert, kann er sogar witzig sein. „Ich bin der, der einfach immer da ist“, sagte er bei Schmidts Abschied von Sat 1. Ulrich Meyer wird bleiben, er ist nur zwei Jahr älter als Harald Schmidt, aber er ist das Urgestein, der Dinosaurier, der Mann für die Millionen. Zwei Millionen Menschen schalten jeden Dienstag ein, wenn es heißt: „Akte 2012 – wir kämpfen für Sie!“

„Wir suchen Themen aus der Mitte der Gesellschaft, aus der Mitte des Lebens und des Alltags, die den Nerv der Zuschauer treffen“, erklärt Ulrich Meyer sein Verbrauchermagazin. Die Themen der letzten Woche lauteten „Vorsicht, welche Coupons keine Schnäppchen sind!“ und „Neuer Handynepp mit Schummel-App!“. Sie klingen wie Schlachtrufe. Ulrich Meyer sagt den Betrügern den Kampf an und kämpft zugleich in einer Reihe mit den Betrogenen. Seit 1992 produziert er mit seiner Firma „Meta-Productions“ Sendungen für Sat 1. Zunächst waren es der Talk „Einspruch!“ und das Krimi-Magazin „Alarm!“, seit 17 Jahren ist es die „Akte“. Er ist viel kritisiert und beschimpft, im Nachhinein aber auch gelobt worden. Mit ihm ist das „Brüllfernsehen“ salonfähig geworden. Selbst bei schlüpfrigen Themen strahlt er eine Ernsthaftigkeit aus, als gelte es, den moralischen Anstand der Gesellschaft zu retten.

Der Moderator sitzt in seinem neuen Berliner Büro in der Stralauer Allee. Anfang April sind er und sein Team hierher gezogen, an die Spree, gegenüber von Osthafen und Treptowers. Schaut er aus dem Fenster, sieht er die MS Hoppetosse und das Badeschiff. Er selbst fühlt sich für diesen coolen Party-Pool nicht mehr in der Zielgruppe. Er weiß aber, dass der schmale Steg, der parallel zum Haus und in der Spree verläuft, früher zum Grenzstreifen gehörte. Das hat ihm erst neulich jemand erzählt. Bis dahin hatte er diesen Steg noch nicht einmal wahrgenommen. Und genau diese Erkenntnis bekräftigt er mit den Worten seiner Frau, der Ex-„taz“Chefredakteurin Georgia Tornow: „Man sieht nur das, was man weiß.“

Ulrich Meyer zitiert seine Frau oft, wie er überhaupt oft zitiert oder lateinische und englische Wendungen benutzt. Er redet viel, sehr ausführlich und präzise. Zu jeder Geschichte, die er erzählt, liefert er auf Anhieb das passende Datum, das Jahr, den Tag. Es war der 2. Januar 1979, als er bei der „Kölnischen Rundschau“ als Volontär anfing. Zuvor hatte er Medizin studiert, eigentlich ein Jugendtraum seiner Mutter. Nach drei Jahren aber, als er einem Frosch mit der Schere den Kopf abschneiden sollte, verließ er im Sturm die Uni. Wie sein Onkel Ulrich, der in Osnabrück bei einer Lokalzeitung arbeitete, wollte er nun Journalist werden. Er erinnert sich noch an sein Glücksgefühl, als er zum ersten Mal das Zimmer des Chefredakteurs betrat. Der fragte ihn: „Wissen Sie, was das Credo des alten Pulitzer war?“ Ulrich Meyer wusste es nicht und dachte: „Das geht ja gut los!“ „Genauigkeit, Genauigkeit, Genauigkeit“, rief der Chefredakteur. Ulrich Meyer hat diese Worte nicht mehr vergessen. „Das Wichtigste, was wir unseren Zuschauern vermitteln müssen, ist Glaubwürdigkeit“, sagt er heute, „sie steht über allem, selbst über der Quote. Und glaubwürdig ist man nur, wenn man absolut korrekt ist – und das auf Dauer.“

Ulrich Meyer ist zweifellos ein korrekter Mensch, und wahrscheinlich ist er es 24 Stunden am Tag. Akkurat obendrein, vom Scheitel bis zur Sohle, nichts verrutscht ihm, weder die Sprache noch die Frisur. Selten gibt er sich zu einem Lächeln hin. Man hat ihn auch schon den „Mann mit der Maske“ genannt. „Das, was wir vermurksen, dafür müssen wir geradestehen“, sagt er. „Für jeden Schriftsatz müssen wir bezahlen.“ Man spürt seinen Ehrgeiz, alles richtig zu machen. Doch statt sofort eine Meinung zu haben, stellt er sich jeden Morgen mindestens fünf Fragen. Heute Morgen hat er sich gefragt: „Wie wird das Wetter am Samstag genau? Was für Erkenntnisse kann man aus den letzten Einschaltquoten ziehen? Wie kann es passieren, dass in Deutschland 600 000 Familien ohne Strom leben? Kann es wirklich sein, dass Romney in den USA Obama den Rang abläuft? Und ab welchem Zeitpunkt kann man einen Börsengang eigentlich als erfolgreich bezeichnen?“ Dass man ihn für streng hält, akzeptiert er, sofern man dieses Strengsein mit seinem Anspruch an die Arbeit verbindet. Aber nicht, wenn man sich darunter einen Kotzbrocken vorstellt, der tobend durch die Redaktionsräume läuft. Seine Assistentin sagt über ihn: „Wenn mein Puls steigt, wird seiner immer niedriger.“ Seit 23 Jahren arbeitet sie an seiner Seite.

2003 war Ulrich Meyer der Gastgeber von zwei Ostalgieshows auf Sat 1. Reaktionsschnell, wortgewandt, heiter. An zwei Samstagabenden bewies er, dass er mehr ist als der „Akte“-Mann. Aber vielleicht ist das sein Fernsehschicksal, weil er der „Akte“-Mann geblieben ist, ist er geblieben. „Ich würde gern noch einmal eine Talkshow machen“, sagt er jetzt, „das wäre mein Traum. Ich halte mich für einen, der sehr gut Gespräche führen und zusammenbinden, ermüdende Momente überbrücken kann. Allerdings ist es wohl zu spät, im Privatfernsehen gibt es mit 56 Jahren keinen Neustart.“

Was ist Erfolg? Ulrich Meyer versucht es mit Carl Zuckmayer: „Es ist Talent, es ist Glück, es ist Arbeit und im Regelfall ein Missverständnis.“ Das lag für ihn zunächst vor, als er 1985 die „Kölnische Rundschau“ verließ und beim Privatsender RTL einstieg. Dort ging es chaotisch zu, aber Ulrich Meyer gefiel es trotzdem in Luxemburg. Er traf auf Hans Meiser, einen, wie er sagt „schmalen Hering, der Kette rauchte und wie ein Wasserfall redete“. Dabei schmunzelt Ulrich Meyer doch einmal kurz; er weiß, dass der Wasserfall ihn inzwischen selbst erreicht hat. Am Anfang schrieb er die Texte, die Hans Meiser vortrug. Als eine Sondersendung zum Thema 30 Jahre Bundeswehr stattfand, bot man ihm plötzlich die Moderation an. Das war sein Startschuss und ein Thema, mit dem er sich auskannte: Er selbst war als junger Mann Gebirgsjäger im Mittenwald gewesen, ist aus Hubschraubern in Wäldern, auf Fels und im Schnee abgesprungen. Weshalb? „Mein Vater ging in den Krieg, als er 19 war, und kam zurück, da war er 29“, erzählt er, „und ich habe mich immer gefragt, wie das System aus Befehl und Gehorsam funktioniert: ,Sie! Ausführen! Jetzt!’ Warum macht man so etwas mit?“

Seit dieser Sendung vor bald 30 Jahren moderiert Ulrich Meyer im Privatfernsehen. Er sagt: „Das Chaos ist ersetzt durch Stetigkeit.“ Er bezeichnet sich als eine „treue Seele“. Seit 1995 ist er mit seiner Frau verheiratet, noch länger wohnt er in Berlin, auch der Bundeswehr ist er nach wie vor verbunden. Als Oberstleutnant der Reserve ist er bis 2007 in Uniform zu Übungen in die Havellandkaserne nach Potsdam gefahren. Bis er 60 ist, wird er Reservist bleiben. Über seine Zeit bei der Bundeswehr wird er heute Abend bei Günther Jauch sprechen, er wird dort die positive Stimme sein. Am Anfang hatte er erst vor zehn, später dann vor 1000 Soldaten gestanden. Die Erfahrung, „den Untergebenen Ziele zu setzen, diese Ziele vorzuleben und dann ein Ergebnis zu erreichen, auf das alle stolz sind“, war wie ein Kick für ihn. Man kann darin eine frühe Unternehmereigenschaft sehen. Ulrich Meyer – der Teamleader, der auch Teamplayer sein will. Im April feierte man ihn mit einer großen Party: „20 Jahre Ulrich Meyer bei Sat 1“. Der Glückwunsch von Harald Schmidt wurde per Bildschirm übermittelt. Er fasste sich kurz: „Respekt.“

Katja Hübner

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