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Klassiker: Die wirkliche Wahrheit über 3HfA

Wiedersehen macht Freude: Wie der Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ in die ARD kam – ohne Karel Gott.

Der Januar 1975 lag mit fünf Grad deutlich über Durchschnitt. Der verdrießlichen Stimmung in Prag half das nicht viel. Der Toast nach „Art des Teufels“ in der „Goldenen Birne“ hinter dem Hradschin war zäh, die Führung in der tschechischen Burg verriet aber noch ganz andere Ideale. Die Sozialistische Republik an der Moldau schien alle Kräfte zu mobilisieren, um endlich herauszubekommen, ob nun der Regisseur Jindrich Polak ein geheimes Devisenkonto bei seinen Pan-Tau-Reisen zum WDR in Köln angelegt hatte – oder nicht.

Dann wurde es zu viel. Ich sagte aus. „Ja, natürlich. Der Herr Polak ist bei jeder Dienstreise in Köln nach Luxusgütern unterwegs und fällt einen vollen Tag für die Dramaturgie aus. Stattdessen kauft er nach einer Liste für sein Team Medikamente, die es in Prag nur für die Nomenklatura gibt. Und Schrauben und Düsen und Autokerzen der Modelle Fiat und Opel aus den 30er Jahren zum Erhalt der Mobilität im Sozialismus.“ Der Aushorchspezialist, als Filmfachmann getarnt im Büro Internationale TV-Verbindungen, verschluckte sich an seinem Pilsner in der Bierstube des technisch verwanzten Hotels „Alcorn“ in der Stepanska – oben am Wenzelsplatz rechts. Er gehört nun wie Hotel und Bierstube und wie so manches andere der Geschichte an.

Ralf Faust und Eugen Schaarschmidt waren mit ihrer Münchner cine aktuell solide Handwerker des kleinteiligen Filmkaufs. Sie halfen, neben Spielfilmen der viel gerühmten Prager Epoche des Kinderkinos, einem kleinen Maulwurf von der Leinwand ins Fernsehen, letztlich auch in die „Sendung mit der Maus“. Also, diese Herren lagen mir an jenem Januartag 1975 damit in den Ohren, dass Vaclav Vorlicek einen neuen Film gedreht hätte – und wir könnten ja auch noch später essen und ja, sie wüßten auch, dass die Spartakiade in dem Sportfilm wohl nichts für das Kinderfernsehen West sei. Aber, es gebe nur heute die Arbeitskopie eines Aschenbrödel-Films. Die tschechische Version des Märchens, ungemischt noch, nur mit der grob angelegten Musik, aber meine Fantasie hätten sie doch immer schon bewundert – und so ging es wie im internationalen Verkaufsgeschäft üblich noch eine ganze Weile weiter. Niemand ahnte, dass dieser Film später in Prag zum besten Märchenfilm des 20. Jahrhunderts gewählt werden sollte.

So kam es, dass an einem mürrischen Januarabend in dem 32 Grad heißen Vorführraum in der Alphapassage am Wenzelsplatz, wo überdies mal wieder der Fahrstuhl versagte und wir unters Dach zu klettern hatten, jenes kleine Filmwunder abgespult wurde, das es zum meist aufgeführten Fernsehmärchen der ARD bringen sollte: „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. In der Sprache seiner Fans 3HfA. Unter dieser kryptischen Bezeichnung ist bis heute im Internet seine Filmografie zu finden. Hinweise auf Drehplätze, das Schicksal der Darsteller, kleine Schummeleien beim Dreh sind penibel festgehalten. Dass Schauspieler Mensik zum Kutscher Vinek wurde, gehört zum Grundwissen. Und wer „Drei Nüsse“ statt „Drei Haselnüsse“ sagt, der wird mit Verachtung gestraft. So fehlt schließlich auch nicht eine nachhaltige Kritik am WDR-Redakteur, dem unschuldigen Käufer jenes Films, der sich am Gefühlshaushalt von Millionen Kindern, speziell Mädchen, versündigt hätte...

Wie nun das? Der Film wurde damals sogleich optiert, also für den WDR festgeschrieben – und das vor seiner Fertigstellung. Frohgemut sah ich der technischen und redaktionellen Endabnahme irgendwann im Spätsommer in Köln entgegen. Aber dann gab es einen neuen Zwischenfall an der Mauer in Berlin. Ein Junge war ertrunken vor den Augen eines fassungslosen Publikums. Ihm hatte niemand helfen dürfen. Deswegen und auch nach anderen dramatischen Vorkommnissen wollte die ARD zunächst einmal keine Alltagsgeschäfte über die Mauer hinweg machen. 3HfA hatte seine – übrigens sehr schöne – deutsche Fassung in der DDR erhalten. Die aber war nun mal notwendig.

Über einen Vertragsabschluss in der Schweiz, quasi als ideologischer Bypass, konnte Aschenbrödel dann doch den Boden der Bundesrepublik betreten. Als der Film in Farbe und mit üppig besetztem Filmorchester im WDR abgenommen wurde, da ertönte plötzlich die Stimme von Karel Gott über dem Vorspann mit einem Aschenbrödel-Lied. Ja, der weltberühmte Karel, die goldene Stimme aus Prag. Es war so, als würde über eine schöne Torte gleichzeitig Buttercreme und Sahne gegossen – gekrönt mit einem Baiser. Ich vermied es, in die Augen der Kolleginnen zu sehen. Aber der Film veränderte sich und wurde aus einem Kunst- zu einem Zuckerwerk.

Dabei hatte der gute Karel nur das gemacht, was er seit „Doktor Schiwago“ („Weißt du wohin...“) bestens konnte und später bei der „Biene Maja“ im ZDF perfektionierte. Allerdings lud die Serie der Maja zu einem Kinderschlager ein, Aschenbrödel doch weniger.

Ich ließ den Vorspann, nach einem Gespräch mit Regisseur Vorlicek, neu mischen, eben ohne den Schlager von Karel Gott, und sah in aller Ruhe dem unvermeidlichem Gespräch mit dem Komponisten Svoboda entgegen.

Das dauerte ein gewisse Weile. Aber bei der Einspielung für die Serie „Die Besucher“ zeigte Karel Svoboda auf eine leere Stelle an seiner Wand der Goldenen Schallplatten. „Du weißt“, sagte er, „was da fehlt.“ Ja, ich wusste es. Aber ich war nun mal kein Schlagerproduzent und im Kinderfernsehen mehr auf neue Sachlichkeit aus denn auf den ohnehin landauf, landab gebotenen Gemütszirkus. Und dem Film 3HfA fehlte nun aber auch gar nichts. Bei der Gelegenheit sah ich die Pistole am Gürtel von Karel Svoboda. „Empfehlung der Polizei. Wir haben hier in Prag die Tschetschenen-Mafia. Bei Gefahr ein Schuss auf den Mann, dann Warnschuss in die Luft.“ Es war die Pistole, mit der sich Karel Svoboda am 28. Januar 2007 im Garten seines Hauses in Jevany bei Prag erschießen sollte.

Auf den prominenten und gebildeten Seiten im Internet, die alle Einzelheiten zu Musik, Schauspielern und Dreh- und Sendeplätzen von 3HfA festhalten, bin ich bis heute der Buhmann. „Ein erwachsener Mann entscheidet über den Mädchenfilm“, heißt es da, geradeso, als wären Regisseur und Komponist verkleidet und in Wirklichkeit Girls. „Und wer weiß, wie sich unsere Gefühle entwickelt hätten, wenn an strategischen (!) Stellen im Film dieses Lied gekommen wäre.“

Vor einigen Jahren war ich im Sauerland auf der Burg Bilstein. Es war ein Wochenende im Winter. Aus dem Burgsaal drang eine bekannte Musik zu unserem Hirschgulasch vor. „Ja, der AschenbrödelBall“, sagte die Bedienung verzückt. Später sah ich durch die Saaltür. Da waren sie alle – Prinzen, Könige, mehrere Aschenbrödel und die Filmmusik. Ohne Karel Gott. Der Club 3HfA feierte die Aschenbrödel-Schuh-Gala. Zum Film wurden die schönsten Dialoge im Chor mitgesprochen. Ich gab mich nicht zu erkennen und ging auf mein Zimmer. Dort sah ich die Spätausgabe der „Tagesschau“...

Der Autor leitete das Kinder- und Kleinkinderprogramm des Westdeutschen Rundfunks in Köln.

Gert K. Müntefering.

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