Verbrechen in Ost und West: Doppelt hält schwächer
Erst in Leipzig, dann in Köln: Ein „Tatort“ in zwei Teilen ist ein Krimi zu viel.
Die Hauptbeschäftigung des Ostersonntagvormittags und die eines Kriminalisten fallen zusammen. Es wird gefahndet. Vielleicht auch deshalb waren die ARD-Verantwortlichen der Ansicht, dass nichts so gut zu Ostern passt wie ein Krimi, nein, gleich zwei Krimis, zwei mal „Tatort“, nacheinander, jeder doppelt besetzt. Wenn durchschnittlich 8,5 Millionen zuschauen, müssten es dann beim Doppel-Whopper nicht doppelt so viele sein? Und man könnte einen Fall über zwei Folgen verfolgen … Aber ist das dann mehr Krimi oder eher weniger?
Früher sprach man von Kommissaren, doch das klingt streng, heute heißt es „Ermittlerduo“. Und „geballte Tatort-Power“ (ARD-Programmdirektor Volker Herres). Also: Ermittlerduo Köln trifft das Leipziger; Ballauf/Schenk begegnen Saalfeld/Keppler; Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Simone Thomalla und Martin Wuttke proben die Zusammenarbeit.
Bereits im allerersten „Tatort“ vor 42 Jahren fuhr der Hamburger Hauptkommissar Trimmel mit dem „Taxi nach Leipzig“, über System-, Staats- und Bewusstseinsgrenzen hinweg, um den Mord an einem Jungen aus der DDR aufzuklären. Einziger Anhaltspunkt: Er trug Westschuhe. Er allein?
42 Jahre später überlegen zwei Kölner, ob sie nicht mal nach Leipzig fahren sollten, einfach in Schenks Auto. Und wenn er selber fährt, macht das vier Stunden noch was, höchstens, ganz privat, ganz und gar nicht privat. Eine 15-Jährige wurde tot aus dem Rhein geborgen, sie war in Leipzig mehrfach wegen Prostitution aufgegriffen worden. Eigentlich müssten sie jetzt einen Antrag zur Ermittlung auf Fremdterritorium stellen, aber wie viele tote Mädchen würden im Rhein liegen, bis er genehmigt wäre?
Und dann sieht, schon kurz nach ihrer Ankunft, der vorsätzliche Sachsen-Tourist Ballauf-Behrendt ziemlich beschädigt aus. Und Keppler-Wuttke hat gar eine blutende Nase. Weil Keppler Ballauf verhaften wollte, vom Fleck weg, nein vom Strich weg, vom Leipziger Babystrich. Doch der Kölner fand noch Gelegenheit, seine Dienstwaffe niederzulegen, sogar seinen Ausweis zu zeigen, aber das machte, fand Keppler-Wuttke, alles noch viel schlimmer, denn was soll ein Polizist, der hier gestellt wird, anderes sagen, als dass er im Dienst sei? Keppler und Ballauf, das sind die beiden Rauhen, die beiden Reizbaren mit der Dornröschen-Hecke um ihr rührbares Kriminalistenherz. So ist es doch gemeint?
Und jetzt reicht’s: Wahrscheinlich gibt es zwei Arten von „Tatort“-Zuschauern. Die einen, die nur das hören und sehen, was zu hören und zu sehen ist, und die anderen, die in jedem Augenblick auch noch die Stimmen der unablässig am Figurenprofil arbeitenden Redakteure zu hören meinen. Und die sind diesmal besonders laut: Wie stellen wir ein kantenloses Stück Fernsehen nicht ohne Kanten her? Anstößig müssen wir sein, doch ohne Anstoß zu erregen! Und wohlfühlen soll sich der Zuschauer. 2+2, das bedeutet auch die doppelte Portion des üblichen halbwitzigen Kriminalistensmalltalks suggerierend: Das sind Menschen wie ihr, unfassbar alltäglich in der Unalltäglichkeit ihres Berufs.
Es gibt für alles Grenzen, stattdessen verdoppeln sich die Zumutungen. Es ist eine ganz eigene Art von Verrat an diesem schwersten aller Themen: Kinder, die lieber auf der Straße leben als zu Hause, die sich lieber verkaufen, als ihre Eltern um etwas zu bitten. Doch etwas sträubt sich, sich anhand dieses durchkalkulierten TV-Produkts tiefer darauf einzulassen. Die Verhärtung wächst. Kerstin Decker
„Tatort: Kinderland“, Ostersonntag, ARD, 20 Uhr 15; „Tatort: „Ihr Kinderlein kommet“, Ostermontag, ARD, um 20 Uhr 15