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Möglichst sicher, angemessen und quellenfest. Am Live-Blog des Ukraine-Magazins sitzen derzeit 21 Journalisten aus der Kriegsregion.
© Tsp

Der Invasion in der Ukraine und die Medien: Die Wurfmaschine

„Das Team ist sehr neu und wild.“ Wie das Magazin „Katapult“ aus Greifswald ukrainischen Journalisten hilft.

Russische Zensur, Youtube-Sperren gegen Staatsmedien, die die Invasion in der Ukraine leugnen, EU-Verbot der Sender RT.de und Sputnik – der Ukraine-Krieg hat auch die Medienwelt verändert. Die Frage, ob und wie eigentlich ukrainische Journalisten ihre Arbeit fortsetzen können, wird derzeit auch in Greifswald beantwortet, beim Magazin „Katapult“.

Dort hat Chefredakteur Benjamin Fredrich eine der größten Erfolgsgeschichten auf dem deutschen Printmarkt der vergangenen sechs Jahre hingelegt, von Null in 2016 auf eine Auflage von 150 000. Aber erst in diesen Tagen ist das „Magazin für Kartografik und Sozialwissenschaften“ in aller Munde. Es hat sich im Ukraine-Krieg von Anfang an engagiert und die Zusammenarbeit mit Journalisten aus der Region stark ausgebaut.

Mit Ausbruch des Krieges am 24. Februar hat „Katapult“ 20 ukrainische Journalisten und Journalistinnen eingestellt, wobei die meisten immer noch in der Ukraine verbleiben. Mittlerweile sind es 21, erzählt Fredrich. „Wir stellen sie ein, wenn sie journalistische Erfahrung haben oder uns organisatorisch helfen können und unter den Bedingungen, dass sie sich an unser Leitbild halten.“

Dazu zählen die Punkte Sicherheit (das Risiko, aus einem Kriegsgebiet zu berichten, darf nicht unnötig erhöht werden), Angemessenheit („Wir stellen die Sachen so dar, wie sie sind. Eine Übertreibung würde der Aufklärung schaden.“) oder auch der Punkt „Quellen“ (jede Information muss eine Quelle haben und überprüft werden). Das klappe ganz gut, so Fredrich, „Katapult“ habe aber auch ab und zu damit zu tun, auf diese Werte hinzuweisen. „Das Team ist sehr neu und wild.“

Nicht alle der Journalisten aus der Ukraine sind fertig ausgebildete Reporter, mit dabei auch Fotografen und ein Buchautor. Sie arbeiten in Kiew, Charkiv und anderen Städten. Manche berichten noch auf der Flucht in den Westen. Drei Journalisten arbeiten momentan in der „Katapult“-Redaktion in Greifswald. Es sollen mehr werden.

Wie kauft man ein? Wie finden Beerdigungen statt?

Produziert wird online eine Art Ukraine-Magazin, ein Online-Feed, der später, wenn sich alles eingespielt hat, auch gedruckt werden soll. Inhaltlich beschränkt sich das bislang auf einen Live-Ukraine-Blog auf Deutsch, der mit social-media-tauglichen Karten und Infografiken gespickt ist. Bald sollen die Nachrichten auch auf Ukrainisch und Russisch angeboten werden.

Und was sind die Themen? „Da war ich selbst gespannt“, sagt Fredrich dem Tagesspiegel. „Wir bekommen viele Artikel über Attacken der russischen Armee rein, auch über das Alltagsleben im Kriegsgebiet. Wie kauft man ein? Wie finden Beerdigungen statt? Wie wurde der Schulunterricht umgestellt?“.

Im Live-Blog stand am Samstag ein Tweet des Leiters der russischen Raumfahrtorganisation Roskosmos, Dmitri Olegowitsch Rogosin, zur so genannten „Entnazifizierung der Ukraine“ oben.

Die Aufmerksamkeit für diese Initiative kam auch dem gedruckten, vierteljährlich erscheinenden „Katapult“-Magazin zugute. Die Reichweite hat sich seit dem Krieg, so Fredrich, grob geschätzt verfünffacht, bei Twitter eher verzehnfacht. „Das liegt daran, dass wir rund um die Uhr arbeiten und sehr aktiv in den sozialen Medien sind.“

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Die Unterstützung für das Projekt sei extrem groß. „Wir können schon jetzt einen großen Teil der neuen Redaktion über die neuen Ukraine-Abos finanzieren. Gleichzeitig bekommen wir Hilfsangebote, technische Geräte, Spenden oder Möbel.“ Was nicht genug hervor gehoben werden kann: Ein Teil der ursprünglich 50-köpfigen „Katapult“-Redaktion verzichtet auf 50 Prozent des eigenen Gehalts, um das Ukraine-Projekt möglich zu machen.

Seinen so erfolgreichen Job beim Ukraine-Magazin möchte Fredrich gar nicht unbedingt behalten. „Derzeit bin ich der Chefredakteur, aber ich will es schnellstmöglich an eine Ukrainerin abgeben. Die, die auf dem Weg zu uns ist, hätte das Zeug dazu, weil Sie etwas mehr Erfahrung hat und für größere internationale Medien gearbeitet hat.“

Aber erst einmal steht die Frage nach dem Kriegsverlauf, der Stimmung im Vordergrund. Das ginge „von komplett depressiv, mit dem Hinweis, dass man heute dreimal in den Schutzbunker musste, bis zu einigermaßen gelassen, weil man in Greifswald oder im Westen der Ukraine ist oder ein stabiles Gemüt hat.“ Am besten wäre es natürlich, wenn Fredrichs neue Kollegen sehr bald nichts Bedrängendes mehr aus der Region schreiben müssten.

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