"Der Rassist in uns": Ein Experiment soll belegen: Der Hang zur Diskriminierung steckt in jedem
Deine blauen Augen...: Ein TV-Workshop vermittelt Teilnehmern die Erfahrungen von Minderheiten. Dafür lässt ein Trainer zwei Testgruppen aufeinander losgehen.
Laut einer aktuellen Studie ist jeder vierte Deutsche ausländerfeindlich. Sie etwa nicht? Vielleicht sind Sie nur noch nicht in Versuchung gebracht worden. Konkret: in einen Selbstversuch, der den Rassisten in uns allen herauskehren könnte (auch ein interessanter Film zum Thema von Mo Asumang). Oder zumindest den schweigenden Zeugen, den passiven Zuschauer einer Diskriminierung. Vorurteile und Gemeinheit schlummern in jedem Menschen. Das sagt zumindest ZDFneo und bringt dafür, mitten im lauen Sommerfernsehprogramm, ein Psycho-Experiment ins Fernsehen, das für Diskussionsstoff sorgen dürfte.
„Sie werden erleben, wie schnell ein Mensch zum Opfer, aber auch zum Täter werden kann“, kündigt Moderator Amiaz Habtu den Zuschauern am Anfang der Sendung „Der Rassist in uns“ vollmundig an. 39 Männer und Frauen haben sich zu einem sogenannten „Workshop“ bereit erklärt, ohne genau zu wissen, was auf sie zukommt. In einer Halle empfängt sie ein Mann, der aussieht wie ein Versicherungsvertreter und ein sonderbares Verhalten an den Tag legt. Es handelt sich um Anti-Rassismus-Trainer Jürgen Schlicher, der sein Handwerk bei der US-Lehrerin Jane Elliott gelernt hat. Deren Idee stammt aus den 60er Jahren: Ein Workshop, der den Teilnehmern unter deren eigener Mitwirkung anschaulich die Lebenserfahrungen von diskriminierten Minderheiten wie „People of Colour“, Behinderten, Homosexuellen, Migranten und anderen benachteiligten Gruppen vermittelt. Elliotts Credo: „Damit Rassismus funktioniert, reicht es für die braven Leute aus, nichts zu tun.“
ZDFneo recycelt das Experiment. Schlicher trennt die Probanden in zwei Gruppen. Die Braunäugigen werden am Einlass herzlich empfangen und mit Essen versorgt. Die Blauäugigen aus der Warteschlange erleben Schlicher von seiner miesen Seite. Schlicher, groß, Bürstenschnitt, dunkler Anzug, ist zu ihnen herablassend. Er schnauzt sie an. „Können Sie überhaupt lesen?“, fragt er einen älteren Mann. „Hast du einen Tick, der dich zwingt, immer blöd zu grinsen?“, muss sich eine junge Frau anhören. Danach werden die Blauäugigen von Security-Leuten wie Schlachtvieh abgeführt. Einschreiten tut in der Schlange niemand. Zum schweigenden Zeugen ist es nicht weit.
Sozialpsychologin Juliane Degner kommentiert das Geschehen auf dem Videomonitor. Man kennt das aus den Doku-Soaps der Privaten. „Man kann sehr oft fehlendes Hilfeverhalten damit erklären, dass Leute erschließen: ,Es ist schon okay so. Hier passiert gar nichts Schlimmes. Das sind Teenager, die miteinander streiten. Wenn da was Schlimmes passieren würde, würde jemand was machen.’“
Oder auch nicht. In der Folge des TV-Experiments werden den gehätschelten Braunäugigen Vorurteile eingeimpft. Plakate wie „Blauäugige neigen verstärkt zur Kriminalität“ wirken auf sie ein. Trainer Schlicher hetzt dazu: „Ihr werdet in dem Test gut abschneiden, weil Ihr intelligenter seid, weil Ihr schlauer seid, weil Ihr interessierter seid.“ Und so fort. Das Prinzip wirkt über 75 Minuten etwas ermüdend, gerade oder weil sich das Erwartete einstellt. In drei Stunden wirkt das Gift, das der Trainer seinen „Workshop-Teilnehmern“ verabreicht hat. Als er eine blauäugige Frau auf ihr Wissen testet und in die Menge der Privilegierten fragt: „Wer möchte, dass sie dorthin zurückgeht, wo sie hergekommen ist?“, recken viele ihre Arme hoch.
ZDFneo nennt die Sendung ein „Social-Factual-Format“ und tut gut daran, bei dem Format nachzuarbeiten. Nicht erst bei der Auswertung am Schluss erinnert das Ganze an Schulunterricht. Immerhin, die Sendung zeigt die Mechanismen, wie Menschen Leute mit einem bestimmten Merkmal, seien es Zuwanderer oder andere Gruppen, ausgrenzen, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Dass ein homosexueller Fußballspieler in seiner Amateurmannschaft nach seinem Outing von seinen Mitspielern fortan alleine in die Dusche geschickt wird, wie ein Teilnehmer erzählt, mitten in Deutschland, ist schon ein starkes Stück.
„Der Rassist in uns“, Donnerstag, ZDFneo, 22 Uhr 15
Markus Ehrenberg
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