Dschungelcamp XI: Die Welt ist zwei Kugeln
Sie wird gemobbt und gemieden, dabei tut sie nur, was von ihr erwartet wird. Warum Micaela Schäfer dringend Dschungelkönigin werden sollte.
Man könnte es auch diplomatischer formulieren, aber: RTL hat dieses Jahr einen bemerkenswerten Haufen von Lügnern, Wahrheitsverbiegern und Lästerern in den Dschungel geschickt. Sie reden schlecht, meistens hintenrum - und meistens über Micaela Schäfer. Es stimmt schon: So schmerzfrei hat sich in sechs Staffeln bisher keine entblößt. Und wenn sich die Moderatoren über Micaelas Dauernacktheit amüsieren, dann ist das nur Recht und komisch, eben weil die Pointen sitzen. Erbärmlich dagegen, wie viele Campgenossen die Nase rümpfen, sich als etwas Besseres fühlen. Micaela Schäfer lästert nie. Sie bleibt ehrlich, verbindlich und motiviert.
Sie mault nicht übers Wetter oder langweilige Schatzsuchen, provoziert keinen Streit, kann sich artikulieren. Ja, sie reflektiert sogar. Micaela weiß, dass dies eine Trash-Sendung ist und sie eine Trash-Kandidatin. „Das Silikon hämmert auf meiner Brust”, sagte sie vor ihrer Dschungelprüfung. Sie hat den anderen Kandidaten so vieles voraus, nicht nur die Selbstironie.
Micaela Schäfer tut, was alle von ihr erwarten. Sie ist von Beruf „Nackt-Modell“, deswegen hat RTL sie eingekauft, was soll sie sich also vermummen? Das wäre, als hätte man Costa Cordalis in der ersten Staffel das Singen verboten.
Die Kandidaten der Show in Bildern:
Gibt man ihr Massageöl, reibt sie sich brav die Brüste ein. Scheint die Sonne, bräunt sie sich oben ohne. Will sie sich waschen, badet sie nackt im Teich. Ihre Masche mag billig sein, aber jetzt ehrlich: Hat sie je etwas anderes behauptet? Die Soziologin Catherine Hakim brauchte 400 Seiten, um das Phänomen zu erklären, Micaela Schäfer tut es einfach: Sie nutzt ihr erotisches Kapital.
Sicher hätte sie gern Karriere gemacht, ohne sich ausziehen zu müssen. Sie hat es jahrelang versucht, erst als seriöses Model, dann als Popsängerin, auch als Affäre eines „Kommissar Rex“-Darstellers. Um der Aufmerksamkeit willen gab sie Journalisten darüber Auskunft, wie es ist, sich die Schweißdrüsen aus den Achselhöhlen entfernen zu lassen. Ihre Karriere wollte trotzdem nicht zünden. 2010 wurde ihr Wikipedia-Eintrag gelöscht – wegen Irrelevanz.
Jetzt ist er wieder online, schon 13 Zeilen lang, und er wird weiter wachsen, der Nacktkarriere sei dank. Micaela Schäfer täuscht im Dschungel keine falschen Motive vor, faselt nichts von wegen Selbsterfahrung oder Grenzüberwindung. Micaela Schäfer zeigt ihre Operationsnarben. In Australien würde man sagen: This lady’s got balls. Man muss ihren unbedingten Willen zu Transparenz nicht zwingend als Statement zur Bundespräsidenten-Affäre verstehen. Aber es tut gut, einen aufrechten Charakter in dieser Ansammlung schräger Typen zu haben.
Die lauten und leisen Unwahrheiten der anderen Teilnehmer
Die meisten der übrigen Kandidaten machen sich auch nackig, entblößen sich, in dem sie unaufgefordert die schlimmsten Traumata ihres Lebens nacherzählen. Sie verbrämen es bloß als „interessante Gespräche“, die sich angeblich einfach so ergeben. Man muss sich das mal vorstellen: Erwachsene Menschen, allesamt erfahren im Showgeschäft, nehmen an einem Fernsehprojekt mit Dauerüberwachung teil, und nach nicht mal zwei Wochen beichten sie sämtliche Alkoholdramen, Missbrauchsgeschichten und Familienzwiste, die ihnen einfallen. Es sind laute und leise Unwahrheiten, mit denen sich die Camper durch ihre Dschungelzeit schummeln. Rocco betrog bei einer Prüfung (dafür holte er gestern dann acht Sterne), außerdem sei er nicht echt, spiele bloß eine Rolle, das behauptete jedenfalls Jazzy. Kurz bevor sie in der gestrigen Folge von den Zuschauern aus der Sendung gewählt wurde. Sie selbst durfte im Camp ungestraft behaupten, das letzte Album ihrer Band „Tic Tac Toe“ sei ein richtig gutes Werk gewesen, die Karriere nur deshalb den Bach runtergegangen, weil eine nicht näher genannte Person zu viel Geld verlangte. Richtig ist: Die CD sollte Jazzy so peinlich sein, dass sie auf Jahrzehnte kein Wort drüber verliert. Kleine Kostprobe ihrer Reimkunst:
„Hallo, ich bin Kerstin, 16 Jahre alt, Auf jeder Party vollgeknallt mit hartem Alk… Ich bin zu fett und mich lassen solche Dinge nicht kalt, Drum steck ich mir halt immer den Finger in’n Hals.“
Das ist kein Witz. Das hat Jazzy wirklich gerappt.
Oder Martin Kesici. Der durfte sich im Camp als Opfer von Staatsgewalt inszenieren: Einmal habe ihn die Polizei durchsucht, weil sie ihn fälschlicherweise für einen Drogendealer hielt – bloß weil er Kontakt zu „so einem Motorradclub“ gehabt habe. Was Kesici nicht sagte: dass es sich bei diesem Club ausgerechnet um die Hells Angels handelte, eine Bruderschaft, die das Land Berlin am liebsten sofort verbieten würde, weil ihr Ermittler immer wieder Körperverletzung, Schutzgelderpressung, Zuhälterei, Drogen- und Waffenhandel vorwerfen.
Inzwischen gab Kesici selbst zu, im Camp gelogen zu haben: Sein freiwilliger Ausstieg sei nicht wie ursprünglich behauptet seinem „starken Freiheitsdrang“ geschuldet gewesen. Die neue Version lautet: Er hat seine Freundin so arg vermisst. Den Vorwurf, er sei ausgerechnet in dem Moment gegangen, als er den Großteil seiner vertraglich vereinbarten Gage sicher hatte, findet er abwegig.
Die grobe Unwahrheit musste auch Ramona Leiß’ Sohn sagen, als er sie nach ihrer Rauswahl am Strand beruhigte: Nein Mama, so zickig kamst Du gar nicht rüber im Fernsehen!
Micaela Schäfer hat sich nichts derartiges zu Schulden kommen lassen. Alleine dafür verdient sie die Krone. Man kann diese Frau mögen oder nicht, hübsch finden oder hässlich. Aber dass sie sich irgendwie falsch verhält in dieser quatschigen Show, das kann man nicht behaupten.