Olli Dittrich als Beckenbauer-Doppelgänger: Double mit Double
Es begann als Running Gag bei der WM 2006, bei der Franz Beckenbauer scheinbar weltweit gleichzeitig im Einsatz war. Olli Dittrich enthüllt, wie Beckenbauers Doppelgänger – und wie Enthüllungsfernsehen arbeitet.
Hans-Georg Aigner, genannt Schorsch, ist müde. „Mit dem Marokkaner aufm Kamel reiten und morgen mit dem Koreaner Suppe essen oder sonst was“, sagt er versonnen. „Irgendwann ist einmal gut.“ 50 Jahre lang hat er als Double von Franz Beckenbauer Dienst geschoben, angefangen bei der Aufnahme des legendären Suppen-Spots („Schmeckt prima“), für die er 250 D-Mark erhalten habe. Aigner sitzt auf einem hellroten Sofa in seinem schmucken Haus am Tegernsee – in der Ecke ein hübscher Kachelofen, an der Wand ist ein Geweih zu erkennen – und erinnert sich. 1964 oder ’65 müsse das gewesen sein, als es in seiner Hecke geraschelt habe, sagt er, und Dr. Robert Schwan, Beckenbauers Manager, mit einem höflichen „Entschuldigung“ hervorgetreten sei. So fing alles an.
Dass Beckenbauer ein Double haben müsse, das war spätestens im Jahr 2005 ein Running Gag. Da jettete der Fußball-Kaiser rund um den Globus, um bei seiner „Welcome Tour“ gleich die ganze Welt zur WM 2006 in Deutschland einzuladen. Und tatsächlich gibt es ein Interview im ARD-Archiv, bei dem Beckenbauer Gerhard Delling und Günter Netzer versichert: „Jaja, das war ich schon, das war kein Double.“ Olli Dittrich, der schon bei „RTL Samstag Nacht“ mit Beckenbauer-Parodien erfreute, hat also den Ball nur aufgenommen. Und, man muss sagen: Den Elfmeter hat er verwandelt. Nach „Frühstücksfernsehen“ und „Das Talk Gespräch“ bittet er mit „Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbauer war“ zur dritten Runde in seinem „Zyklus“ aus Fernseh-Persiflagen.
Dieser Schorsch Aigner ist nicht einfach eine weitere Beckenbauer-Parodie von Dittrich, sondern eine eigenständige Figur: nicht so weltmännisch und leutselig wie der Kaiser, ein biederer Kleinbürger und braver Ehemann, der mit Gattin Elfriede Arm in Arm am Fluss spazieren geht, der sich aber in 50-jähriger Tätigkeit als Double selbst auch ein bisschen in Beckenbauer verwandelt hat. Aber wirkt das Weltmännische bei Beckenbauer nicht auch bloß gespielt?
Wüsste man nicht, dass es sich um eine Fiktion handelt, man möchte diesen Schorsch Aigner am Ende für echter halten als die öffentliche „Lichtgestalt“ Franz Beckenbauer, die hier in allerlei Archivschnipseln zu sehen ist. Dittrich konfrontiert das Publikum spielerisch mit der Frage, was die Inszenierung der Medien eigentlich mit der Wirklichkeit zu tun hat.
Der Film ist selbst ein Double anderer TV-Beiträge
Genau und gekonnt legt er die Arbeitsweise des Fernsehens bloß. Das beginnt mit einem Vorspann, der den Film als Einzelstück in der fiktiven TV-Reihe „Historystory“ ausweist. Tatsächlich ist der „Schorsch Aigner“-Film vielen Beiträgen der formatierten Fernsehwelt zum Verwechseln ähnlich – und mithin selbst ein Double. Das großspurige Selbstlob im Kommentar („Am Ende dieser langen Recherche“), die nichtssagenden Floskeln („ein Suppen-Spot, der sein ganzes Leben verändern sollte“), die investigativ wackelnde Kamera, die gefühlig-aufdringliche Musik – all das kennt man zur Genüge aus dem vermeintlichen Enthüllungsfernsehen.
Filmische Fundstücke werden zu Indizienketten für die Double-Theorie konstruiert. Die Beglaubigung erfolgt durch prominente „Mitspieler“: Dieter Kürten, Ralph Siegel, Jörg Wontorra, Guido Buchwald, Anthony Baffoe, Uwe Seeler. Schorsch Aigner gibt dann im Interview am gemütlich gedeckten Kaffeetisch seine Version zum Besten. Oder er schreitet über den Rasen vor seinem Haus und demonstriert stolz, wie er Beckenbauer nach dem WM-Finale 1990 in Rom doubelte, anknüpfend „an die großen Gänge der Geschichte“. Beckenbauer selbst war damals übrigens verhindert, weil er zur Toilette musste. Eigentlich bleibt nicht viel übrig vom echten Kaiser, wenn man bedenkt, wie oft Aigner als Double einsprang.
Aber für Beckenbauer geht die Sache insgesamt gut aus. Der vielfach kritisierte Satz nach Beckenbauers Katar-Reise („Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen“) erweist sich als ein von Schorsch Aigner falsch abgelesener, handschriftlicher Satz auf einem gefaxten Briefing. Demnach sollte er eigentlich sagen: „Ich hab in Katar noch nie einen schlafen gesehen.“ So in dem Sinne: „Dass die fleißig sind. Der Afrikaner, der baut gerne“, schiebt Aigner nach. Er sagt wirklich: „Der Afrikaner.“
Das wäre dem echten Franz, den der WDR übrigens vergeblich um Mitwirkung bat, sicher nicht passiert.
„Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbauer war“; ARD, am Donnerstag um 23 Uhr 30