Nachruf auf Udo Reiter: Ehemaliger MDR-Intendant war Macher und Intellektueller
Mit Udo Reiter verabschiedete sich der letzte Große einer Intendantengeneration um Thomas Gruber, Fritz Pleitgen, Jobst Plog oder Peter Voß. Er war ein Journalist vom Wesen und von der Ausbildung her.
Udo Reiter ist tot. Der ehemalige Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) wurde am Freitag auf der Terrasse seines Hauses in Gotttscheina erschossen aufgefunden. Nach Polizeiangaben vom Freitag nahm sich der 70-Jährige das Leben. Er hatte immer wieder für ein Recht auf selbstbestimmtes Leben plädiert.
Udo Reiter war Gründungsintendant der Dreiländeranstalt für Sachsen, Sachsen–Anhalt und Thüringen. Der MDR-Rundfunkrat wählte den Bayer einstimmig am 1. Juli 1991. Der große Rückhalt sollte Wíederwahl für Wiederwahl andauern, nach 20 Jahren kündigte der dienstälteste Senderchef im ARD-Verbund im Mai 2011 seinen Abschied an. Gedrängt worden war er nicht, Reiter wollte nach 20 Jahren an der MDR-Spitze aus eigenen Stücken gehen. Er sei im März 67 Jahre alt geworden, er lebe seit 45 Jahren im Rollstuhl. „Das hat einige gesundheitliche Spuren hinterlassen“, sagte der gebürtige Lindauer. Also ging er, um „nicht als letzter Dinosaurier die ARD-Landschaf zu bereichern“.
Eigentlich wollte Reiter Pilot werden
Mit Udo Reiter verabschiedete sich der letzte Große einer Intendantengeneration um Thomas Gruber, Fritz Pleitgen, Jobst Plog oder Peter Voß. Er war ein Journalist vom Wesen und von der Ausbildung her, beim Hörfunk beim Bayerischen Rundfunk hat er gelernt, über die verschiedenen Karrierestufen – Leiter des Familienfunks, der Hauptabteilung Politik und Wirtschaft, Chefredakteur und Thomas-Gottschalk-Entdecker – wurde er 1986 Hörfunkdirektor in München. Ein Journalist, ja, Macher, ja, ein Intellektueller, ja, einer, der nicht nur im Programm-Management seine Befriedigung fand. Nach einem Studium in München und Berlin promovierte Reiter zum Dr. Phil. mit einer Arbeit über den Lyriker Jakob van Hoddis. Da hatte der Sohn eines Flugzeugmechanikermeisters seinen ursprünglichen Berufswunsch – Pilot nämlich – längst hinter sich gelassen.
Auch hinter sich lassen müssen. Ein schwerer Verkehrsunfall zwang ihn 1966 in den Rollstuhl. Das trieb ihn in eine Lebenskrise, der er sich mit Selbstbehauptungswillen, Verstand, Studium, Journalismus – und einer selbstironischen Grundierung. „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“, hat er seine 2013 erschienene Autobiographie überschrieben. Udo Reiter war und hatte sich schon in die Gesellschaft inkludiert, als die Gesellschaft den Begriff der Inklusion noch gar nicht kannte.
Beim Fall der Mauer im November 1989 war Udo Reiter schon drei Jahre Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks. Reiter sah den Mantel der Geschichte wehen. Zwar stand er den Granden der CSU unterschiedlich fern, aber als Feind der selbsternannten „bayerischen Staatspartei“ war Reiter nicht verhaltensauffällig geworden. Und dann war da noch Kurt Biedenkopf, erster Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Der CDU-Politiker war die treibende Kraft hinter dem wegweisenden Gedanken, zusammen mit Sachsen-Anhalt und Thüringen die von den Nazis demontierte Mitteldeutsche Rundfunk AG wiederleben zu lassen. Kurt Biedenkopf setzte auf Udo Reiter.
Der MDR brachte eine neue „Tatort“-Farbe
Der kam nach Leipzig, sah und machte sich an die Arbeit. Nicht als Invasor aus dem Westen, sondern als Aufbauhelfer, durchdrungen von der Aufgabe, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Osten zu etablieren. Mit Hörfunk und Fernsehen, die in den Irrungen und Wirrungen des immensen gesellchaftlichen Umbruchs Heimat bieten wollte. Daraus wurde eine Melange aus „Polizeiruf 110“, Lebensberatung, Schunkel. Wenn der Begriff „Ostalgie“ seine Berechtigung hatte, dann im MDR. Und aus der Ostalgie erwuchs eine selbstbewusste Ostidentität. Es hagelte Häme, aber Reiter war keiner, der gegen das Publikum und seine erkannten Bedürfnisse ansenden wollte. Bis heute ist das MDR-Fernsehen das erfolgreichste Dritte.
Der Aufbau der Dreiländeranstalt ging zügig voran, Udo Reiter schwärmte oft und gerne von dieser kräftezehrenden wie erfüllenden Zeit, als Entscheidungen über den Flur hinweg getroffen wurden. Der MDR brachte nicht nur eine neue „Tatort“-Farbe und reflektierte Fernsehstücke zu DDR- und Wendemomenten ein, nein, der Sender war finanzkräftig genug geworden, in den ARD-Finanzausgleich einzuzahlen. Der Soli in die Gegenrichtung, was für eine Genugtuung.
"Früher war ich geachtetes Mitglied der Münchner Bussi-Gesellschaft"
Bei all dem Umbruch, all dem Aufbruch gab es auch Abbruch. Der MDR kam wieder und wieder in die Negativschlagzeilen: eine gefloppte Ecuador-Anleihe. Lascher Umgang mit Stasi-verstrickten Mitarbeitern, Schmiergeldaffären um Sportchef Wilfried Mohren und Unterhaltungschef Udo Foht, schließlich die unerhörte, weil jahrelang unerkannte Millionenbetrug beim Kinderkanal in Erfurt. Udo Reiter regierte nicht nur den MDR, er dirigierte auch einen „Skandalstadl“. Mit stoischer Nonchalance attestierte er, dass „das Einrichten von Controlling-Planstellen in den stürmischen Anfangsjahren nicht immer im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit stand“. Nicht alle, noch nicht mal alle im Udo-Reiter-Fanzirkel, wollten das so gelassen sehen. Udo Reiter hat später einmal in einem Tagesspiegel-Interview gesagt, er habe sich in seiner Zeit in Ostdeutschland „sicher verändert. Früher war ich geachtetes Mitglied der Münchner Bussi-Gesellschaft. Das ist mir später immer fremder geworden“. Der Mann, der aus dem Westen kam, war im Osten angekommen.
Joachim Huber
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